Frankreich verankert das Recht auf Abtreibung in der Verfassung und ein Expertengremium der Ampel empfiehlt die Legalisierung. Doch noch sind Abtreibungen hierzulande generell strafbar und der werdende Mensch kommt in der Debatte nur rein biologisch vor.
Nur wenige Wochen nachdem das französische Parlament beschlossen hat, das Recht auf Abtreibung in die Verfassung aufzunehmen, empfiehlt nun auch eine Expertenkommission der Bundesregierung, Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen zu legalisieren. Derzeit verbietet der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches Abtreibungen grundsätzlich. Sie werden bei entsprechender vorhergehender Beratung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche allerdings straffrei.
Abtreibung als Straftatbestand
Straffreiheit bedeutet, dass etwas weiterhin illegal ist, aber nicht geahndet wird. Der Schwangerschaftsabbruch findet sich im Strafgesetzbuch direkt nach Mord und Totschlag und vor der Körperverletzung. Das suggeriert Frauen und auch Ärztinnen und Ärzten, dass die Abtreibung ein Unrecht wäre. Dabei sei direkt gesagt, dass eine juristische Einschätzung sich nicht mit einer moralischen decken muss.
Weiterer Druck wird auf Frauen ausgeübt, indem ihnen Angst vor seelischen Schäden bis hin zu psychischen Belastungsstörungen infolge einer Abtreibung gemacht wird. Die ELSA-Studie hat sich unter anderem mit diesem Thema beschäftigt.
Die Mär vom Post-Abortion-Syndrom
In der Studie wurde die psychische Belastung von jeweils 600 ungewollt schwangeren Frauen untersucht, von denen die eine Gruppe die Schwangerschaft abgebrochen, die andere Gruppe dagegen das Kind ausgetragen hatte. Das Ergebnis war, dass die psychische Belastung in beiden Gruppen ungefähr gleich war. Schwere psychische Probleme, die durch Abtreibungen entstehen und durch das Austragen des Kindes im Umkehrschluss verhindert würden, sind demnach ein Mythos.
Die Existenz eines Post-Abortion-Syndroms ist zudem wissenschaftlich nicht anerkannt. So findet es sich nicht in der Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD) oder im amerikanischen Klassifikationssystem der Psychiatrie (DSM).
Sinnstiftung durch Gewolltsein
Spätestens ab der Geburt des Kindes haben wir es mit einem Menschen zu tun. Ungefähr ab der 22. Schwangerschaftswoche ist der Fötus außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig. Daher könnte man beispielsweise auch hier bereits den Terminus „Mensch“ verwenden. Die Katholische Kirche spricht sogar bereits ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle von einem Menschen. Im Folgenden ist mit dem Begriff „Mensch“ der geborene Mensch gemeint.
In der juristischen, medizinischen oder moralischen Debatte über Schwangerschaftsabbrüche steht meist die Frau im Fokus und die Konsequenzen für das ausgetragene Kind kommen viel zu kurz. Die Perspektive des Kindes ist aber wichtig, denn ein jeder Mensch steht irgendwann in seinem Leben vor existenziellen Fragen.
Der Philosoph Hans Blumenberg definiert den Menschen als das „gewollt sein wollende Wesen“. In einer säkularisierten Gesellschaft, in der Gott keine letztgültige Antwort mehr ist, findet der Mensch schwerlich einen tieferen Sinn für seine Existenz. Wenn dieser Sinn allerdings nicht zu finden ist, so möchte der Mensch doch zumindest gewollt sein. Daher sieht Blumenberg es als Verpflichtung der Eltern an, ihr Kind mit seiner Existenz zu versöhnen.
Blumenberg definiert Existenz damit nicht per se als positiv und widerspricht einer verbreiteten Auffassung, Kinder schuldeten ihren Eltern Dankbarkeit für ihre Zeugung. Denn das Kind wurde von niemandem zuvor gefragt, ob es existieren möchte. Die Eltern haben die Aufgabe, dem Kind annehmende Liebe entgegenzubringen, damit sich das Kind gewollt fühlt und auch selbst seine Existenz bejaht.
Die Herausforderung für die werdenden Eltern
Wahrscheinlich kommt es zu den meisten ungewollten Schwangerschaften durch das Versagen von Verhütungsmitteln. Ein Kind, das trotz Verhütung entsteht, ist erst einmal ungewollt, denn im Sexualakt wurde versucht, die Zeugung zu verhindern. Herausfordernd ist für die Eltern nun, ob sie dieses Kind trotzdem wie ein Wunschkind annehmen können, fähig sind, ihm Liebe und Zuneigung entgegenzubringen, damit die Versöhnung des Kindes mit seiner Existenz gelingt. In vielen Fällen ist dies tatsächlich unproblematisch und wenngleich die Schwangerschaft ungewollt war, hat man es dann doch mit einem gewollten Kind zu tun.
Aber wir müssen auch die anderen Fälle sehen, die Fragen, vor denen einige Frauen oder Paare durch eine ungewollte Schwangerschaft stehen: Kann ich ein Kind bedingungslos lieben, obwohl ich für es meine Ausbildung oder mein Studium abbrechen musste? Können wir zu einem Kind „ja“ sagen, dass wir uns eigentlich nicht leisten können und das uns finanzielle Sorgen bereiten wird? Kann ich, als 18-Jährige, bereits das Leben als Mutter führen? Kann unser Kind glücklich werden, wenn an ihm unsere Beziehung zerbricht?
Abtreibung ist kein Unrecht
Wenn eine Frau zu ihrem Kind nicht bedingungslos „ja“ sagen kann, darf man sie nicht zur Austragung zwingen, weil man auch dem Kind damit keinen Gefallen tut. Jener Zwang entsteht aber durch den bereits erwähnten juristischen Druck und den der Gesellschaft, da eine Abtreibung für viele Menschen hierzulande noch immer etwas Unerhörtes und moralisch Verwerfliches ist.
Selbstverständlich trägt auch der Vater eine Verantwortung. Er muss das Kind ebenso annehmen können. Oft wird betont, die Frau habe in Abtreibungsfragen die Entscheidung zu treffen. Letztgültig stimmt das, da sie ein Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper hat. Aber der Mann darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, zumal es ebenfalls um seine Erbanlagen geht. Im besten Fall ist die Entscheidung eine gemeinsame.
Den Menschen sehen
Alle Eltern wünschen sich, dass ihr Kind zu einem lebensbejahenden Menschen heranwächst. Und wer, wenn nicht sie, trägt dafür Sorge? Lassen wir den Frauen und den Paaren den Freiraum, selbst zu entscheiden, ob sie diese Verantwortung auf sich nehmen möchten. Denn am Ende geht es immer um einen neuen Menschen – und kein Mensch verdient es, ungewollt da zu sein.
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