Für viele hat der Urlaub immer noch Sommercharakter: Sonne, Strand, Meer und gemütliche Abende mit einem Wein, nichts zu tun, außer die Zeit zu genießen. Seltener trifft man allerdings auch Menschen, die zum Wandern in die Berge fahren. Ich wurde oft gefragt, warum man in einen Urlaub fährt, der eigentlich keiner ist. Man steht früh auf, wandert weit und vor allem viele Höhenmeter, nicht selten hat man Muskelkater und ist vom Wetter abhängig. Warum all das? Warum nicht einfach faul die Sonne auf den Bauch scheinen lassen?
Bis ich selber kurz nach meinem 20. Lebensjahr das erste Mal in die Berge fuhr, hätten diese Fragen von mir kommen können. Ich lebte in dem Glauben, dass ein Urlaub nur dann ein Urlaub ist, wenn er am Meer oder Strand ist. Städtereisen hatte ich bis dahin sehr viele gemacht, doch die waren gefühlt niemals Urlaub sondern ganz viel kultureller Input, von dem ich mich oft noch zusätzlich erholen musste. Nicht, dass ich Kultur nicht mochte oder schätzte, sie waren einfach oft anstrengend durch die Fahrt und meistens durch die Temperaturen im Sommer. Ich verstand die Menschen nicht, die scheinbar genau diese Anstrengung in Kauf nahmen, um zwei Wochen in den Bergen wandern zu gehen. Das war kein Urlaub, sondern harte Arbeit.
Wie ich mich vom Gegenteil überzeugte
Eines Tages kam es dazu, dass ich mitfuhr, um meinen ersten Wanderurlaub zu erleben. Ich hatte viele Bedenken, keine richtige Kleidung und machte mir Sorgen, dass ich dort fehl am Platz sein würde. Doch ein einziger Blick aus dem Autofenster reichte, um mich zu überzeugen, dass ich nirgendwo richtiger gewesen wäre. So viel Demut und Anmut hatte ich selten an einem Ort gesehen und empfunden. Ich fühlte mich plötzlich ganz klein und eingeschüchtert und doch unheimlich wohl.
Ein Ort, an dem Nachhaltigkeit nicht nur ein Wort auf einem Etikett ist
Nach der ersten Wanderung sollten noch viele Eindrücke folgen, denn es war anders, als ich es mir ausgemalt hatte. In meinem Kopf existierte die Vorstellung davon, dass man einfach darauf loswandert, ohne Weg und vielleicht auch ohne Ziel. Doch es gab tatsächlich Wege und Serpentinen, die nach oben führten und bereits vielfach bewandert worden waren. Es gab kleine Hütten, die teilweise nicht einmal fließend Wasser hatten und wo man doch so herzlich begrüßt wurde und immer eine warme Suppe, die tausendmal besser schmeckte, als daheim. Wenn man an einem Wanderer vorbeiging, begrüßte man immer, auch wenn es zehn Personen hintereinander waren. Es gab auch Gipfelkreuze, die an den hohen Gipfeln angebracht waren, die man von unten sehen konnte. Und es gab Klettersteige mit Stahlseilen und Karabinerhaken.
Ich war unheimlich überrascht, wie viel ich eigentlich nicht wusste und was ich alles nicht bedacht hatte. Aber was vor allen Dingen unheimlich war, war die Schönheit. Wenn du an einem Gipfelkreuz angekommen warst, wusstest du plötzlich, warum du all die Anstrengung auf dich genommen hattest. Es fühlte sich an, wie komplette Freiheit. Plötzlich warst du über den Dingen und hattest so viel Abstand zu allem da unten. Und auch wenn ich total außer Atem war, was es das tausendmal Wert, so eine unberührte und einzigartige Schönheit bewundern zu können. Diese Schönheit und Anmut bringt man aus den Bergen mit und trägt sie für immer in seinem Herzen. Es ist wie Magie, die in jeden deiner Atemzüge so viel Klarheit zaubert. Es ist, als wärst du im Einklang mit dir selbst. Erstaunlicherweise erholte sich meine Psyche und mein Kopf viel besser in den Bergen, als bei einem Strandspaziergang, bei denen ich oft ins Grübeln kam.
Auch heute noch habe ich Angst …
… dass ich es nicht wieder heil auf den Boden schaffe, wenn ich wandere. Es gibt so viele Unberechenbarkeiten, dass man immer darauf gefasst sein muss. Mal kannst du bis auf den letzten Faden nass werden, mal wirst du von einem Gewitter überrascht oder du holst dir den schlimmsten Sonnenbrand deines Lebens, weil du die Sonne in dieser Höhe unterschätzt. Du kannst auf nassem Gestein ausrutschen, wenn du nicht aupasst und manchmal ist es so steil, dass du auf fast 2000 Metern an einem Stahlseil hoch musst. Und genau hier wären wir bei dem, was wir für unser Leben lernen.
Genau so ist es auch oft in unserem Leben
In unserem Leben wissen wir oft nicht, was passieren wird. De facto können wir es oft nicht einmal grob einschätzen. Wir kennen die Richtung und doch liegt vieles nicht in von unserer Gewalt. Was wir tun können ist es, uns anzupassen und unserem Herzen zu folgen. Wir können uns auf die Wetterschwankungen in unserem Leben vorbereiten und uns die richtige Kleidung zulegen. Wir können einschätzen, wann es gefährlich sein könnte, aufzubrechen oder aber auch zu verweilen. Wir können einen Fuß vor den anderen setzen.
Wenn ich am Fuße eines Berges stand, dachte ich daran, dass ich es niemals da hoch schaffen könnte und wieder runter schon gar nicht. Und doch war ich am Ende des Tages wieder dort angekommen, wo ich vor 6 Stunden noch gestanden hatte und schaute auf das, was ich geschafft hatte. Es erfüllte mich mit Stolz, aber gleichzeitig auch mit Demut vor der Gewaltigkeit und Größe dessen, was ich bewandert hatte. Selbst wenn ich oft meine Füße aus dem Schlamm ziehen musste, lag etwas Vertrautes in alledem. Die Naturverbundenheit und die Ruhe der Gedanken, das war es also, was man dort oben fand. Den Blick für das Wichtige und die Wertschätzung, die so oft im Alltag in Vergessenheit geraten. Schönheit, Anmut und Fleiß, all das findest du, wenn du schon einmal in den Wanderurlaub gefahren bist. Manchmal reichen auch nur die kleinen Momente, in denen du in dich gehst und die Berge auf dich wirken lässt.
Unser Leben ist unberechenbar, aber wir können uns gut dafür wappnen, wir haben die Möglichkeiten und die Flexibilität, auch die größten Berge zu erklimmen, wenn wir es uns nur vornehmen und uns nicht davon abbringen lassen.
Lisa Gebler
Wow! Ein sehr inspirierender Artikel und wunderschöne Bilder!
Dorothea Musik
Ich bin begeistert wie Sie das wesentliche in Worte erfasst haben. Die Begeisterung zum wandern habe ich als junge Frau mit ca.20 Jahren bekommen. Leider konnte ich es nicht in Worte fassen, was ich für mein Leben in den Bergen gelernt habe, allerdings habe ich es gespürt.
Jetzt, mit 59 Jahren ist mir bewusst geworden, dass alle Charaktereigenschaften, die ich im Leben brauchte und mich getragen habe, habe ich in den Bergen gelernt.