In Teil 1 schilderten Betroffene von Essstörungen ihren Leidensweg. In diesem Artikel werden sie von ihrem Umgang und ihren Lösungsstrategien berichten. Auch geben sie Einblicke, welche Erkenntnisse sie durch Therapieangebote gewannen.
Dieser Artikel beinhaltet Selbsterfahrungsberichte. Wenn du selbst betroffen bist, wendest du dich am besten gezielt an Fachkräfte. Am Ende des Artikels findest du zusätzliche Hilfs- und Unterstützungsangebote.
Die Einsicht
„Es war „in“ in meiner Schule, sehr gute Noten zu schreiben, schlank und cool zu sein. „Cool sein“ war nie mein Ding, also setzte ich alles daran, wenigstens eine hohe Leitungsbereitschaft zu zeigen und weiterhin mein „Essensprogramm“ durchzuziehen. Aber ich schaffte es nicht, schlank zu sein. Frustriert gab ich meine Bemühungen auf und tröstete mich mit Essen. Es dauerte lange Zeit, bis ich bemerkte, in welchem Teufelskreis ich gefangen war. Daraufhin suchte ich nach Hilfsmöglichkeiten.“ (Steffi)
„Meine Familie und Freunde ermutigten mich, eine Therapie zu machen, weil sie meinen Leidensdruck bemerkten. Also ließ ich mich darauf ein, obwohl ich große Ängste davor hatte.“ (Anna)
„Ich kam mir immer recht einsam mit meinem Essensproblem vor. Bis ich verstand, dass viel Menschen mehr davon betroffen waren, als ich dachte.“ (Tobi)
Mein Körper hat weitere Krankheiten entwickelt durch den Berg an Essen über die Jahre hinweg. Ich musste eine Lösung finden. Ich wollte verstehen, warum ich so viel zwanghaft essen musste.“ (Mia)
Sich auf eine Therapie einlassen…
„In den Therapiestunden arbeiteten wir gemeinsam Überzeugen heraus, die sich in mir unbewusst gefestigt hatten. Ich war der Meinung, nicht liebenswert und wertvoll zu sein. Mein Selbstbild war von Minderwertigkeit und Unvollkommenheit gekennzeichnet. In der Therapie wollte ich mich neu kennenlernen.“ (Tobi)
„Ich konnte mich mehr annehmen, indem ich meine eigene Lerngeschichte verstand und wie sie mit früheren Bezugspersonen zusammenhing. Ich beobachtete, dass andere Familienmitglieder auch ihre Emotionen über das Essverhalten regulierten. Ich erfuhr sogar, dass meine Großmutter, ausgehungert vom Krieg, sehr viel danach aß, um sich versorgt zu fühlen. So erarbeiteten wir uns in der Therapie andere Methoden, um Emotionen regulieren zu können.“ (Sarah)
„Ich stellte fest, dass es mir sehr schwerfiel, überhaupt eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und sie zu benennen.“ (Ulrike)
„Ich nahm mich mein Leben lang als Mitläufer war. Zuerst ging es um andere und für mich gab es irgendwie keinen Platz. Ich erkannte in der Therapie, dass die Essattacken die einzige Zeit war, in der es mal um mich ging. Ich krempelte mein Leben um und schaute mehr, wie ich mich besser um mich selbst kümmern konnte.“ (Nora)
…und nachhaltig Veränderungen erleben
„Ich lernte in der Therapie, wie ich für meine Bedürfnisse gut sorgen kann. Ich traute mich, sie anzusprechen. Ich musste dann nicht mehr so viel in mich „reinfressen“. So erkannte ich Zusammenhänge zwischen der Essstörung und meinem Alltagsgeschehen.“(Fabian)
„Außerdem stellten wir in der Therapie einen Plan auf, wie ich darauf achten kann, besser mit Stress umzugehen. So erkannte ich, dass ich ausreichend körperliche Bewegung brauchte und Ruhezeiten, in denen ich „einfach da sein“ durfte.“ (Mia)
„Im Grunde genommen litt ich nicht nur an einer Essstörung, sondern an Depressionen. Ich bekam in der Therapie Hilfe für beide Erkrankungen. Das brachte mich sehr weiter.“ (Sarah)
„Suchtverhalten ist eine Vermeidungsstrategie. Das hat mir meine Therapeutin erklärt. Ich fragte mich, was ich denn vermeiden wollte. Ich spürte keinen inneren Schmerz. Ich hatte mich völlig von mir selbst entfremdet. In der Therapie arbeiteten wir daran.“ (Cora)
Praktische Umsetzungsmöglichkeiten suchen…
„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Irgendwann habe ich gecheckt, dass ich mehr als Essen brauche. Im Grunde sehnte ich mich nach Annahme und nach Geborgenheit. Das war für mich ein erster Schritt, zu erkennen, dass ich eine Art Ersatzbefriedigung lebe. Dann überlegte ich mir konkrete Schritte, wie ich einen Ausweg finden könnte. Dafür suchte ich eine Beratungsstelle auf.“ (Nadine)
„Ich vertraute mich meinem Hausarzt an, obwohl ich voller Scham war. Er schlug mir eine ambulante Psychotherapie vor.“ (Uli)
„Ich habe Kontakt mit anderen Betroffenen aufgenommen. Bei ihnen fühlte ich mich mehr verstanden. Ich habe sie gefragt, wie und ob sie einen Ausweg gefunden haben.“ (Alex)
„Ich fragte bei meiner Krankenkasse nach Unterstützungsmöglichkeiten bei Essstörungen. Die haben mir sehr gut weiterhelfen können.“ (Jana)
„Ich habe viel Hilfe in einer psychosomatischen Reha bekommen. Hier konnte ich an meinen Themen arbeiten und ich bekam auch eine Ernährungsberatung.“ (Sarah)
„Ich zog in einer Wohngemeinschaft ein und das hat mir geholfen, die Essensanfälle einzudämmen und andere Wege für mein eigentliches Problem zu finden. Auch in Gesprächen mit anderen bemerkte ich, dass ich gar nicht so seltsam bin, sondern dass andere Menschen ähnliche Probleme haben. Nur teilweise über ein anderes Suchtverhalten.“ (Fabian)
…und Angebote wahrnehmen
„Ich habe gemerkt, dass ich oft aus einem Gefühl der Sinnlosigkeit esse. Ich dachte, die Welt braucht mich nicht. Dieses unaushaltbare Gefühl betäubte ich oft mit Essen. Bis ich in der Therapie immer wieder ermutigt wurde, dass ich sehr viele Begabungen und Ressourcen hätte. Ich begann, in einem Chor zu singen, zu tanzen, zu malen. Ich bemerkte, wie ich aufblühte. Ich nutzte die Kreativität, um meinen Heilungsweg zu bestreiten.“ (Adriana)
„Ich habe mich zu einem Entspannungskurs angemeldet.“ (Fabian)
„Mir hilft es, mich regelmäßig mit einer Ernährungsberaterin zu treffen. Wir schauen gemeinsam meine Essenspläne durch. Ich kann offen erzählen, was schwierig für mich ist.“ (Elena)
„Ich habe sehr gute Erfahrung mit Gruppentherapien (z. B. Psychotherapie) gemacht. In dem anderen konnte ich mein eigenes Leid erkennen. Wir profitierten vom gemeinsamen Austausch.“ (Nora)
Tipps und Tricks
„Ich habe gemerkt, dass mir ein Regelkatalog nicht weiterhalf. Ich legte mir Regeln auf, wie „Ich darf nur bestimmte Lebensmittel in einer gewissen Zeit essen.“ Das hat mich so unter Druck gesetzt, dass noch mehr Essattacken kamen. So ließ ich das Essensthema erst einmal außen vor und konzentrierte mich auf grundlegendere Themen: meinen Selbstwert stärken, meine Ressourcen entdecken, kleine Erfolgserlebnisse machen, etc. Das half mir in Summe mehr.“ (Alex)
„Ich habe gemerkt, dass ich bei Langeweile noch mehr esse und ich zeitnah einen Termin nach dem Essen brauche. Davor konnte ich gefühlt stundenlang essen, ohne es zu bemerken.“ (Nora)
„Mir helfen körperliche Reize, wie eine Wärmeflasche oder Kälteanwendungen, um mich besser zu spüren. Das habe ich zuvor über das Essen versucht.“ (Cora)
„Ich mache öfters einen Essenscheck: Esse ich gerade aus Langeweile/Frust/Ärger etc. oder weil ich wirklich Hunger habe und meinen Körper mit Lebensmitteln versorgen will.“ (Anna)
„Wenn ich heute noch in Stress verfalle und nicht gut nach mir schaue, kompensiere ich das schnell wieder über das Essen. Aber ich suche mir schneller Hilfe. Ich habe mir ein Helfernetzwerk angelegt.“ (Mia)
Zukunftsperspektiven
„Ich habe mir fest vorgenommen, ehrlicher zu mir zu sein und mich konfrontativer mit meinen schwierigen Themen zu beschäftigen. Dazu gehört auch, die schmerzhaften Erlebnisse in meinem Leben anzuschauen.“ (Sarah)
„Ich wünsche mir, dass mehr öffentliche Diskurse über Essstörungen und Adipositas geführt werden. Man wird schnell als „Dicker“ abgestempelt und das Leiden dahinter wird nicht gesehen.“ (Fabian)
„Der Wendepunkt war für mich, zu erkennen: „Ich habe mein Leben wieder selbst in der Hand. Ich werde nicht von der Essstörung geleitet.“ Ich habe Werkzeug in der Hand, um mich selbst besser zu regulieren. Dieses beherberge ich in einem Notfallkoffer, sodass ich jederzeit alles griffbereit habe.“ (Cora)
„Ich arbeite heute mehr präventiv. Ich schaue, dass mein Stresspegel erst gar nicht die Grenze überschreitet. Ich kümmere mich darum, in einem Gleichgewicht zu leben.“ (Anna)
Hast du Ideen, welche Auswege es bei Essstörungen geben kann?
Zusätzliche Unterstützungsangebote:
Online-Therapie bei Binge-Eating-Störung – Selfapy
Home – Dick und Dünn e. V. Berlin
Geleitete Selbsthilfegruppen für Menschen mit Essstörungen bei Cinderella e.V.
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