Die ehemalige Profifußballerin Tabea Kemme ist mit ihrem selbst umgebauten Bulli auf dem Weg nach England. Unterwegs unterhält sie sich mit unserer Autorin Jasmin über Chancen und Defizite im Frauenfußball.
Engagiert, frech, freundlich und lässt sich nicht den Mund verbieten: Tabea Kemme hat mit der Nationalmannschaft und Turbine Potsdam sämtliche Pokale in die Höhe strecken können. Am Erwähnenswertesten sind wohl die Olympia-Goldmedaille 2016 in Rio und der Gewinn der Champions League 2010. Ihre Karriere begann bereits mit 14 Jahren bei Turbine Potsdam und sie verließ den Verein nach zwölf erfolgreichen Jahren.
2019 beendete die damalige 28-Jährige aufgrund von Verletzungen ihre Karriere bei Arsenal London. Doch dem Fußball blieb sie treu. Ihrem Einsatz für Umwelt, Vielfalt und Gleichberechtigung kann sie jetzt verstärkt nachgehen. Mit Sports4education möchte sie den Frauenfußball in Deutschland auf eine neue Ebene heben.
Liebe Tabea, Du bist zurzeit viel unterwegs, wie auch jetzt im Moment. Willst du uns verraten, wo die Reise hingeht?
Ich bin auf dem Weg nach England. Dort habe ich einen Austausch mit tollen Persönlichkeiten, wie Per Mertesacker, Bibiana Steinhaus und auch einem Verein, dem FC Lewes, geplant.
Im Rahmen mehrerer Miniserien für den ZDF möchte ich herausfinden, warum es England schafft, den Frauenfußball so zu präsentieren, wie sie es tun und was uns in Deutschland daran hindert, diesen Weg ebenfalls zu gehen…
Du hast Sports4education mitgegründet. Aus welcher Intention heraus bist du diesen Schritt gegangen?
Ich bin mit Daniel Fritzsche, dem Mitgründer in Kontakt gekommen, weil wir in Berlin zufällig die gleiche Google-Kampagne gesehen haben. Da gab es Plakate, auf denen in der Google-Suchleiste stand: „Wie werde ich Nationalspielerin?“ Ich habe das Plakat gesehen und dachte: „Ne, so einfach kann man sich die Frage nicht stellen, denn jede Einzelne muss ihre eigene Story kreieren. Das ist so individuell, dass man es nicht verallgemeinern kann. Daniel hatte mich daraufhin angeschrieben.
Es war der gleiche Gedanke zur gleichen Zeit und wir dachten, wir müssen jetzt handeln. Wir wollen mit Spielerinnen zusammenarbeiten und vor allem ganz wichtig: Wir sind keine Beratungsagentur. Ich würde mich niemals ansatzweise dahinstellen und sagen: „Ich berate dich jetzt. Aufgrund meiner Erfahrung, weiß ich, was gut für dich ist.“ So funktioniert das einfach nicht. Mit Sports4education wollen wir Workshops und Seminare geben, damit die Spielerinnen anhand der Tools selbst herausfinden können, was sie nutzen wollen. Wenn du danach einen Rat brauchst, stehe ich dir zur Seite.
Was sind deine Ziele, die du mit Sports4education erreichen willst?
Ich möchte einen Raum schaffen, in dem es nicht unangenehm ist, Dinge anzusprechen, die vielleicht nicht so gut sind. Genau die Dinge möchte ich wissen und ich will, dass du sie mir laut sagst, weil so weiß ich auch die Notwendigkeit des Handelns. Darüber müssen wir reden. Das müssen wir schaffen.
Wir als Spielerinnen müssen lauter werden. Wir müssen unsere Stimme nutzen. Wir müssen sie setzen. Wir müssen unbequem sein und rausgehen und Probleme ansprechen. Es ist nicht in deren Interesse, gleichberechtigte und faire Bedingungen zu schaffen. Das müssen wir ansprechen und in den Austausch gehen.
Welche Erfahrungen konntest du dabei aus deiner aktiven Karriere mitnehmen, die dich persönlich geprägt haben?
Wenn ich rückblickend reflektiere, ist es die Durchsetzungskraft. Ich musste mich hart durchsetzen, gerade mit meinem Typ auch mal „nein“ zu sagen. Ich hinterfrage Dinge, um zu wissen, warum ich etwas so machen muss. Ich habe auch viel einstecken müssen, weil ich neben dem Fußball sehr bewusst gelebt und diesen nicht priorisiert habe. Das war letztlich auch mein Erfolg, aber da kriegst du ab und zu mal verbal die Faust ins Gesicht: Ich könne die Dinge nicht so machen, wie ich sie mache. Das war eine lehrreiche Erfahrung. Wichtig war mir auch immer, mich den kritischen Stimmen zu stellen, aber immer auf mein Bauchgefühl zu hören und das zu tun, was sich gut anfühlt.
“Wir als Spielerinnen müssen lauter werden. Wir müssen unsere Stimme nutzen.”
Natürlich nehme ich auch die internationalen Erfahrungen mit. Ich habe gelernt, wie schön und wichtig diese Vielfalt ist. Dieses Multikulturelle ist für mich das Belebende und sich nicht zu sehr auf die eigene Herkunft zu berufen.
Die meiste Zeit deiner Karriere hast du bei Turbine Potsdam verbracht. Ist dein Herz noch dort verankert?
Ja, tagtäglich. Das geht ja nicht spurlos an mir vorbei. Ich war dort zwölf Jahre. Ich bin mit 14 Jahren nach Potsdam auf die Sportschule und bin den Weg Turbine Potsdam von klein auf nach ganz oben gegangen.
Ich kenne die Strukturen und Abhängigkeiten, wo ich auch damals schon gesagt habe, dass wir bessere Bedingungen schaffen müssen. Das fängt beim Rasenplatz an und bis heute hat sich nicht groß etwas geändert.
Woran liegt es, dass man die Bedingungen für die Spielerinnen bisher noch nicht verbessert hat?
Durch die Kandidatur habe ich erlebt, wie verzahnt das System ist. Es ist schwer nachzuvollziehen wer die Position wegen des eigenen Interesses oder die der Entwicklung des Vereins nutzt. Es ist kein ehrliches Miteinander und mir fehlte ebenfalls das Vertrauen zu den Funktionären. Man versuchte mich durch eine nicht neutrale Mediationssitzung zu beeinflussen und riet mir von einer Kandidatur ab. Die Strukturen haben sich seither nicht gebessert. Der Trainer wurde entlassen, woraufhin der Präsident zurückgetreten ist und viele erfahrene Spielerinnen verlassen den Verein. So wie über die Jahre gehandelt wurde, funktioniert es heutzutage einfach nicht mehr. Es ist traurig, dass gerade die Spielerinnen darunter so leiden.
“Es ist schwer nachzuvollziehen wer die Position wegen des eigenen Interesses oder die der Entwicklung des Vereins nutzt.”
Provokant gefragt: Ist ein ähnliches Bild beim DFB in Bezug auf den Frauenfußball vorzufinden?
Beim DFB ist es so, dass auch viele Abhängigkeiten herrschen. Das ist ein Politikum für sich selbst, wo ich mir auch wünschen würde, dass die Aufmerksamkeit mehr auf den Sport gerichtet ist. Ich habe nicht die Erwartungshaltung. Wir selbst müssen den Weg gehen und Dinge hinterfragen – auch, wenn es wehtut. Da liegt es an einem Handeln unsererseits. Andere Länder machen uns mal wieder vor, wie es funktionieren kann.
Fehlt es uns da an den sogenannten „Führungsspielerinnen“?
Generell ist der DFB sehr systematisch. Du wirst in ein System gepackt, in dem du dich zu bewegen hast. Wenn du unbequem bist, etwas hinterfragst und deine Meinung auch vertrittst in der Öffentlichkeit, bekommst du Schwierigkeiten. Die Forderung ist ewig laut nach Führungsspielerinnen. Wir müssen Ihnen den Raum geben, sich entwickeln zu können und somit ihre Authentizität nicht ablegen müssen.
“Wenn du unbequem bist, etwas hinterfragst und deine Meinung auch vertrittst in der Öffentlichkeit, bekommst du Schwierigkeiten.”
Ist das auch eine Motivation für die Miniserie im ZDF, für die du jetzt auch wegen solchen Fragen in England unterwegs bist?
Definitiv! Dazu hatte ich einen interessanten Austausch mit Coach Iqra. Sie ist 22 und lebt in London mit muslimisch-somalischem Hintergrund. Sie hat einfach selbst einen Verein gegründet, weil keine guten Bedingungen für die Frauenmannschaften geschaffen wurden. Und in Deutschland muss man sich mit 30 Jahren anhören, man sei zu jung und unerfahren. Wir sind der andauernden Skepsis ausgesetzt, keine Veränderung zu wollen, denn da müsste man sich mitverändern. Damit halten wir an Sachen fest und schaffen die Veränderung nicht. Wir müssen losgelöster und mutiger sein!
Woran liegt es, dass es immer noch so wenige Frauen im Fußball in Führungspositionen gibt? Das Potential scheint ja da zu sein…
Menschen sind sehr lange auf ihren Positionen und haben dadurch gesellschaftliche und politische Vorteile. Mit meiner Kandidatur kam ich als Jungspund rein, habe Dinge kritisch angesprochen und sogar Lösungen vorgeschlagen. Ich war ein Fremdkörper. Ich war das rote Tuch, ein Signalkörper. Sie hatten das Gefühl, ihnen könnte etwas weggenommen werden. Es kommt zu einer Machtaufteilung und damit können die meisten Menschen einfach nicht umgehen. Es ist nicht das große Geld, vor allem nicht im Frauenfußball, aber die Macht und die Gier. Das ist für mich einfach ein Cocktailmix, der scheiße schmeckt.
War das auch ein Generationsproblem?
Ja, man war nicht in der Lage, etwas gemeinsam zu machen. Es sind wertvolle Erfahrungen, die wir auch gemacht haben, aber man braucht auch einen frischen Wind. Warum schafft man es nicht Kompromisse zu finden und Energien im Sinne der Weiterentwicklung des Vereins zu nutzen. Da ist die Bereitschaft nicht gegeben und es steht und fällt mit den handelnden Personen.
Was müssen wir Frauen tun, damit sich etwas ändert?
Wir müssen in die Entscheidungspositionen eintreten, um die Sicht der Frauen aufzuzeigen. Ein gutes Beispiel stellt die Trainingsgestaltung in Verbindung mit dem Zyklus der Frau dar, wie es ihn in England bereits mehr gibt. Man kann es den Männern nicht verübeln, weil sie sich damit nicht auseinandersetzen. … Allerhöchstens, wenn die Ehefrau Zuhause mal auf den Tisch haut [lacht]. Unsere Position ist es, Aufklärung zu leisten. Das fängt schon da an, dass sechsjährige Jungen mich nicht in ihrem Team haben wollen, weil ich ein Mädchen bin. Das kannst du den Jungs nicht verübeln, denn es kommt ja von irgendwo her. Die Gesellschaft lebt ihnen das vor.
In den Niederlanden ist es Frauen seit letzter Saison erlaubt, auch in Männermannschaften im Amateurbereich mitzuspielen. Was sagst du dazu?
Ich finde es richtig genial. Damit hast du ja nochmal mehr taktische Möglichkeiten. In Potsdam sehe ich es auf den Schulhöfen, dass auch die Abiturklassen gemischt Fußball spielen. Ich habe das Gefühl, das ist auch so ein Generationsding. Wir, erwachsenen Menschen, machen die Trennung. Das machen nicht die Kids und auch nicht die Jugendlichen.
Was muss getan werden, dass Fußball nicht so männerzentriert wahrgenommen wird?
Sagen wir mal als Beispiel, ich möchte Trainerin werden. Das ist mit hohen finanziellen Hürden belegt. Wir müssen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung schaffen und das auf allen Ebenen wie auch Schulen und Universitäten. Genauso ist es beim Thema Funktionärswesen und Trainer:innen in aktiven Bereichen. Das ist für mich der grundlegende Meilenstein, der gelegt werden muss.
gahr
Liebe Jasmin Bauch,
gerne lade ich Sie in meine FB Gruppe mit fast 2.800 Mitgliedern ein. Auch Tabea ist bei uns Mitglied.
Wir brauchen jede Unterstützung für den Mädchen- und Frauenfußball.
Wir haben auch eine eigene Frauenfußball Talkrunde +++AUSDEMFF+++ auschl. für den Frauenfußball auf und neben dem Platz.
Auf Youtube finden Sie alle meine Interviews +++Claus trifft Frauenfußball+++ und +++AUSDEMFF+++Ausgaben
Viele Grüße Claus Gahr // Gründer
Jasmin Bauch
Vielen Dank für die Einladung. Ich werde mich bei Ihnen melden.
Robert Scott ( Bobby )
Hi Jasmine,
Your article was very interesting and I enjoyed reading it!!
I am looking forward to the Womens Football WM next week and I am sure we will have a good chat over the balcony about it HiHi!
I am also looking forward to the new season in Germany and of course Scotland. Good luck to Werder Bremen and of course my beloveved Glasgow Rangers !
I wish you great succes for your futurre.
Anne-Kathrin Knoll
Als Mutti einer Fußballerin weiß ich sehr genau, wovon Tabea spricht. Leider ist es im Fußball noch immer so, dass die Mädchen eher geduldet als gefordert und gefördert werden. Es ist Zeit, dass sich was ändert und ich wünsche mir sehr , dass es bald geschieht. Wir haben so viele weibliche Talente. Vielleicht ist es endlich an der Zeit, eine der letzten Männerdomänen zu reformieren.