Nach sieben Jahren kündigte Sigi Heidi Hohner ihren Job als Chefredakteurin bei MTV und lebt heute als Autorin auf der Fraueninsel im Chiemsee. Was bewog sie von der Großstadt Berlin auf die Insel zu gehen?
Ihr Leben auf der Insel
Sigis Haus liegt in der Nähe des Frauenklosters auf der Insel. Die Wohnküche ist rustikal mit alten Kacheln an der Wand. Die Zwillinge toben immer wieder durch das Zimmer und auf der Eckbank sitzt ihr Mann. Würde man nicht Sigis Lebenslauf kennen, würde sich unweigerlich das stereotype Bild eines beschaulichen, vielleicht sogar langweiligen Lebens aufdrängen. Ihr Leben auf der Insel steht in krassem Gegensatz zu ihrem früheren Leben in Berlin: Als Chefredakteurin bei MTV besitzt sie damals ein Loft und trägt schicke Kleidung. Eine Arbeitswoche von 60 Stunden und Vielfliegerstatus bestimmen ihren Alltag.
Heute läuft sie schon mal den ganzen Tag in Jogginghose herum, muss das Feuerholz hereinholen und kauft im Inselladen ein, der das Nötigste in einem kleinen Raum anbietet. Ihr Leben wirkt heute auf den ersten Blick entbehrungsreich und nicht unbedingt beneidenswert. Warum entschied sie sich dafür?
Erfolgreiche Karriere bei MTV
Nach einem Psychologiestudium in München merkt Sigi schnell, dass ihre Kunden in einer Unternehmensberatung sie nicht ernst nehmen. Zudem begreift sie auch nicht wirklich, welche Ratschläge sie ihnen weitergibt, denn sie wiederholt nur laut die erlernten Studieninhalte. Es kommen einige Jahre, in denen sie Party macht und sich mit Jobs in der Gastronomie über Wasser hält. Über einen Freund, der Maskenbildner ist, gelangt sie schließlich zum Fernsehen.
Es folgen der Einstieg bei MTV und eine rasante Karriere. Als Chefredakteurin erreicht sie bald ein Leben, um das sie viele beneiden. Doch Berlin mit seinen vielen Möglichkeiten bietet Sigi zu viel. Sie möchte am liebsten alles machen und auch im Job gibt es kein “genug” für sie. Am besten immer 180 Prozent. Gleichzeitig sucht sie Freiraum und braucht Luft zum Atmen.
Über 18 Jahre hat sie eine Essstörung und trinkt zu viel Alkohol. Beim Feiern in München lernt sie ihren Mann kennen und wird schließlich mit 40 Jahren schwanger. Ein Wendepunkt für sie. Denn sie will eine gute Mutter sein und sich mindestens ein Jahr Zeit für ihr Kind nehmen. Sicherlich hätte sie es geschafft, ie Kita bei MTV in Anspruch zu nehmen und weiterarbeiten, wie ihre Chefin. Doch das wollte sie nicht und nach dem Jahr Babypause kehrt sie auch nicht zurück. Sie kündigt und fällt erst einmal heraus, aus dem “System MTV”, wie sie sagt. An die Jahre dort denkt sie heute gerne und ohne Bedauern zurück. Doch an diesem Punkt “war die Zeit reif”, meint sie. Denn Sigi ist ein Gefühlsmensch und trifft Entscheidungen aus dem Bauch heraus.
Die Leere danach
Doch als sie bei MTV aufhört, ist kein Gefühl der Freiheit da. Vielmehr fällt sie in eine Leere und denkt: “Wer bin ich denn noch?” Ihr Mann bringt die Familie mit einer Festanstellung durch und Sigis Dasein wird erst einmal vom Windeln wechseln geprägt und davon, um 19 Uhr das Abendessen auf den Tisch zu bringen.
Sie wohnt mit ihrem Mann und dem Baby nun in München und als dort die MTV Europe Musik Awards stattfinden, denkt niemand der alten Kollegen daran, ihr eine Einladung zukommen zu lassen. “Das hat weh getan”, räumt sie ein. Immer wieder ruft sie sich rational ihre Beweggründe ins Gedächtnis. Sie beginnt an ihrem ersten Manuskript zu schreiben, verkauft sogar ihr Auto und schreibt weiter. Mit ihrem Mann und dem Baby wohnt Sigi zu dieser Zeit in ihrer alten Münchner Studentenwohnung mit Außenklo.
Ein starker Unterschied zum schicken Leben in Berlin, wo die Kollegen weiterhin gut gekleidet in Meetings sitzen. Sigi kann all das über Facebook verfolgen. Auch heute noch müsse sie da natürlich auf sich achten und Statusmeldungen von Bekannten sieht sie sich nur an guten Tagen an. “Natürlich”, räumt sie ein, “gab es Punkte, wo sie die Entscheidung bereute dann auch noch von München auf die Fraueninsel zu ziehen”. Besonders im ersten Winter war es nicht leicht. Der See war zugefroren, es gab nur noch eingeschränkten Schiffsverkehr zum Festland und das graue Wetter bei -30 Grad ließ sie an der Richtigkeit der Entscheidung zweifeln. Heute, vier Jahre später, hat sie ein Büro in Prien, geht dort zum Yoga und ist glücklich, wenn sie sieht, in welcher Umgebung ihre Kinder aufwachsen und wie gesund sie sind.
Was bedeutet es auf der Insel zu wohnen?
Drei Worte hat Sigi, um die Insel zu beschreiben: Heilsam, einzigartig – und gefährlich. Das Leben ist nicht nur idyllisch dort vor der Postkartenlandschaft der bayerischen Berge. Manche stoßen hier an ihre Grenzen und nicht jeder kann es mit sich selbst aushalten. Au-Pairs, die sie für ihre Kinder hatte, kamen mit der Abgeschiedenheit nicht zurecht und auch Beziehungen scheitern in der Enge. Sie selbst hat hier Ruhe gefunden und fühlt sich gesünder denn je. Wenn der Kopf voll ist, läuft sie über die Insel oder macht Stand-up-Paddling. Wenn sie aus dem Wasser zurückkommt, spürt sie Glück, Hunger und Müdigkeit. Dann ist sie ganz bei sich. Vielleicht hat ihr auch das Yoga geholfen, sinniert sie. Eines steht jedenfalls fest: Nie fühlte sie sich so gut.
Aber ihre Auszeiten von der Insel braucht sie. Dann fährt sie mit ihrem Mann ein Wochenende weg oder trifft sich mit ihrem besten Freund in München. Sie weiß, was sie an ihrer Insel hat und kommt immer wieder gern zurück. Daran können auch die Massen von Touristen nichts ändern, die im Sommer gerne das Mittagessen im Garten stören oder mit ihr über ihre Hortensien reden wollen.
An guten Tagen hält sie das aus, an schlechten Tagen geht sie in den Garten hinters Haus. Auch auf der Insel kann man flüchten. Natürlich tue es auch dem Ego gut, wenn einige der Touristen sie bitten, ihre Bücher zu signieren. Dann ist sie doch ein bisschen mehr als die “Hohnerin” von der Fraueninsel. Die Bewohner haben sie nach einiger Zeit akzeptiert. Was auch nicht selbstverständlich ist und natürlich gibt es auch hier Tratsch. Da weiß es dann auch gleich die ganze Insel wenn die Polizei wegen eines kleinen Strafzettels vor der Tür steht.
Sigis Leben heute
Als Autorin veröffentliche Sigi bisher die Bücher “Zipfelklatscher” und “Betthupferl”. Im Herbst erscheint zudem ihr neues Buch “Schluchtenscheißer”. Typisch bayerische Titel. Das Schreiben hat sie sich mehr oder weniger selbst beigebracht und reagiert gelassen als ich frage, ob sie denn nichts andere könne als nur lustig und bayerisch angehaucht zu schreiben. Gerade hat sie das Manuskript für ihren ersten Kriminalroman abgegeben und wartet nervös auf das Feedback des Verlags. Auch hier sei sie wieder Humor mit dabei.
Irgendwann will sie auch noch einen historischen Roman schreiben. Wenn die Kinder größer sind und sie ein oder zwei Jahre in der Bibliothek in München recherchieren kann. Wird ein Manuskript nicht zum Buch, ist das finanziell und ideell ein Scheitern für Sigi. So viel Gelassenheit hat niemand. Nicht mal sie auf ihrer Insel, die sie glücklich macht, weil sie dort lernte zur Ruhe zu kommen. Denn das kleine Stückchen Erde bringt es seinen Bewohnern schon bei, dass es nur begrenzte Möglichkeiten gibt und Multitasking hier nicht funktioniert.
Von der Sigi die ihr Psychologiestudium nur ihren Eltern zu Liebe machte und weil sie sich Medizin nicht zutraute, ist nichts mehr übrig. Damals war es nicht möglich, nicht zu wissen, was man wolle. Das weiß sie heute. Auch mit Mitte 40 wirkt man manchmal wie ein kleines Kind, das immer Neues entdecken will. Wie lange sie noch auf der Insel wohnt, weiß sie noch nicht. Gerade ist sie zufrieden. Auch wenn es mal wieder kalt und neblig wird, der See zufriert und die alten Bekannten in Berlin glamouröse Bilder auf Facebook posten.
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