Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), ist seit 2010 in der Europäischen Kommission für Energie zuständig. Er gilt als Befürworter der Atomenergie. Anlässlich eines Vortrags des EU-Kommissars hatte ich Gelegenheit, ihn zum Thema Energiewende zu interviewen. Um zu erfahren, wie die Kernkraftgegner darüber denken, traf ich mich danach mit Johannes Benz, einem Kreisvorstandsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen im Main-Tauber-Kreis. Seine Partei möchte „die Energieversorgung nach und nach auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen.“
Warum die Energiewende so schleppend vorangeht
In unserem Interview sagte Günther Oettinger: „Wir liegen bei der Abschaltung der Kernkraftwerke im Plan. Es ist jedoch schwierig, neue Produktionsstandorte zu finden und die Infrastruktur für den Transport des Stroms auszubauen. Planung, Genehmigung, Bau und Gerichtsverfahren gestalten sich oft schwierig und langwierig. Vielerorts ist der gute Wille da, aber man hat die Probleme unterschätzt.“ Der Grünen-Politiker Johannes Benz bezweifelt diese Aussagen. Seiner Meinung nach hat die derzeitige Bundesregierung kein Konzept, wie sie vorgehen will. Auch die Dringlichkeit des Problems habe sie noch nicht erkannt. Sie verhindere die Energiewende, weil sie die alten Strukturen erhalten wolle und deshalb am bestehenden System so lange wie möglich festhalte.
Meine Frage an den EU-Kommissar, was Deutschland momentan konkret für die Energiewende tue, beantwortete dieser mit dem Hinweis auf die Neuordnung der Bundesnetzagentur. Die 16 Bundesländer seien bereit, eine gemeinsame Agentur für die landesweit wichtigen Netze zu gründen, statt weiterhin individuell zu planen. Auf diese Weise solle die Energiewende schneller vorankommen. Der grüne Regionalpolitiker sagte mir dazu: „Der Staat muss weg von den vier Stromkonzernen und stattdessen die Energie dezentral vermarkten. Windräder und Solaranlagen müssen überall in Deutschland gefördert werden, damit man den Strom vor Ort erzeugen kann. Somit benötigen wir keine teuren Leitungsnetze, die durch unser ganzes Land führen, da der Strom in der Nähe der Verbraucher zu niedrigeren Kosten erzeugt und preisgünstiger abgegeben werden kann.“
Energiewende – eine Frage des Geldes?
Günther Oettinger wünscht sich von der neuen Regierung nach der Bundestagswahl, dass diese den überfälligen Kassensturz macht. Das sei nötig, um ohne Blockade, z.B. durch den Bundesrat, die notwendigen Schritte zur Energiewende konsequent zu vollziehen. Für Johannes Benz liegen die Probleme auf der Hand: „Die Bundesregierung muss endlich für Planungssicherheit sorgen. Wir haben große Chancen, die Energiewende in den Griff zu bekommen. Doch derzeit wird nicht genug investiert, weil diese durch eine endlose Diskussion über mögliche Kosten und Risiken schlecht geredet wird.“
Auf seine Antwort hin konfrontierte ich den Bündnisgrünen mit der markanten Aussage des CDU-Politikers „Den Grünen ist der Strompreis egal.“ Diese Behauptung konterte mein „grüner“ Interviewpartner mit einem Lächeln. Seiner Meinung nach werden die Strompreise sogar sinken: „Wenn nur noch erneuerbare Energien genutzt werden, wird es langfristig gesehen günstiger. Denn Sonnenlicht, Wind und Wasser sind im Gegensatz zu Erdöl und Kohle immer vorhanden und kosten nichts. Natürlich ist der Aufbau der Infrastruktur aufwändig. Das ist ähnlich wie bei einem Autobahnnetz, das erst einmal aufgebaut werden muss. Staatliche Förderung ist dabei unabdingbar, aber auf lange Sicht lohnt und rechnet es sich.“ Zudem sieht er uns auf einem guten Weg zu neuen Technologien, die es ermöglichen, die erneuerbaren Energien künftig besser zu speichern. „Das Klima zu retten, das ist das Wichtigste“
Im weiteren Gespräch wies Johannes Benz auf die Dringlichkeit weiterer Investitionen in die Energiewende hin: „Die Klimaerwärmung ist eine vorhersehbare Entwicklung mit katastrophalen Folgen. Es müssen Kompromisse eingegangen werden, um unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.“ Deswegen steht er als Kreisvorstandsmitglied der Grünen im Main-Tauber-Kreis für eine Umweltpolitik, die auf Nachhaltigkeit beruht und den Raubbau an unserer Erde immer mehr einschränkt. „Wir vertreten eine Politik, die erneuerbare Energien möglichst intensiv nutzen will, statt weiterhin die Ressourcen des Planeten unwiederbringlich zu verbrauchen.“ Unabhängig davon, wie die Bundestagswahl am 22. September ausgeht: An der Energiewende führt kein Weg vorbei. Lediglich Ernsthaftigkeit und Geschwindigkeit wird man steigern müssen, um bis zum Jahr 2022 den vollständigen Atomausstieg zu schaffen.
Schreibe einen Kommentar