Die Aufklärungsszene auf YouTube hat einige Begriffe etabliert, welche Menschen mit Persönlichkeitsstörungen stigmatisiert und ein Bashing fördert. Zielführende Aufklärung oder ein gefährlicher Trend, der zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt?
Emotionaler Missbrauch ist meist für das Scheitern einer Liebesbeziehung ursächlich. So jedenfalls erklären es die „Empathen“, welche mit dem „toxischen“ Menschen eine Beziehung eingegangen sind, groß und breit auf ihren Aufklärungskanälen auf Social Media. Die inflationäre Benutzung des Wortes „toxisch“ ist mir bereits seit längerem aufgefallen. Auf einmal ist alles toxisch, was nicht rund läuft oder schwierige Gefühle in einem auslöst. Doch was hat das Umfeld oder die Person mit deinen Gefühlen zu tun? Niemand im Außen ist für deine Gefühlslage verantwortlich. Wenn eine Situation dich triggert, also etwas in dir auslöst, dann solltest du deinen Blick nach innen richten und deine wunden Punkte auflösen. Und nicht jeder, der diese Gefühle in dir auslöst, ist ein Mensch mit Persönlichkeitsstörung!
Kategorisierung verschiedener Charaktertypen dient der Abwehr der Eigenverantwortung
Die Etablierung von Begriffen wie „Empathen“, „Toxen“, „Opfern“ und „emotionaler Missbrauch“ ist, meines Erachtens, eine einfache Weise, sich der Verantwortung seiner eigenen Gefühlswelt zu entziehen. Jemand anderes hat etwas mit mir gemacht. Ich bin ein Opfer, also setze ich ihm nun den Stempel auf. Der „toxische“ Mensch hat mir etwas angetan. Er hat „emotionalen Missbrauch“ an mir begangen. An dieser Stelle ist es wichtig, Grenzen zu setzen. Fakt ist doch, dass es niemanden weiterbringt – auch dich selbst nicht – wenn du nun die Verantwortung, die Schuld suchst, für einen Schmerz, den du bereits in dir trägst. Viel entscheidender ist es, die Ursache zu finden, sodass du diesen auflösen und dich in deinem Bewusstsein weiterentwickeln kannst. Eigentlich solltest du deinem / deiner „toxischen“ Ex-Partner/in dankbar sein, dass er oder sie dir dieses Geschenk gemacht hat, um dich persönlich weiterzuentwickeln.
Manche Aufklärer-Kanäle schüren mehr Hass, als dass sie der sachlichen Aufklärung dienen
Doch scheinbar ist es für viele einfacher, im Hass zu verharren. Doch, dass diesem Hass nun mit der Aufklärungsszene eine weitere Plattform geboten wird, ist bedenklich. Die Verteilung der Schuld und somit die Abwehr der Eigenverantwortung wird in vielen Kommentaren auf YouTube -Videos deutlich. Einige Beispielkommentare, welche ich auch unter sachlichen Aufklärungsvideos gefunden habe, möchte ich hier einfügen, sodass sich jeder ein eigenes Bild machen kann, ob die Aufklärung über Persönlichkeitsstörungen mancher Kanäle so zielführend ist.
Es zeigt sich ein gefährlicher und besorgniserregender Trend, welcher die Gesellschaft spaltet und diese in die durch die Aufklärer etablierten Begrifflichkeiten wie “Toxen”, “Empathen” und “Opfer” aufteilt. Keine sachkundige, auf eine psychologische Ausbildung fundierte Aufklärung nutzt dieses Begriffe. Und leider gibt es genug unreflektierte Menschen, welche auf diesen Hass und Hetze schürenden Zug aufspringen und ein falsches Bild von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen entwickeln und in aller Öffentlichkeit in Social Media und YouTube kund geben.
Ich selbst habe eine Borderline-Persönlichkeitsstruktur entwickelt, gelte somit nach diesem Schema der YouTube-Aufklärer zu den „Toxen“. Nach diesen genannten Aussagen wird mir das Recht auf Leben und Liebe abgesprochen, weil ich und viele andere Betroffene, ob nun wirklich diagnostiziert, – oder vielleicht nur vom Ex-Partner etikettiert – emotionalen Missbrauch an der Menschheit im Allgemeinen und den eigenen Beziehungspartnern im Speziellen begangen haben. Oft begegne ich auch der Fragestellung in YouTube-Titeln, ob „persönlichkeitsgestörte“ Menschen Dämonen seien und der Hölle entsprungen wären?
Ändere deine Betrachtungsweise auf deine persönliche Geschichte
Ja, Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben die Hölle in verschiedenen Abstufungen hier auf Erden erleben müssen. Weil es ihre Eltern auch in vielen Fällen nicht anders erfahren haben. Doch statt dem ewigen Kreislauf der Schuldzuweisungen weiter zu verfolgen, wäre etwas mehr Verständnis und Mitgefühl an dieser Stelle angebracht. Franz Kafka hat in einem Brief an seinen Freund Oskar Pollak vom 08.November 1903 diese Worte verlauten lassen, welche vielleicht auch meine Leser berührt und eine andere Betrachtungsweise der eigenen persönlichen Situation zulässt:
„Verlassen sind wir doch wie verirrte Kinder im Walde. Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn´ wie vor dem Eingang zur Hölle…
Den Kreislauf der Verletzungen durchbrechen und vergeben
Es geht nicht darum, dass wir Menschen uns gegenseitig irgendwelche Stempel aufdrücken. Es geht darum, dass wir mehr Mitgefühl und Verständnis füreinander aufbringen und so diese Welt zu einem besseren Ort machen können. Wenn jeder bei sich anfängt, die Situationen und verletzenden Taten einer anderen Person nicht mehr auf sich bezieht, sondern den Schmerz dahinter versteht. Wenn Menschen uns verletzten, zeigt es oft nur ihren eigenen Schmerz. Und dieser Schmerz hat mit deiner Person ebenso wenig zu tun, wie das Leid, welches ein persönlichkeitsgestörter Mensch durch seinen „Täter“ erfahren musste.
Und wenn ich es schaffe, meinem „Täter“ zu verzeihen, der mir durch sein Verhalten diese Störung beschert hat, dann kannst du vielleicht auch deinem Ex-Partner / deiner Ex-Partnerin vergeben und aufhören, ihm / ihr die Hölle zu wünschen. Denn es ist ihm / ihr nicht egal, es verletzt zutiefst! Er / Sie hat diese bereits erlebt – und überlebt! Und nur deshalb hat er einige „toxische“ oder sagen wir lieber „ungünstige“ Verhaltensweisen in der sozialen Interaktion mit anderen Menschen erlernt.
Sandra Ehmcke
Moin,
vielen vielen Dank, Du drückst mein Empfinden in den richigen Worten aus. Im vergangenen Jahr, bin ich sehr mit meinem inneren Gefühlsleben konfrontiert worden.
Menschen im außen haben Worte benutzt wie “diese Person ist toxisch” “red Flag”. Das war mir immer zu einfach gedacht. Da ich für mein Gefühle & deren Impulkontrolle selber verantwortlich bin.
Gereift, gestärkt, gewachsen bin ich durch diese Phase herausgekommen.
Im inneren meines Herzens werde ich diesem Menschen, dieser Begegnung ewig dankbar sein. Bedauerlicherweise hat dieser Mensch den Kontakt zu mir abgebrochen & ich kann es nicht zum Ausdruck bringen. Das nicht mitteilen zu können ist schlimm. Es ist eine Entscheidung des Menschen, die nicht in meinem Händen liegt.
Danke für Deinen Beitrag. Wir müssen für den Zusammenhalt in dieser demokratioschen Gesellschaft aufklären, informieren, zuhören & verstehen.
Herzliche Grüße
Sandra
Rainer Winkler
Wenn ich den Artikel lese bekomm ich graue Haare als ein Mensch der nicht nur mit einer Person zusammen war die toxisch war. Ja toxisch! Aber es gibt in den Spiel kein Opfer und Täter beide sind immer beides. Mit einem kleinen Unterschied der Mensch mit dem Defizit sollte sich wirklich mit seiner Krankheit auseinandersetzen und offen zu seinem Partner sein das können die meinsten aber nicht weil es schon daran scheitert das sie kein Vertrauen zu dem Partner haben. Und es gibt für mich da auch eine klare Regel gerade bei Narzisten der Narzist muss dem Empathen mehr trauen als seiner Gedankenwelt ansonsten ist das ganze zum scheitern verurteilt und der Partner einer Borderlinerin muss sich mit dieser Krankheit auseinandersetzen was die einzelnen Verhaltensweisen angeht bzw. Er muss den Partner lesen können aber auch hier müssen beide alles offen kommunizieren ansonsten ist auch die Beziehung zum scheitern verurteilt. Also das Credo heisst vertrauen und kommunizieren und wenn das nicht der Fall ist sollte man sich trennen.