Deutschlands größter, der weltweit viergrößte Friedhof und der insgesamt größte Parkfriedhof: Fast 400 Hektar Fläche, 200.000 bestehende Gräber, 1,4 Millionen Bestattungen, täglich durchschnittlich zwölf Beerdigungen, dazu Parks, Wälder, Bäche, Straßen, Buslinien, Tiere, Kapellen, Gedenkorte – der Ohlsdorfer Friedhof ist ein Mausoleum der Superlative.
Interessant ist der Ohlsdorfer dadurch für Jung wie Alt. Sterben ist zwar ohnehin nicht nur eine Frage des Alters, denn der Ohlsdorfer bietet noch viel mehr als seine Grabstätten – auch für junge Menschen. Wer sich über das riesige Areal bewegt, wird auch junge Menschen dort sehen. Was sie an diesen Ort zieht, sind nicht ‚nur‘ verstorbene Vorfahren, sondern auch und gerade der Ohlsdorfer als Gebiet.
Die malerischen Landschaften laden zum Verweilen und Nachdenken ein, die Natur ist eine willkommene Abwechslung vom umliegenden großstädtischen Hamburg, die Erreichbarkeit ist dank Infrastruktur inklusive eigener Buslinien leicht, für Jogger wie Radfahrer und Spaziergänger bietet das Areal alles vom Waldweg bis zum Kriegsgräberfeld. So wurde die Nutzfläche für Beisetzungen im Jahr 2015 auf 200 Hektar reduziert und die freigewordenen 200 Hektar in ein parklandschaftliches Naherholungsgebiet verwandelt.
Geschichte von Deutschlands größter Ruhestätte
Wie bei vielen großen Flächenfriedhöfen standen am Anfang der Geschichte des Ohlsdorfer mehrere kleinere, verteilt liegende Friedhöfe, die mit dem starken Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert nicht mehr Schritt halten konnten. Hinzu kam der bedeutende Umschwung in der Bestattungswesen, wonach die Hoheit und Abwicklung wie Unterhaltung immer mehr von den Kirchen auf die Kommunen übergingen. Nach Jahren der Planungen und Vorbereitungen wurde der Friedhof Ohlsdorf dann am 1. Juli 1877 eröffnet, bei der sogleich drei Bestattungen erfolgten.
In den nachfolgenden Jahrzehnten wurde die Friedhofsgestaltung des Ohlsdorfer stark geprägt durch naturverbundene US-amerikanische sowie britische Parkfriedhöfe. Speziell der erste Friedhofsdirektor Wilhelm Cordes nahm hier entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung und langfristige Planung von Landschaft, Infrastruktur, Anlagen und Gebäuden. Der heutige Westteil des Friedhofes wird daher “Cordesteil” genannt.
Immer neue Ankäufe von Grundstücken waren in den folgenden Jahrzehnten zur Erweiterung nötig, und während sich Bestattungskulturen, Nationalitäten, Religionen und Individualität immer weiter ausdifferenzierten, veränderte sich so auch das Gesicht des Ohlsdorfer Friedhofes Stück für Stück. Einen Einschnitt bildete zudem die Amtsübernahme von Otto Linne als Cordes’ Nachfolger. Linne wandte sich zum Teil von der klassischen Landschaftsgestaltung ab und konzentrierte sich – für seine Zeit nicht untypisch – eher auf den rein sachlich ausgerichteten Ausbau neuer Friedhofsteile, daher auch die Benennung des “Linneteiles”.
Die ‚Versachlichung‘ verblieb als langfristiger Trend und machte erst ab den 1970er Jahren zunehmend Platz, zugunsten der rasanten Ausdifferenzierung der Bestattungskulturen. Vor allem die klassischen Urnen- wie Sargbestattungen und die sachlich geleiteten Ausgestaltungen der großen Flächen des Friedhofsareals machte hierbei Platz für Gemeinschaftsgräber, Waldbestattungen und ähnliches.
Erheblichen Bekanntheitsgrad erlangte der Friedhof unter anderem durch die Grabstätten bekannter Persönlichkeiten, wie unter anderem Helmut Schmidt, Heinz Erhardt oder Roger Cicero. Des Weiteren vereint der Ohlsdorfer Friedhof wie erwähnt eine erhebliche Zahl an verschiedenen Bestattungsformen sowie Religionen auf seinem gewaltigen Areal. Zur Aufteilung des Friedhofs später mehr.
Die fachwissenschaftliche wie auch populärwissenschaftliche Rezeption bezüglich des Ohlsdorfer Friedhofs in Form von Artikeln, Führungen über den Friedhof oder Vorträgen weist erhebliches Interesse für den Hamburger Parkfriedhof auf und verdeutlicht, dass Sterben keineswegs ein Thema des ‚Alters‘ oder des ‚Altwerdens‘ beschreibt, da sich ‚Alt und Jung‘ gleichermaßen für den Friedhof interessieren. Der Ohlsdorfer Friedhof brigt eine enorme Diversität an Themen, die es für Forscher, Führungsteilnehmer oder Passanten des Friedhofs zu erforschen gilt – jeder auf seine Art und Weise.
Groß, vielseitig, naturnah
Wie erwähnt misst der Ohlsdorfer eine Größe von fast 400 Hektar – umgerechnet sind dies etwas mehr als 560 Fußballfelder. Verglichen mit der Prominenz der Parkfriedhöfe wie unter anderem dem Friedhof Père Lachaise in Paris (circa 45 Hektar), dem Mirogoj-Friedhof in Zagreb (circa 72 Hektar) oder dem Green-Wood Cemetery in New York (circa 193 Hektar) fungiert der Hamburger Parkfriedhof im Stadtteil Ohlsdorf als eindeutig größter Parkfriedhof der Welt.
So teilen sich etwa die Gräber mit Bezug zum Zweiten Weltkrieg in etliche Bereiche auf: Eine Kriegsgräberstätte für die Bombenopfer der britischen „Operation Gomorrha“ 1943, eine Gedenkstätte für Opfer der Verfolgung durch den Nationalsozialismus 1933 bis 1945, ein Ehrenhain für Hamburger Widerstandskämpfer zur Zeit des NS-Systems, Soldatengräber von deutschen, polnischen, niederländischen und sowjetischen Soldaten – und vieles weitere.
Es wird aber auf dem Ohlsdorfer nicht nur der Zeit der Weltkriege, sondern auch anderen Geschehnissen der Geschichte Aufmerksamkeit beigemessen, wie unter anderem dem Untergang des Ausflugsdampfers Primus im Jahr 1902, der Sturmflutkatastrophe von 1962 sowie der Opfer der Revolutionsjahre 1918 bis 1920. Der Ohlsdorfer Friedhof steht unter anderem auch für die Unterbringung verschiedendster Communities und Religionen; so befinden sich dort etwa Grabstätten von chinesischen oder japanischen Gemeinden und iranisch-schiitischen Gemeinden und Vereinen, was die Diversität, Offenheit und Toleranz des Friedhofs gegenüber anderen Religionen klar zum Ausdruck bringt. Und auch Kinder werden nicht vergessen: im Herzen des Ohlsdorfer ermöglicht eine liebevoll gestaltete Kindergrabstätte Angehörigen gemeinsamen Halt und Trauer.
Der Ohlsdorfer birgt auf seinem gewaltigen Areal eine regelrechtes ‚Naturparadies‘. Landschaftsformationen, abwechselnd flach und hügelig, durchwachsen von verschiedensten Pflanzen, Bäumen und Sträuchern, gesäumt von kleinen Teichen bis hin zu großen Seen. Durch menschliche Einflüsse, wie der Entwicklung eines Busnetzes, das Besucher der Ohlsdorfer Friedhofes von A nach B kreuz und quer über den Friedhof leitet, ist es möglich in kurzer Zeit längere Strecken hinter sich zu lassen.
Allerdings lädt der Friedhof auch zum Spazieren und Bewundern der Naturvielfalt ein – egal, ob bei Sonne oder Regen. Die vielen Gebäude, wie unter anderem das imposante Verwaltungsgebäude, 13 Kapellen auf den gesamten Friedhof verteilt, sowie drei Trauerhallen, jeweils benannt nach den ehemaligen Friedhofsdirektoren Cordes und Linne und dem bekannten deutschen Architekten Fritz Schumacher. Ein Zeichen dafür, dass es sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof nicht nur um die Themen ‚Tod‘ und ‚Sterben‘ handelt, zeigt ein erhebliches Angebot an Gastronomie, Spielplätzen und einem ‚Trimm-Dich-Parcours‘ am Ufer des Bramfelder Sees, dem größten See auf dem Friedhof.
Der Ohlsdorfer Friedhof ist aber nicht nur für seine immense Größe und Diversität an Landschaftsgestaltung, sowie Pflanzen- und Tierarten berühmt, sondern auch für seine Diversität an Beerdigungsmöglichkeiten; so ist es möglich Mensch und Tier im Bereich der Gemeinschaftsgrabstätten in einem gemeinsamen Grab zu bestatten. Verschiedene Gedenkplätze, wie ein „Krebserinnerungsbaum“ oder „Trauerhaltestellen“ regen zum Nachdenken und Verweilen an. Im „Garten der Frauen“, Grabstätte und Gedenkort zugleich, finden sich Gräber von bekannten Frauen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, sowie ein Glaswürfel mit den Namen verstorbener Säuglinge und Kleinkinder von Zwangsarbeiterinnen zwischen 1943 und 1945.
Ausblick
So divers, weitläufig, umfassend und vielgestaltig der Ohlsdorfer Friedhof ist, so groß sind auch seine Herausforderungen für die Zukunft. Grundsätzlich sind diese offenen Fragen der kurz- wie langfristigen Ausgestaltung des weltweit größten Parkfriedhofes die gleichen wie bei allen großen Friedhöfen. Die überragende Größe des Ohlsdorfer potenziert diese Fragen aber um ein Mehrfaches.
Eine besondere Herausforderung besteht etwa in den sich mit der Gesellschaft verändernden Trends der Bestattungskulturen. Die Diversität der Bestattungsarten des Ohlsdorfer Friedhofes ist nicht repräsentativ, sondern vor allem auf seine Größe zurückzuführen. Diese Diversität wird voraussichtlich weiter zunehmen. Für religiöse Gemeinden bedeutet dies beispielsweise eine rituelle Handlung, für die Friedhofsverwaltung gleichzeitig eine Ausweisung von angrenzenden oder neuen Flächen.
Und auch die Form der Bestattung ist zurzeit im Wandel. Der klassische Sarg ist schon seit Jahren eine immer weniger genutzte Bestattungsform – 2022 lag er nur noch bei 22 Prozent. Der dominierende Weg der Bestattungsform ist inzwischen die Urne – im gleichen Jahr 2022 immerhin 78 Prozent. Durch Liegezeiten und langfristige Landschaftsplanung bildet dies eine enorme Herausforderung für Friedhöfe: Urnen beanspruchen weniger Fläche und bedeuten weniger Einnahmen, während die nicht mehr genutzte Fläche weiterhin gepflegt und unterhalten werden muss.
Diese einfach zu verkaufen oder zu bebauen ist auch nicht möglich: oftmals liegen sie ungünstig innerhalb von Friedhofsarealen. Und wer weiß: Selbst, wenn man diese Flächen veräußern würde, könnte sich der Trend schnell wieder wandeln. Dann bestünden aber keine verfügbaren Flächen mehr und es müsste angebaut werden oder neue Friedhöfe müssten eröffnet werden. Die zunehmenden Wald- und Seebestattungen verkomplizieren dies noch weiter; für beides weist der Ohlsdorfer Flächen aus, welche auch reichlich beansprucht werden.
Genau das gleiche gilt für demografische Entwicklungen, welche die Berechnung von Flächen nochmals verkompliziert. Demografische Entwicklungen können anhand der Geburtenzahlen zwar grob hochgerechnet werden, aber durch Ein- wie Auswanderung, welche kaum nachhaltig zu berechnen sind, verändern sich auch die Geburtenzahlen.
Was zurzeit auf dem Ohlsdorfer Friedhof als Reaktion auf solche Herausforderungen zu beobachten ist, nennt sich “Ohlsdorf 2050”. Das 2015 vorgestellte Projekt wurde in Zusammenarbeit von Friedhof, Kommune und Landesbehörde entwickelt. Mit einem Finanzvolumen von hoch symbolischen 100 Millionen Euro wird die reine Bestattungsfläche des Ohlsdorfer Friedhofes immer weiter verringert und zu reinen Landschafts- und Parkflächen innerhalb des Friedhofareals umgewandelt. Die Bestattungsflächen sollen so langfristig weniger als die Hälfte der Fläche ausmachen.
Angesichts der in den vergangenen knapp 150 Jahren gemeisterten Herausforderungen steht zu erwarten, dass der Ohlsdorfer auch die aktuellen Herausforderungen schaffen wird, und dabei seinen Charakter als divers ausgestaltete Parklandschaft beibehält. Wie er das im Einzelfall vollbringen und dabei auf noch nicht absehbare Herausforderungen der Zukunft reagieren wird, muss die Zukunft zeigen.
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