Das neuartige Coronavirus hat unsere Gesellschaft fest im Griff. Unser Leben ist von Grund auf verändert: Wir tragen Masken, halten Abstand, treffen unsere Freunde selten bis gar nicht. Aber nicht nur unser Verhalten ist ein anderes. Auch unser Denken wandelt sich.
Die ökonomische Ausrede gilt nicht mehr
War vor wenigen Monaten während der Klimastreiks die Nicht-Finanzierbarkeit der geforderten Maßnahmen noch die Lieblingsausrede der Politik, ist dieses Argument in der jetzigen Lage offensichtlich hinfällig. Im Zuge des größten Hilfspaketes in der Geschichte Deutschlands nimmt der Bund neue Kredite in Höhe von rund 156 Milliarden Euro auf. Zudem einigte man sich jüngst auf eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes. Diese Maßnahmen sind natürlich richtig und notwendig, doch ist es erstaunlich, dass der Staat auf einmal die Spendierhosen anhat. Die Frage ist nämlich gar nicht mehr: „Wie sollen wir das bezahlen?“ Seit Corona muss es heißen: „Wofür müssen wir notwendigerweise Geld in die Hand nehmen?“
Es erstaunlich, dass der Staat auf einmal die Spendierhosen anhat.
Den Luftverkehr zum Schutze des Klimas einzuschränken hielt die Regierung bislang nicht für sinnvoll. Aufgrund der Subventionierungen der Luftfahrt ist Fliegen heute nahezu für jedermann bezahlbar. Deshalb fühlten sich auch viele Bürger in ihrer Freiheit bedroht, als Forderungen laut wurden, die klimaschädlichen Subventionen müssten aufgehoben und Fliegen somit teurer werden. Aber ist es wirklich ein Menschenrecht, mindestens einmal im Leben die Bahamas besucht zu haben? Vielleicht werden einige Menschen erkennen, dass der Verzicht auf eine Flugreise niemanden umbringt, wenn sie diesen Sommer gezwungenermaßen zuhause verbringen.
Wir sind Natur und sterblich
Innerhalb einer völlig technisierten Welt ist es uns oft gar nicht mehr bewusst, dass wir biologische Organismen sind. Klar wissen wir es, aber wir haben es nicht ständig im Hinterkopf. So gut wie niemand denkt sich jeden Winter: „Jetzt bloß Abstand halten und Mundschutz tragen, damit ich mir nicht die Grippe einfange!“ Doch auch die Grippe ist eine, für manche Menschen, todbringende Krankheit. Corona macht uns allerdings mehr Angst, auch durch seine Medienpräsenz, und wir begreifen nun unsere Verletzlichkeit: Als Teil der Natur kann uns ein winziges Virus schädigen. Wir sind sterblich.
Als Teil der Natur kann uns ein winziges Virus schädigen.
Ein Bewusstsein für unsere Natürlichkeit lässt sich aus unserem Handeln keinesfalls ablesen. Die Natur erscheint vielfach eher als Gegenspieler des Menschen. Immer tiefer dringen wir in ihre sensiblen und komplexen Ökosysteme ein und hinterlassen teilweise irreparable Schäden – so zum Beispiel bei der Viehzucht oder beim Monokulturanbau. Dies rächt sich, da wir dadurch mit einer Natur konfrontiert werden, auf die wir nicht vorbereitet sind. Durch den Eingriff in unerforschte und tiefliegende natürliche Ökosysteme, können verschiedene Krankheiterreger freigesetzt werden, denen wir schutzlos ausgefliefert sind. Der Protest gegen den Raubbau an der Natur ist somit auch in eigener Sache der gesamten Menschheit berechtigt und wird zunehmen.
Kommt nun die Ernährungswende?
Ein weiterer Punkt ist das Essen von Wildtieren, womöglich auch von Fleisch ganz allgemein. Nahezu alle großen Epidemien der letzten 50 Jahre wurden von Tieren auf den Menschen übertragen. Seit 2005 weiß man sicher, dass das HI-Virus ursprünglich von Affen stammt. Den Ursprung von Ebola vermutet man im sogenannten „Buschfleisch“, womit Fleisch von Wildtieren wie Affen, Flughunden oder auch Stachelschweinen gemeint ist, das in Teilen Afrikas ein verbreitetes Nahrungsmittel darstellt.
Das mit Ebola nahe verwandte Marburg-Virus hat vermutlich den Nilflughund als Reservoirwirt. Die SARS-Epidemie in den Jahren 2002 und 2003 wurde durch ein dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 verwandtes Virus ausgelöst, bei dem nicht geklärt ist, ob es von Fledermäusen oder Schleichkatzen stammt. Das Fleisch beider Tiere gilt vor allem in Südchina als Delikatesse.
Schlussendlich stammt der derzeit aktuelle Corona-Erreger ebenfalls von Fledermäusen. Ein möglicher Zwischenwirt ist dabei noch ungeklärt. Die durch Nutztierhaltung auf den Menschen übergesprungene Vogel- und Schweinegrippe sollten ebenfalls bekannt sein. Womöglich findet gerade beim Thema Fleischkonsum ein Umdenken statt. Weniger Fleisch würde die weitere Rodung des Regenwaldes für Futtermittelpflanzen oder Viehhaltung bremsen und somit entlegene Ökosysteme schützen. Inwiefern ein reduzierter Genuss von Buschfleisch in Afrika möglich ist, maße ich mir nicht zu beurteilen an. Der Verzehr von Wildtieren als Delikatesse dürfte womöglich aber vor allem in Asien zurückgehen.
Das hohe Gut der Freiheit
Mit der Freiheit ist es wie mit so vielen Dingen: Man erkennt ihren Wert erst in ihrer Abwesenheit. Dass wir uns in der Bundesrepublik normalerweise ungehindert bewegen können, wird erst jetzt wieder bewusst, wo einige Bundesländer ihre Grenzen geschlossen haben. Das Verlassen der eigenen Wohnung, sich an öffentlichen Plätzen zu treffen, die Versammlungsfreiheit für Demonstrationen zu nutzen, all dies wird aktuell erschwert.
Wir erkennen gerade jetzt zudem den unschätzbaren Wert der Europäischen Union. Dass wir Staatengrenzen weitgehend ungehindert passieren können, ist eine Errungenschaft, die wir nicht als selbstverständlich wahrnehmen sollten. Nach der Krise, wenn die Einreisebeschränkungen der verschiedenen Staaten gelockert werden, wird uns unsere immense Bewegungsfreiheit in Europa bewusst werden. Natürlich trägt die Reisefreiheit in erheblichem Maße zur Verbreitung von Krankheiten bei, aber missen wollen wir sie wohl trotzdem nicht.
Nach Corona wird unsere Welt nicht mehr dieselbe sein, denn unser Denken hat sich verändert. Unterbewusst reifen schon jetzt neue Überzeugungen. Die Dinge aktiv neuzudenken, dafür gibt uns die Corona-Krise in Form einer Atempause reichlich Zeit. Mit Spannung bleibt zu erwarten, welche Taten schlussendlich aus unseren neuen Gedanken folgen werden. Doch eins steht fest: jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken.
Carpediem
Ein geistreicher und vielfälltiger Kommentar, der mich persönlich zum Nachdenken anregt hat. Ich freue mich auf neue Beiträge von Hannes. Seine Ansichtsweise spiegelt sich in meiner in den größten Teilen wieder.
Helena Renz
Dem kann ich mich nur anschließen!