Das Volk hat gesprochen. Großbritannien möchte nicht mehr Mitglied in der Europäischen Union sein. Mit 51,89 Prozent hat das No-Lager einen knappen Sieg eingefahren: ein historisches Novum. Noch nie zuvor hat sich ein Mitgliedsstaat entschieden, aus der EU auszutreten.

Großbritannien am Freitag: Nach dem Referendum bleibt ein gespaltenes Land. Auch wenn die Mehrheit für den Brexit gestimmt hat, war immer noch fast die Hälfte dagegen. Gut 48,8 Prozent, um genau zu sein. Der auf Einschüchterung basierte Wahlkampf trieb die Spaltung nur weiter voran. In dieser Hinsicht nahmen sich die beiden Lager übrigens gar nichts. Der Wahlkampf trieb Freunde auseinander, Familien zerstritten sich. Wie soll es möglich sein, dieses Land wieder zu einen? Die regierende Tory-Partei ist schließlich selbst tief gespalten. Premier David Cameron kündigte schon an, sich bis zum Herbst von seinem Amt zurückzuziehen.
Favorit für seine Nachfolge ist sein Parteikollege Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London und prominentester Kopf der Out-Bewegung. Beobachter sagen dem charismatischen Politiker schon lange Opportunismus nach. Es heißt, er habe sich nur auf die Seite der EU-Gegner gestellt, um seine Chancen auf Downing Street zu erhöhen. Nun könnte sein großer Traum Wirklichkeit werden.
Was muss Großbritannien als nächstes tun?
Als ersten Schritt zum Austritt muss Großbritannien die EU offiziell informieren. Danach müssten beide Seiten über ein „Austrittsabkommen“ verhandeln. Diesem Abkommen müssten dann sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Europäische Union zustimmen. Dabei gilt das Prinzip der doppelten Mehrheit. Neben dem Europäischen Parlament müssen mindestens 20 der 27 europäischen Staaten (also alle außer Großbritannien) zustimmen und dabei mindestens 65 Prozent der Bevölkerung in der EU stellen. Schaffen es die Verhandlungspartner nicht, sich auf ein Austrittsabkommen zu einigen, kommt es nach zwei Jahren automatisch zum Brexit. Der Austritt ist also ein mehrjähriger Prozess.
Der Brexit bedeutet aber auch, dass man sich selbst mehrere Baustellen schafft. Großbritannien wird den Wirtschaftsraum der EU verlassen müssen. Ob die neuen Abkommen ein Fortschritt für das Land sein werden, darf bezweifelt werden. Denn die Briten verzichten freiwillig auf einen der größten Vorteile der Europäischen Union: die Größe. Gegen Riesenstaaten wie die USA und China ist es als kleines Land irgendwo auf einer Insel in Europa schwer, seine Forderungen durchzusetzen. In Verhandlungen gibt immer der größere Partner den Ton an.
Werden Jobs vernichtet? Darin sind sich so gut wie alle Ökonomen einig. Das Pfund ist jedenfalls schon einmal abgestürzt. Vielleicht bereut ja der eine oder andere „Leave-Voter“ dann seine Entscheidung. Aber wenn der Job wirklich weg ist, wird es zu spät sein. Die Frage ist, wie sich ein wirtschaftlicher Abschwung innenpolitisch auswirken würde. Wie gesagt: Großbritannien ist jetzt schon ein gespaltenes Land. Wenn noch soziale Unruhen hinzukommen, steht der Premier – wie immer er auch heißen mag – vor einer Mammutaufgabe.
Die Spaltung könnte noch viel tiefer gehen
Dies gilt umso mehr, da er auch die Einheit des Königreichs wahren will. Aber was ist mit den Schotten, die mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt haben? Aus der Scottish National Party (SNP) gab es schon vor dem Referendum Ankündigungen, im Falle eines Brexits die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf die Agenda setzen zu wollen. Diese hat man am Freitag bekräftigt. Werden die Schotten ihren Weg zurück nach Europa finden? Sie werden es zumindest versuchen, das ist klar.
Plötzlich hat Großbritannien in Irland wieder eine EU-Außengrenze an Land. Was viele vergessen: Der blutige Nordirlandkonflikt wurde offiziell erst vor 18 Jahren beigelegt und die Konfliktursachen gibt es heute auch noch. Es besteht also die ernst zu nehmende Sorge, dass die Lage auf der irischen Insel wieder eskaliert. Die nationalistische Sinn Fein-Partei hat schon prompt eine Abstimmung über die Einheit Irlands gefordert. „Die britische Regierung hat jedes Mandat, die Interessen der Menschen in Nordirland zu repräsentieren, verloren.“, so der Vorsitzende Dechant Kearney gegenüber der Irish Times.
Für den Premier stehen also harte Zeiten an. Er muss nicht nur Verhandlungen mit der EU über den Austritt führen, sondern auch mit seinen Wirtschaftspartnern über Handelsabkommen. Gleichzeitig muss er ein tief gespaltenes Land zusammenhalten – kulturell wie geographisch. Sonst ist bald nicht mehr viel vom Königreich über, das es zu regieren gibt. Ein politischer Drahtseilakt.
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