„Ich halte diese Schmerzen nicht mehr aus. Ich brauche jetzt Hilfe!“, schrie ich aus tiefster Verzweiflung. Leider fand ich über Jahre hinweg keine zufriedenstellende Therapie über die sogenannte Schulmedizin. Daher begab ich mich auf alternative Wege und war überrascht, mit welchen Methoden und Überzeugungen ich konfrontiert wurde. Wie ich mir über die Jahre einen Leitfaden erstellte, um in dem wilden Angebotsdschungel zurechtzukommen, davon berichte ich dir nachfolgend.
Der erste Fehler
In mir hat sich sehr früh ein Gedanke eingeschossen: „Mit mir stimmt etwas nicht und ich weiß nicht, was es ist.“ Mit dieser Unklarheit, Verwirrtheit, dem Gefühl der Ohnmacht und mangelnder Selbstwirksamkeit gebar ich die Überzeugung: „Ich kann mich nicht auf mich selbst verlassen. Die Menschen da draußen wissen besser, was ich brauche. So können und müssen mir Ärzte weiterhelfen.“
So begab ich mich von einer Sprechstunde in die andere mit dem Ergebnis: „Wir wissen auch nicht, was Ihnen fehlt. Machen Sie mehr Sport, leben Sie so und so, nehmen Sie ein Psychopharmakon gegen die Schmerzen…“ Frustriert öffnete und schloss ich eine Arztpraxistür nach der anderen. Ich kam mir völlig entfremdet von mir selbst vor, was sich in massiver Selbstablehnung manifestierte.
Alternative Wege
Als ich derart in einem chronischen Schmerzsyndrom gefangen war, hielten meine Augen nach jedem Strohhalm Ausschau. Mein Körper kam mir wie ein Feind vor, der mich jeden Tag aufs Neue mit Symptomen bombardierte. In meiner Hilfslosigkeit besuchte ich Entspannungskurse, Fitnessangebote, interkulturelle Bewegungsangebote, Heilpraktikersitzungen usw. Meine Verwirrtheit war am Gipfel angelangt, als ein Therapeut mich fragte, ob er „mal schauen dürfe, was mit mir nicht stimmte.“ Er begann Schnalzlaute von sich zu geben und mit den Armen zu wedeln.
Meine Mutter und ich schauten uns fragend an: „Was macht der Mann da?“ Danach setzte er sich hin, schaute mich an und fragte: „Hast du gerade Streit? Kann es sein, dass es sich hierbei um eine weibliche Person handelt?“ Ich bejahte dies und überlegte, ob diese ungeklärte Beziehung mit einer Freundin meine bereits jahrelang bestehenden Schmerzen verstärkt hatte. Ein anderes Mal bot mir ein Therapeut eine kostenlose Erstbehandlung an. Erst im zweiten Gespräch, nachdem sich in mir Zweifel hegten, erklärte er mir: „Ich lege ihnen die Hände auf. Ich sehe dann recht schnell, was bei Ihnen los ist.“ Mit dieser Erläuterung lehnte ich eine Behandlung vor Ort ab.
Meinen Fahrplan im Angebots-Dschungel festlegen
Diese Erfahrungen ließen mich zu der Erkenntnis kommen, dass ich mir einen Fahrplan zurechtlegen will, wie ich mit dem überaus großen Angebot an Behandlungsmethoden umgehen möchte, um im Notfall mich nicht auf „irgendetwas“ einzulassen. Hier findest du meinen Leitfaden:
1) Fragen stellen:
Ich stelle dem Therapeuten vorab Fragen. Welche Methode wenden Sie in der Therapie an? Kann ich mir dazu Informationen durchlesen? Gibt es schon wissenschaftliche Erkenntnisse dazu? Welche Kosten werden auf mich zu kommen? Wie oft werde ich zu Ihnen kommen (müssen) für eine Schmerzlinderung?
2) Gesundheit – nicht um jeden Preis:
Ich war öfters kurz vor der Schwelle, Therapien anzunehmen, obwohl sie meinen inneren Überzeugungen und Wertvorstellungen widersprachen. Manchmal drückte ich mein ungutes Bauchgefühl weg. Im Nachhinein lag ich öfters richtig damit. Für mich ergab sich die Überlegung: Erst einmal durchatmen, das Therapieangebot mit meinen Wertvorstellungen abgleichen, mich innerlich davon distanzieren, andere Menschen gegebenenfalls um Rat fragen und später konkrete Therapietermine ausmachen.
3) Nicht alle Mittel und Wege kommen infrage:
Beim Nachfragen, wie eine Therapie wirkt, hörte ich öfters mal: „Wir wissen nicht, wie sie wirkt. Aber Hauptsache sie wirkt.“ Da habe ich für mich erkannt, dass ich mein Herz, das ich rein bewahren möchte, höherstelle, als dass die Schmerzen aufhören. Ich habe für mich festgelegt, dass ich nicht jeglicher Energie, Macht oder irgendeiner übernatürlichen Vorstellung glauben und mein Vertrauen schenken möchte.
4) Hilfe in Anspruch nehmen:
Ich kam in meiner chronischen Schmerzerkrankung öfters an den Punkt, dass ich mich selbst bemitleidete, krank und gleichzeitig mittellos zu sein. Ich wollte Therapien in Anspruch nehmen, wozu ich kein Geld übrighatte. Ein Freund brachte mich auf die Idee, in meinem Familien- und Freundeskreis zu fragen, wer mich gerne bei der finanziellen Umsetzung unterstützen möchte. Später war ich allerdings auch dankbar für die begrenzten finanziellen Mitteln, weil ich so viel genauer überlegt habe, worauf ich mich wirklich einlassen wollte und setzte die Prioritäten anders.
5) Angst überwinden:
Bei einem Therapieangebot machte ich mir manchmal starken, innerlichen Stress, dass ich mich sofort um Termine kümmern müsste oder ich war in der Angst getrieben, hoffentlich bald wieder einen Termin zu bekommen. Ich begann, der Angst mehr zuzuhören und versuchte, andere Wege einzuschlagen. Oder ich überlegte, wie es sich innerlich anfühlt, zu hören: „Ich bin versorgt, mit allem, was ich gerade brauche.“
6) Geduldig sein:
Manchmal fing ich Therapien an und beendete sie recht schnell wieder, weil sich für mich keine merkliche Linderung einstellte. Rückblickend stellte ich eine Überforderung fest, wenn man zu schnell Therapien nacheinander ausprobiert. Ich gönnte mir keine Ruhe, um erst einmal zu beobachten.
7) Besinnung und in mich kehren:
Bevor ich euphorisch oder gar nervlich am Ende einem Hilfsangebot zustimmte, spürte ich in mich hinein und versuchte, mich zu entspannen. Wie geht es mir damit, dieses Hilfsangebot anzunehmen? Wie wäre es mit einer Ablehnung? Ist es das, was ich jetzt brauche?
8) Selbsthilfegruppen, Erfahrungsaustausch, Wissensnetze nutzen:
Mit den Jahren lernte ich immer mehr Menschen mit chronischen Schmerzen kennen und fragte nach deren Erfahrungsschätzen. Oft gab es Kontaktdaten von Ärzten, Therapeuten, Blogs, YouTube-Berichten, etc. Natürlich braucht jeder eine individuelle Therapie und was dem einen hilft, schadet dem anderen vielleicht. Trotzdem habe ich sehr von den Berichten anderer Patienten profitiert.
9) Hilfsmittel ausprobieren:
Ich durfte in Krankengymnastiktherapien unterschiedliche Hilfsmittel ausprobieren und überlegte mir, ob ich mir das ein oder andere Utensil für zu Hause besorgen möchte, zum Beispiel Gymnastikbälle, Bänder, ein Schwingtrampolin, Balancierbrett, Massagebälle, Rollen, Gymnastikmatte, Kühlcreme etc.
10) Recherche:
Es gibt auch über die gesetzliche Krankenkassen Kliniken, die eine naturheilkundliche Station haben oder sich beispielsweise auf Umwelterkrankungen spezialisiert haben. Es lohnt sich, selbst zu recherchieren und in Selbsthilfegruppen nachzufragen.
11) Kostensparende Therapien nutzen:
Es gibt Angebote über die Krankenkassen, die für Schmerzpatienten Hilfe anbieten, beispielsweise Rehasport oder Wassergymnastik. Auch gibt es Präventionskurse, die die Krankenkassen bezuschussen.
12) Nein sagen:
Ich komme aus einem Hintergrund mit mehreren Übergriffen und eigentlich habe ich es nie gelernt, dass ich Nein sagen darf oder manchmal sogar muss. Ich muss mir nicht alles anhören. So habe ich auch mal einen Vortrag vorzeitig verlassen, als die Referentin aus meiner Sicht seltsame Gesten von sich gegeben hatte.
13) Mitbestimmung:
Manchmal habe ich in Kliniken das Programm nur so über mich ergehen lassen. Ich dachte, bei Ablehnung der Therapien als Querläufer oder Trotzkopf abgestempelt zu werden. Heute wäge ich für mich die Vor- und Nachteile der Therapien ab und entscheide mich dafür oder dagegen. Oder ich probiere die Therapie aus und entscheide dann.
14) Schmerz lass nach:
Mancher Schmerz lässt sich deutlich besser aushalten, wenn man weiß, dass man bald einen Arzt- oder Therapeutentermin hat. So war und ist es zumindest bei mir. Manchmal kam ich aber durch dieses Gedankengut in ein sehr zermürbendes, anstrengendes Gedankenkarussell, spätestens dann, wenn der Arzttermin erst in drei Wochen war, er abgesagt wurde, ich bei einem neuen Arzt nicht aufgenommen wurde, der Arzt nur private Krankenkassen-Patientien aufgenommen hat oder ich selbst bei Vorstellung in der Sprechstunde keine weiterbringende Erkenntnis bekam. Ich machte mich so abhängig davon, was jemand anderes für mich tat. Das brachte mich oft in eine verzweifelte Ohnmacht hinein.
15) Ruhe bewahren:
Wenn dieses oben beschriebene Gedankenkarussell einsetzte, versuchte ich, zur Ruhe zu kommen. Was brauche ich jetzt? Wen könnte ich jetzt kontaktieren und von meinem Schmerz berichten? Was kann ich jetzt selbst tun? Wie kann ich jetzt meinen Schmerz annehmen? Möchte ich jetzt trotzdem meinen Körper als Freund sehen, obwohl er mir als Feind vorkommt? Will ich mich gerade trotz allen Übels selbst lieben?
Den goldenen Mittelweg finden!
Nach ungefähr vierzehn Jahren ungeklärter Schmerzen erhielt ich doch noch eine schulmedizinische Diagnose und bekam ausreichende und zufriedenstellende Therapieangebote. Ich habe festgestellt, dass es für manche Therapien die passende Zeit und die innere und äußerliche Reife braucht. Neben der Schulmedizin bin ich sehr dankbar für kreative, alternative Heilmethoden. Trotz allem bewahre ich mir meine kritisch-hinterfragende Einstellung und nehme nicht jedes Heil- oder Hilfsangebot wahllos an.
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