Brexit – ein nettes Wortspiel aus den Begriffen „Britain“ und „Exit“. Am heutigen Tag entscheiden die Wahlberechtigten in Großbritannien darüber, ob sie Mitglieder der EU bleiben, oder aus der europäischen Staatengemeinschaft austreten wollen. Doch welche Konsequenzen würden im Falle eines Brexits auf Großbritannien und die EU-Staaten zukommen? Wofür sprechen sich die verschiedenen Lager aus? Ein Faktencheck von Pia Steckelbach.
Was treibt die Briten zum Ausstieg?
Gegner der EU sehen vor allem drei Faktoren, die sie für ihren Wahlkampf nutzen. Sie kritisieren zum einen die Bürokratie und das Regelwerk aus Brüssel, das die Freiheit des Landes einschränke. Zum anderen seien die Zahlungen an die Union zu hoch, die Leistungen an Großbritannien im Gegenzug zu gering. Außerdem schüren sie die Angst vor Einwanderern, die im Rahmen der europäischen Freizügigkeit den Briten die Arbeit wegnähmen. Besonders den letzten Punkt, der durch die Flüchtlingskrise eine neue Dimension bekommt, greift die rechtspopulistische Partei UKIP auf. Ihr Vorsitzender Neigl Farage, kommentiert seine Position so: „Was früher ein britischer Passport war, ist jetzt ein Pass für EU Bürger. 508 Millionen Menschen haben diesen Pass. Jeder von ihnen kann damit in dieses Land kommen. Wir richten uns nicht gegen irgendjemanden. Aber wir halten eine offene Tür für unverantwortlich.“
Auch ein Teil der Konservativen spricht sich gegen den Verbleib Großbritanniens in der EU aus, so auch Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London. Ihm zufolge übe Brüssel eine zu große Macht auf London aus, er richtet sich gegen eine vermeintliche Fremdbestimmung der englischen Politik durch die EU. Der britische Premierminister David Cameron, ebenfalls Konservativer, tritt dagegen als Hauptgegner des Brexits auf. Nach der Parlamentswahl im letzten Jahr hatte er das Referendum als Reaktion auf einen Stimmenzuwachs von 9,5 Prozent für die UKIP-Partei versprochen. Er wird unterstützt von der Opposition in Form der Labour Partei. Für sie spricht der freie Handel innerhalb der EU eindeutig für den Verbleib in der Staatengemeinschaft. Auch die Arbeitsmigranten, die die Gegner so scharf kritisieren, sehen sie als Chance für die Belebung der Wirtschaft. Die Sicherheit spielt für Cameron und Co. eine besondere Rolle, da Großbritannien als Teil der EU durch gemeinsame Zusammenarbeit gegen Terrorismus und Kriminalität deutlich besser verteidigt und geschützt werden könne.
Sanfter oder harter Ausstieg?
Großbritanniens Vorhaben ist bisher ohne historisches Vorbild: Noch nie in der Geschichte der EU ist ein Mitgliedsstaat ausgetreten. Doch bereits im Jahr 1975 stand Großbritannien kurz vor dem Ausstieg aus der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der sie erst zwei Jahre zuvor beigetreten war. Damals stimmten 67 Prozent für den Verbleib in der EWG. “You cannot unscramle the egg“, so hatte der Labour-Abgeordnete David Ennals die Folgen eines EWG-Austritts beschrieben.
Was jetzt passiert, wenn die Briten ein normales Ei aus dem Rührei zaubern wollten, hängt ganz davon ab, ob sie sich für den „sanften“ oder „harten“ Weg entscheiden. So könnte Großbritannien Handelsabkommen mit der EU schließen und so Zölle auf Importe und Exporte verhindern. In einem solchen Verhältnis stehen auch die Schweiz und Norwegen zur EU. Allerdings bestünde das Problem in Standards, die nicht mehr einheitlich geregelt wären, wie z.B. die Kennzeichnung von Produkten mit Umweltsiegeln. Wenn Großbritannien keine solchen Verträge mit der EU schließen würde, verteuerten sich die Waren erheblich und der internationale Handel würde erschwert. Im Härtefall würde Großbritannien jegliche Privilegien verlieren, die sich die EU-Staaten untereinander und Nicht-Mitgliedsstaaten gewähren. Einige Unternehmer haben bereits angekündigt, das Land im Falle eines EU-Ausstiegs zu verlassen.
Der Fall Cox
Am letzten Donnerstag wurde die Labour-Politikerin und Brexit-Gegnerin Joe Cox brutal niedergeschossen und erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Sie war 41 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Der Hintergrund der Tat ist noch nicht geklärt, Zeugenberichten soll der Täter “Britain first“ gerufen haben, was auf eine politische Motivation hinweisen könnte – ein weiterer Beleg dafür, wie entzündlich die Debatte um den EU-Austritt geführt wird. Hassparolen und Anfeindungen sind längst keine Seltenheit mehr. Das Internet und die Anonymität hinter der sich Hass und verbale Gewalt verbergen können, steuern zum aggressiven Klima bei.
After Brexit
Was, wenn am Freitagmorgen der Chef der Wahlkommission im Rathaus von Manchester vor die Presse tritt und Großbritanniens Austritt aus der EU verkündet? Die europäischen Staatschefs wären alarmiert und stünden vor der Herausforderung, schnell und angemessen zu reagieren. Nur wäre bei einem solchen Ausgang des Referendums der Austritt noch lange nicht beschlossen; nach Artikel 50 des EU-Rechts müsste dieser erst schriftlich erklärt werden. Allerdings hat Premierminister David Cameron schon im Vorfeld angekündigt, im Falle einer Entscheidung für den Brexit von seinem Amt zurückzutreten. Damit hätte Großbritannien keine handlungsfähige Regierung mehr, die für die Austrittsverhandlungen erforderlich wäre. Die EU-Verträge sind zwar noch zwei Jahre nach einem Austritt anwendbar, würde die Frist von den Mitgliedstaaten aber nicht mehr verlängert, bestünden bis zum Abschluss eines Abkommens lediglich die Regeln der Welthandelsorganisation.
Die bisher erfolgten finanziellen Beiträge Großbritanniens müssten auf die übrigen Mitgliedsstaaten verteilt werden, auf Deutschland würden 2,5 Milliarden Euro Mehrkosten zukommen, Frankreich sollte mit 1,9 Milliarden Euro rechnen. Auch für Deutschlands Unternehmen hätte der Brexit ernste Konsequenzen: Großbritannien stellt den drittwichtigsten Handelspartner für Deutschland dar, Import und Export würden durch Zölle und größere bürokratische Hürden erschwert werden. Auch in Großbritannien könnten nach dem britischen Industrieverband bis 2020 ca. 950.000 Jobs verloren gehen. 2,2 Millionen Menschen, die derzeit in Großbritannien arbeiten, leben im EU-Ausland. Für sie würde die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Union längerfristig wegfallen, dreiviertel von ihnen, so die Universität Oxford, erfüllten nicht die Kriterien für ein Visum. Dass die Regelungen für Arbeitnehmer aus der EU gelockert würden, ist allerdings eher unwahrscheinlich, da es gerade die Arbeiter aus den anderen EU-Staaten sind, mit denen die Brexit-Befürworter Stimmung für den Austritt machen. Besonders die Tourismusbranche könnte unter einem Ausstieg leiden: Die Regeln für den Flugverkehr müssten neu aufgestellt werden, die Flugpreise würden teuerer, das Image Großbritanniens als Reisziel sich verschlechtern. Der Chef der Billigfluglinie Ryan Air handelt bereits: Er bietet vergünstigte Flüge nach London an, um im Ausland lebenden britischen Wahlberechtigten einen Besuch in der Heimat zu ermöglichen und sie zu motivieren, für „remain“ zu voten.
Aber egal wie sich die Briten am 24.Juni entscheiden, das Referendum zwingt die Europäer zu einem Umdenken: In einigen EU-Länern erfahren rechtspopulistische und europakritische Parteien einen enormen Stimmenzuwachs. Vielleicht fühlen sich einige von Großbritannien inspiriert? Scheitert die Vision der Staatengemeinschaft vielleicht am Ende doch? Auch die Art, wie die Debatte geführt wird zeigt erneut auf, wie stark soziale Netzwerke und die Verbreitung von Parolen und Hass politische Entscheidungen beeinflussen können. Gerade in diesen Zeiten sollte die Europäische Union Einheit demonstrieren, um erfolgreiche Kooperationen im internationalen Kampf gegen Terror und Gewalt zu ermöglichen. Auch wenn der Brexit nicht genug Zustimmung im Referendum bekommt, besteht er in den Köpfen der Briten weiter, und die Sorge um die Zukunft der Union als gemeinsame Wertegemeinschaft und Wirtschaftsraum mitten in Europa.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/brexit-folgen-103.html
http://www.spiegel.de/video/brexit-referendum-worueber-stimmen-die-briten-ab-video-1681422.html
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