Immer wieder hört man von deutschen Muttersprachlern grammatikalisch verroht wirkende Aussagen oder ertappt sich selbst bei der Konstruktion von Sätzen, die eindeutig „falsches Deutsch“ darstellen. Verkommt also unsere Sprache zunehmend?
Einige junge Menschen in Deutschland verwenden heute eine Sprache, die besonders ältere Mitbürger vor die Frage stellt, ob die Muttersprache dieser Jugendlichen tatsächlich Deutsch ist – doch vielfach ist dies der Fall! Es geht also nicht darum, dass Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, die Sprache verrohen würden, sondern dass sich vor allem in der Jugend eine Sprache entwickelt hat, die zahlreiche grammatikalische Regeln missachtet.
Nicht Jugendwörter – bei denen man bezweifeln darf, ob sie außerhalb der Langenscheidt-Redaktion tatsächlich genutzt werden – sind das Problem. Es ist tatsächlich die Grammatik. Die Frage ist, ob dadurch das Deutsche verkommt oder es sich um sprachlichen Wandel handelt, dem jede Sprache nun einmal unterliegt.
Die Verweigerung von Präpositionen
Wer hat nicht bereits in der Straßenbahn einen solchen Satz gehört: „Ich steig‘ Rathausplatz aus.“ Wenn es sich bei „Rathausplatz“ um den Namen einer Haltestelle handelt, darf man etwas nachsichtig sein. „Ich steige an der Haltestelle Rathausplatz aus“ oder „am Rathausplatz“ ist da jedoch wohlklingender. Das rührt daher, dass in den beiden letzteren Varianten Präpositionen verwendet wurden.
Präpositionen erfreuen sich aber unter jungen Menschen sinkender Beliebtheit. Selbst Studenten fragen einander: „Gehst du gleich Mensa?“ Und bei der Partyplanung heißt es oft: „Ich geh‘ am Wochenende Stadt.“ Mit „am“ wurde hier zumindest eine Präposition benutzt. Insgesamt ist der Gebrauch der kurzen Verhältniswörter jedoch sehr sparsam.
Woran die Verweigerung von Präpositionen liegt, kann man nur mutmaßen. Erstens sind die Sätze auch ohne Präpositionen einigermaßen verständlich und zweitens zudem kürzer. Vielleicht hat sich die junge Generation aber auch so an das Weglassen von Verhältniswörtern gewöhnt, dass Sätze wie „ich gehe später in die Mensa“ ihr bereits zu hochgestochen klingen. Und seien wir ehrlich – wer hat nicht schon in der Schule oder an der Uni eine Freundin oder einen Freund auf die Schnelle gefragt: „Gleich Mensa?“
Die Wortstellung nach „weil“
Bei dem folgenden fehlerhaften Satzbau dürfte sich der eine oder andere bereits ertappt haben: „Ich bleibe zuhause, weil ich bin krank.“ Das Prädikat müsste hier selbstverständlich an letzter Stelle stehen: „…weil ich krank bin.“ Es handelt sich hier um eine Verwechslung mit der Konjunktion „denn“, denn nach dieser bleibt der Satzbau genau wie im Hauptsatz – beziehungsweise: weil nach dieser der Satzbau genau wie im Hauptsatz bleibt. Der Unterschied dürfte klar geworden sein.
Vor allem Schulkinder ersetzen „weil“ auch gerne durch „wegen“. Das ist allerdings eindeutig falsch, da es sich bei „wegen“ nicht um eine Konjunktion handelt, die zwei Sätze verbindet, sondern um eine Präposition, auf die häufig ein Substantiv (z. B. „wegen des Gewitters“) folgt.
„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“
Der Autor Bastian Sick veröffentlichte schon vor mehreren Jahren eine sechsteilige Buchreihe mit dem Titel „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Der Name ist Programm, denn es müsste richtigerweise heißen: „Der Dativ ist des Genitivs Tod“. Sicks Bücher sind sehr humoristisch gehalten und haben in Auszügen sogar den Weg in einige Schulbücher gefunden.
Zurück zum Gebrauch des Dativs anstatt des Genitivs: Es kann sich wahrscheinlich niemand davon freisprechen, nicht zumindest ein einziges Mal in seinem Leben etwas gesagt zu haben, wie „Ralf sein Vater ist nett“ (richtig: „Ralfs Vater ist nett“) oder „das ist Stefan seine Jacke“ (richtig: „das ist Stefans Jacke“).
Wer noch immer über jeden Zweifel erhaben ist, hat aber vielleicht nach der bereits erwähnten Präposition „wegen“ schon fälschlicherweise den Dativ benutzt: „Hallo, ich komme wegen dem neuen Personalausweis.“ Richtig – man ahnt es schon – ist: „…wegen des neuen Personalausweises.“
Wie war noch gleich der Plural?
Besonders bei ursprünglich lateinischen oder altgriechischen Wörtern bekommt man des Öfteren recht kreative Pluralformen zu hören. Dass der Plural von „Praktikum“ „Praktika“ lautet, wissen viele. Mehrere Kommas „Kommata“ zu nennen, ist dagegen den meisten fremd. Fairerweise sei gesagt, dass mittlerweile auch „Kommas“ zulässig ist. Ob „Globen“, „Atlanten“ oder „Taxen“, auch die bereits eingedeutschte Endung -en im Plural erfreut sich nicht allzu großer Beliebtheit.
Ist die Sprache noch zu retten?
Der Duden beobachtet den öffentlichen Sprachgebrauch sehr genau. Er gibt weniger vor, wie die Menschen zu sprechen haben, sondern gibt wieder, wie sie sprechen. Daher ist für den Duden beispielsweise sowohl „Pizzen“ als auch „Pizzas“ der korrekte Plural von „Pizza“. Bei der Präposition „wegen“, über die so viele Menschen stolpern, erlaubt der Duden mittlerweile „mündlich standardsprachlich und schriftlich umgangssprachlich“ auch den beliebteren Dativ (z. B. „wegen dem Kind“).
Sprache wandelt sich, das ist völlig normal. Es sagt heute niemand mehr zu einem Spaßvogel: „Mich dünkt, Euch treibt des Schalkes irre Laune.“ Und kein Mann würde wohl behaupten, er benutze Tinder, weil er sich „beweiben“ wolle.
Auch dass viele Menschen in ihrem Sprachgebrauch versuchen, mehr Geschlechter als nur das männliche sichtbar zu machen, ist ein sprachlicher Wandel, den man hinnehmen muss, ohne ein Sprechdiktat zu unterstellen. Es ist weitestgehend jedem freigestellt, zu sprechen, wie er beliebt.
Die sprachliche Genauigkeit des Deutschen
Dennoch möchte ich für einen etwas liebevolleren Umgang mit der deutschen Sprache plädieren. In meinem Auslandssemester im dänischen Odense, lobte ein dänischer Philosophieprofessor das Deutsche für seine Exaktheit. Ein Vergleich mit der englischen Sprache offenbart, was er meint. So kann man bei dem Satz „the kids are ready to eat“ nicht mit Sicherheit sagen, ob die Kinder schon am gedeckten Tisch sitzen oder es sich um Kannibalismus handelt. Die Bedeutung des Satzes muss hier aus dem Kontext erschlossen werden.
Auch Präpositionen machen einiges aus. Aus der Sprachnachricht „Digga, komm Café!“ sollte für mich schon hervorgehen, ob ich vor dem Café auf meine Freunde warten soll oder ins Café kommen soll, wo sie bereits auf mich warten. Ohne jegliche Präposition ist das nicht zu klären. Und ich habe mir bereits einmal vor einem Café die Zehen abgefroren, bis ich auf die Idee gekommen bin, dass meine Freunde bereits im Innenraum sitzen. Die Satzstellung ist ebenfalls nicht egal. „Ich bin mit Max und Lisa zum See gefahren“ ist ein einfacher Aussagesatz. „Ich bin zum See mit Max und Lisa gefahren“ betont dagegen deutlicher, dass Max und Lisa dabei waren.
Halten wir also fest: Die Wortstellung ist nicht egal. Es gibt im Deutschen vier Fälle und wir sollten nicht zu wortkarg werden, denn manchmal macht ein kleines Wörtchen mehr eben doch den großen Unterschied.
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