Mit einer unvorstellbaren Härte hat die Corona-Krise das ganze Land getroffen und das gesamte gesellschaftliche Leben schlagartig verändert. Zu den gesundheitlichen Sorgen gesellen sich zunehmende Arbeitslosigkeit, Existenzängste und katastrophale Folgen für die Wirtschaft, aber auch der schmerzliche Verzicht auf Großveranstaltungen und Zusammenkünfte. Wie lange “Stay at home” noch die eindringliche Empfehlung bleiben wird, ist völlig ungewiss. Diese Krise wühlt ebenso schwer die katholische Kirche auf, denn es trifft sie in ihrem wohl schmerzlichsten Punkt: Der Eucharistiegemeinschaft. Eine Kontroverse von Lukas Schröder.
Wer im Sommer 2020 einen katholischen Gottesdienst in Deutschland besucht, der wird die zahlreichen Corona-Maßnahmen nicht übersehen. Zwar sind diese je nach Diözese und konkreter Handhabung in den einzelnen Kirchengemeinden unterschiedlich, aber ihre Folgen sind massiv: Datenangabe der Gottesdienstbesucher zur Nachverfolgung bei einem möglichen Infektionsfall, Verzicht auf Gotteslob, Weihwasser, Mundkommunion und Friedensgruß. Einteilung der Sitzplätze in den Bänken mit mindestens 1,50 Meter Abstand. Dazu die Kommunionausteilung nur unter besonderen Schutzmaßnahmen. Teilweise gilt eine Maskenpflicht in Gottesdiensten und auf den Gemeindegesang wird vielerorts verzichtet. Zu groß sind die Risiken einer Ansteckung und Verantwortliche fürchten sich davor, dass der Gottesdienst zu einem sogenannten Superspreader-Event wird. In den letzten Wochen wurde immer wieder deutlich, dass Infizierungen keinesfalls vor religiösen Zusammenkünften halt machen.
Gottesdienste (noch) leerer als sonst
Doch eine weitere Folge der Pandemie wird der Gottesdienstbesucher ebenfalls nicht übersehen können: Die Gottesdienste sind (noch) leerer als sonst. In der offiziellen Statisik der Deutschen Bischofskonferenz lag der Gottesdienstbesuch im Jahr 2019 schon nur noch bei 9,1%, eine Zahl, die sich seit Mai, als öffentliche Gottesdienste sukzessiv wieder erlaubt wurden, noch einmal deutlich reduziert haben dürfte. Der Ausblick auf die traditionellerweise großen Gottesdienste an Allerheiligen und Weihnachten bereitet manchem pastoralen Mitarbeiter schon jetzt Kopfzerbrechen, weil sicher keine vollbesetzten Gotteshäuser und festlichen Gottesdienste möglich sein werden.
Diese Entwicklung kann und wird die katholische Kirche nicht kalt lassen, denn es trifft sie an ihrem schmerzlichsten Punkt. Die Eucharistiefeier ist nicht nur eine Facette des katholischen Glaubenslebens, sondern die bedeutendste. Das katholische Kirchenrecht schreibt jedem Katholiken die Teilnahme an der Eucharistiefeier am Sonntag und anderen gebotenen Feiertagen verpflichtend vor (Kanon 1247 im Codex Iuris Canonici, kurz CIC), sofern nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen oder, wie jetzt zur Zeit, diese sogenannte Sonntagspflicht aufgrund der Pandemie durch die Bischöfe in den meisten Bistümern noch immer ausgesetzt ist. Darüber hinaus ist die sonntägliche Gottesdienstfeier – oder besser gesagt – war sie das kulturprägende Element für den ersten Tag der Woche, welches ganze Generationen geprägt hat, ehe Formen wie Fußballspiele, langes Ausschlafen und Sonntagsbrunch die Oberhand über den Sonntag, als den “Tag des Herrn” gewonnen haben.
Eucharistie als “Quelle und Höhepunkt”
Es war das II. Vatikanische Konzil (1962-1965), welches die Eucharistiefeier mit einer unmissverständlichen Formulierung als “Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens” bezeichnet hat. Sie ist die Liturgieform der katholischen Kirche schlechthin und hat, bedingt durch die große Priesterfülle in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, andere Gebetsformen im Gemeindeleben, wie die Tagzeitenliturgie (z. B. Laudes, Vesper, Komplet) auch an Werktagen völlig verdrängt oder deren Entwicklung verhindert. Wenn die Kirche von Gottesdienst spricht, meint sie im Regelfall die Messfeier, das heißt einen eucharistischen Gottesdienst mit der Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi.
Erst durch den rapiden Rückgang der Priesterzahlen und der damit verbundenen Konsequenz, dass in den Gemeinden und Pfarrverbünden Gottesdienstpläne reduziert werden mussten und längst nicht mehr alle Gottesdienstorte mit einer Messfeier versorgt werden können, erleben nicht-eucharistische Gottesdienste, wie Wort-Gottes-Feiern und das Andachtswesen, einen neuen Aufschwung, der vielerorts jedoch nur mäßigen Anklang findet.
Eucharistiefasten als Ausweg aus dem Dilemma?
Für die Kirche ist es eine Dilemma-Situation, eine wahre Zwickmühle. Das, was ihr besonders wichtig ist, stößt bei den Gläubigen immer weniger auf Interesse und die Corona-Pandemie zwingt mit ihren unausweichlichen Konsequenzen und Schutzmaßnahmen die letzte Freude und Begeisterung für das Gottesdienstgeschehen in die Knie.
Doch was kann ein Lösungsweg sein? Kann es der Kirche gelingen, aus dem bloßen Reagieren auf die Pandemie-Entwicklung zu einem bewussten Agieren in der Krise zu kommen? Dabei wird sie sich die Frage stellen dürfen, ob ein gemeinschaftliches eucharistisches Fasten nicht ein sinnvoller und kreativer Beitrag sein könnte. Grundsätzlich ist die übliche Messfülle nämlich gar nicht erforderlich. Der Kommunionempfang, der in Pandemiezeiten als besonders riskant gelten dürfte, ist dem Gläubigen nur einmal im Jahr vorgeschrieben, aber keinesfalls an jedem Sonntag oder gar an jedem Werktag (Kanon 920 CIC).
Kirche ohne Eucharistie?
Eine Kirche ohne Eucharistie würde sich vielmehr solidarisch zeigen mit der Situation in vielen anderen Ländern dieser Erde, in denen sonntägliche Eucharistiefeiern keinesfalls selbstverständlich sind und trotzdem gemeinschaftliches Beten und Kirche-Sein in beeindruckender Weise gelingen. Sie würde sich darüber hinaus solidarisch zeigen mit einem großen Anteil an Gläubigen, die aufgrund von Furcht und Sorge vor einer Ansteckung weiterhin auf den Gottesdienstbesuch bewusst verzichten und in Fernsehgottesdiensten und vielfältigen kreativen Impulsen Alternativen für das persönliche Glaubensleben gefunden haben. Mit einem Verzicht auf Eucharistiefeiern würde die Kirche ihrer Vorbildfunktion gerecht und ein deutliches Signal an die Gesellschaft vermitteln: Nehmt die Schutzmaßnahmen ernst und werdet im Umgang mit der Pandemie nicht fahrlässig!
Eine Kirche ohne Eucharistie wäre sicherlich eine leidende Kirche, weil ihr Wesentliches fehlt. Als leidende Kirche wird sie aber zu einer mit-leidenden Kirche, die an dem Anteil nimmt, was in unserer Gesellschaft derzeit alles aus den Fugen geraten ist. Corona könnte sich als historische Großchance für die Kirche erweisen, um ihr Eucharistieverständnis zu klären, deren hohen Stellenwert neu zu betonen und trotzdem zusätzliche zukunftsfähige Formen liturgischen Lebens und gottesdienstlicher Gemeinschaft zu entwickeln. Zweifelsohne ist die Pandemie eine Aufforderung solche neuen Gottesdienstformate kreativ auszuprobieren, um Menschen in kleinen Gruppen regelmäßig zum Gebet zu versammeln – sei es in Kirchen, Wohnhäusern, auf der Straße oder unter freiem Himmel.
Gottes-Dienst ist mehr als Eucharistiefeier
Womöglich steht am Ende dieser experimentellen Phase sogar die Erkenntnis, dass der Altar derzeit nicht der primäre Ort der Kirche ist und andere Formen des Gottes-Dienstes verstärkt in den Blick geraten. Vielleicht sind es jetzt die Krankenhäuser, in denen sich auch unabhängig von Corona alltägliche Dramen abspielen. Vielleicht sind es die Altenheime, in denen Bewohner zum Teil noch immer und seit Monaten in menschenunwürdigen Isolationen leben müssen. Vielleicht sind es die Flure der Arbeitsagenturen und Sozialämter, um nah bei den Betroffenen zu sein, die durch die Pandemie ihre Arbeit und Existenz verloren haben. Vielleicht sind es die Familien, die um Kindergartenplätze und Schulbildung bangen und mit dem Homeschooling überfordert sind. Womöglich sind Hostienschale und Kelch derzeit nicht die primären Instrumente der Kirche, sondern das offene Ohr der Seelsorge und das reiche Herz der Nächstenliebe.
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