Nadine ist 21, Studentin und liebt alles, was mit Disney zu tun hat. Doch eine Sache unterscheidet sie von ihren Kommilitonen: Mit 17 erleidet sie den ersten von vielen epileptischen Anfällen und wird später mit PNES diagnostiziert – einer psychisch bedingten Form von Epilepsie. Wie sie mit der Diagnose umgegangen ist, wie sie Studentenleben mit PNES meistert und wie die Krankheit ihr Leben bestimmt – negativ und positiv – das könnt ihr hier nachlesen.
Unser Alltag ist geprägt von vielen kleinen Problemen. Täglich stehen wir vor dem Spiegel und fragen uns, was wir anziehen sollen; sind schlecht gelaunt wegen eines Streits oder weil die Mitbewohner mal wieder nicht aufgeräumt haben; meckern über Lernstress oder weil wir am Ende des Monats wieder einmal nicht mit dem Geld ausgekommen sind. Doch was wir häufig nicht ausreichend zu schätzen wissen, ist etwas viel Wichtigeres: unsere Gesundheit. Und die ist leider nicht allen vergönnt. Das Leben von chronisch kranken Menschen wird von anderen, viel größeren Problemen bestimmt – mit einer Krankheit zu leben, die nicht wie eine Erkältung nach kurzer Zeit verschwindet, sondern den Betroffenen dauerhaft im Alltag einschränkt. Manchen Menschen merkt man es äußerlich nicht einmal an, dass sie an einer Krankheit leiden. Und doch gibt es sie. Vielleicht ist es die freundliche Nachbarin oder der Kommilitone aus der Studentenverbindung. Eine Betroffene ist auf meiner Uni. Ein bildhübsches, aufgeschlossenes und lebensfrohes Mädchen – Nadine. Auch ich wusste lange nicht, dass sie an PNES leidet.
Obwohl angenommen wird, dass etwas 20 bis 30 Prozent der Epilepsie-Patienten mit PNES diagnostiziert werden, ist die Krankheit bisher relativ unerforscht, da sie von psychologischen Problemen ausgelöst wird und nicht – wie häufig – auf neurologische Ursachen zurückzuführen ist. Wie sie genau entsteht, das kann sich bisher keiner so richtig erklären. Daher gibt es keine spezifischen Medikamente oder eine Behandlung, um gesund zu werden. Als Nadine vor vier Jahren ihren ersten epileptischen Anfall und später die Diagnose PNES bekommen hat, wäre es deshalb naheliegend für sie gewesen, den Kopf in den Sand zu stecken. Doch das hat sie nicht gemacht. Stattdessen hat sie versucht, ihren eigenen Weg zu finden, um sich besser zu fühlen. Sie hat über das Internet andere Menschen mit PNES ausfindig gemacht und ist schließlich zu einer PNES-Konferenz nach New York geflogen. Außerdem hat sie vor einem Jahr angefangen, einen Blog über ihr Leben mit PNES zu schreiben. Doch das ist noch längst nicht alles – im folgenden Interview legt Nadine dar, wie sie im Alltag mit PNES umgeht und wie sie ihrer Krankheit eine positive Bedeutung gibt.
Die Krankheit akzeptieren als erster Schritt zur Besserung
Nadine, wie hast du dich gefühlt, als du nach deinem ersten epileptischen Anfall 2011 die Diagnose für PNES bekommen hast?
Es war eine große Erleichterung. Die Zeit zwischen meinem ersten epileptischen Anfall bis zur Diagnose war lang, anstrengend und enttäuschend. Nach meinem ersten epileptischen Anfall bin ich zu einem Neurologen gegangen. Doch als die Daten meines Hirn-CTs ergaben, dass ich gesund sei, wurde ich nach Hause geschickt. Um ehrlich zu sein, fühlt man sich verzweifelt und allein. Es scheint, als ob es niemanden auf der Welt gibt, der weiß, was falsch mit deinem Körper ist. Und mit vier bis fünf epileptischen Anfällen am Tag kannst du deinem eigenen Körper nicht mehr vertrauen.
Was hast du getan, um aus dem Tief dieser Zeit herauszukommen?
Ich habe eine lange Zeit gebraucht, um mich besser zu fühlen. Psychologen und Neurologen sagen, der erste Schritt zur Besserung sei die Diagnose zu akzeptieren. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Außerdem war es schwer für mich zu verstehen, dass die Ursache nicht neurologisch, sondern psychologisch ist. Auch wenn es für mich schon hart war, meine Familie und Freunde hatten sicherlich noch mehr zu kämpfen.
Im Mai 2014 hatte ich die Idee einen Blog über PNES zu schreiben, nachdem ich einige Nachforschungen gemacht hatte und merkte, dass die Epilepsieklinik, die mein Erkrankung festgestellt hat, nicht viel mehr über meine Erkrankung wusste. Ich entschied mich dazu, dass es Zeit für Veränderung war und habe über eine Konferenz für PNES-Patienten und Angehörige in New York erfahren. Ich nahm mir vor, daran teilzunehmen und sobald ich diese Entscheidung getroffen hatte, habe ich mich auch dazu entschlossen, einen Blog für andere Betroffene zu schreiben.
Du bist nicht allein – Das weltweite Netz als Unterstützung
Wie hilft dir das weltweite Netzwerk von PNES-Erkrankten?
Es kann dir so sehr helfen, sich mit jemandem auszutauschen, der die gleichen Erfahrungen macht wie du selbst. Dies vor allem an Tagen an denen du einen epileptischen Anfall hast und du dich fühlst, als hätte dich ein LKW überrollt, weil sich deine Muskeln wie bei einem starken Muskelkater anfühlen. Es ist so eine Erleichterung, sich mit Menschen auszutauschen, die ebenfalls Erfahrung mit solchen Gefühlen und Symptomen haben.
Was denkst du über Aktionen wie die Ice Bucket Challenge? Haben diese das Potential, Erkrankten wirklich zu helfen?
Ich denke soche Internet-Initiativen können prinzipiell helfen, aber die Gefahr ist, dass sie bloß ein kurzer Hype sind und deshalb schnell wieder verschwinden. Immerhin helfen diese Hypes sehr dabei, auf bestimmte Erkrankungen aufmerksam zu machen, was ich für absolut wichtig halte und deshalb super finde!
Leben mit einer Krankheit im Alltag
Inwiefern unterscheidet sich dein Leben von dem deiner Kommilitonen? Wie versuchst du Normalität in deinen Alltag zu bringen?
Alles in meinem Leben muss mit meiner Krankheit vereinbar sein. Es scheint, als hätten meine Kommilitonen Tonnen von Energie, während ich jeden Teil meines Tages mit der geringen Energie, die ich habe, haushalten muss. Kann ich heute zum Sport gehen oder sollte ich mich lieber ausruhen? Kann ich zu dieser einen Geburtstagsparty gehen oder bin ich zu müde? Will ich feiern gehen? Wenn, dann sind der Tag davor und der Tag danach komplett zum Ausruhen da, denn wenn ich müde bin, riskiere ich es, einen epileptischen Anfall zu bekommen. Und ein epileptischer Anfall bedeutet fünf bis sieben Tage ausruhen. Jemals von der ‚Spoon-Theory‘ gehört? Es beschreibt das Leben einer Frau mit einer chronischen Krankheit, die versucht, einer Freundin zu erklären, wie es ist mit dieser Krankheit zu leben. Es ist brillant erklärt und so wahr.
Wie schaffst du es an schlechten Tagen positiv zu bleiben?
Ablenkung. Von der Couch aufstehen, einen Spaziergang machen, einen Tierpark besuchen, ins Kino gehen, Freunde einladen. Immer wenn ich gerade einen epileptischen Anfall hatte, ist alles, was ich tun will, schlafen. Aber um ehrlich zu sein, werde ich davon nicht glücklicher. Deshalb versuche ich, kurze Spaziergänge zu machen oder wenn ich mehr Energie habe, etwas anderes zu tun. An meinen schlimmsten Tagen habe ich zum Glück eine tolle Familie und Freunde hinter mir, die mich dazu motivieren, aus dem Haus zu gehen. Ich denke, das ist sehr wichtig, denn wenn du drinnen bleibst, ist die Gefahr, dass du in einen Teufelskreis aus Müdigkeit und auf der Couch liegen kommst. Diesen Kreislauf zu brechen hat mir viel Energie gegeben und meine Laune hat sich auch verbessert.
Versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, ist der Schlüssel
Was würdest du anderen raten, denen solch eine Krankheit diagnostiziert wird?
Die Krankheit zu akzeptieren – so schwer das auch ist. Ich denke, das ist der allererste Schritt, um zu lernen, damit zu leben. Sobald das für dich funktioniert, wirst du vielleicht auch versuchen, aus der Situation etwas Positives zu gewinnen.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
In sechs Wochen fliege ich nach New York, um ein Praktikum bei der ‚Epilepsy Free Foundation‘ zu absolvieren und die zweite Konferenz für PNES-Patienten mit zu organisieren. Außerdem habe ich das Ziel, den Austausch zwischen Psychologie und Medizin zu verbessern, weil ich denke, dass sehr viel daraus gewonnen werden könnte. Vor allem in einer Welt, in der immer mehr Menschen, unter ihnen auch viele Jüngere, mit psychologischen Problemen zu kämpfen haben, die von Druck und Stress versursacht werden.
Das Beispiel von Nadine kann hoffentlich Erkrankten, Freunden oder Angehörigen unter euch Mut machen, eine schlechte Diagnose nicht bloß als etwas Negatives zu begreifen, sondern sie zu akzeptieren und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Besonders wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass ihr mit eurer Krankheit nicht allein seid. Nutzt die sozialen Netzwerke, teilt eure Erfahrungen und denkt an das Motto, welches auch das von Nadine ist: „Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus.“
Hier sind die Links zu Nadine’s Blog ‚morethanpnes‘ und der ‚Spoon- Theorie‘:
https://morethanpnes.wordpress.com/
http://www.butyoudontlooksick.com/articles/written-by-christine/the-spoon-theory/
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