Die Welt ist gerade vor allem eines: grau. Wenn man denkt, es könne nicht mehr schlimmer kommen – und ob! Jeden Tag aufs Neue werden wir konfrontiert mit schockierenden Ereignissen, traurigen Geschichten, unzähligen Schicksalsschlägen, die uns die Hoffnung auf eine friedliche, bunte Welt gänzlich nehmen. Wie soll man da noch irgendwo etwas Schönes und Buntes erkennen können? Ein Plädoyer dafür, selbst Farbtupfer zu malen. Andere damit anzustecken. Grauen Alltag bunt zu leben. Und zwei Perspektiven, denselben Tag unterschiedlich zu erleben.
Wie soll ich in so einer schrecklichen Welt auch nur einen Farbtupfer erkennen?
Meine Antwort: Indem ich einen Pinsel in die Hand nehme und anfange, ganz vorsichtig selbst einen zu malen. Und dann noch einen. Und vielleicht gesellen sich Menschen in meinem Umfeld, Fremde im Zug, Kommilitonen in der Vorlesung oder Arbeitskollegen dazu und malen mit mir an meinem Bild. Oder sie malen ihr eigenes und wir erfreuen mit unseren Bildern wiederum weitere Menschen in unserem Umfeld…
Ihr könnt diese Idee gerne weiterspinnen, aber nun mal etwas konkreter. Es gibt zwei Möglichkeiten, deinen ganz normalen Alltag zu leben und ich will versuchen, Dir hier beide zu skizzieren. Du hast jeden Tag wieder die Möglichkeit, Dich für eine der beiden Perspektiven zu entscheiden. Das tue ich auch – und natürlich kann man nicht jeden Tag nur all die Schönheit sehen, die uns umgibt und alles andere ausblenden – das muss man auch nicht. Es wird immer schlechte Tage geben. Aber vielleicht hilft Dir diese Herangehensweise, Dir noch einmal neu klarzumachen: Du hast nicht immer die Macht über deine Umstände, Dein alltägliches Leben oder über Personen und Vorkommnisse, die Dich jeden Tag aufs Neue beeinflussen. Aber Du hast die Macht darüber, was Du aus ihnen machst, in welches Licht Du all das rückst und vor allem, welchen Pinsel Du in die Hand nimmst…
Graue Tage – Version A
Montagmorgen, 7 Uhr.
Snooze… und noch einmal… warum auch aufstehen, lohnt sich doch eh nicht… SHIT, SCHON 7.35h!!! Wie immer mies gelaunt, total zerknautscht und in höchster Eile springe ich aus dem Bett, ziehe mich um, den Blick in den Spiegel lasse ich lieber – ihr wisst schon, die üblichen Gründe. Zeit fürs Frühstück bleibt nicht, also einen Apfel to go, Rucksack auf, zum Bus gesprintet… puh, gerade noch geschafft! Schade, wäre ich doch mal zu spät zur Arbeit gekommen… Weil das alles noch nicht reicht, schimpft mich auch noch irgend so ein Opi an, ich solle doch gefälligst vorsichtiger einsteigen. Das kann doch nur ein Scheiß-Tag werden!
Bilanz des Tages:
- Total verpennt
- Kein richtiges Frühstück gehabt (Konsequenz aus 1. )
- Vom unfreundlichsten Menschen der Stadt im Bus blöd angemault worden
- Graue Wolken am Himmel entdeckt
- Ekliges Mittagessen (wie immer)
- Nerviges Mittagstief
- Heute keinen Sport gemacht; war eigentlich eh klar, vielleicht lasse ich das einfach ganz bleiben (meine Figur ist sowieso nicht mehr zu retten)
- Abends allein in der Küche gegessen – alle Mitbewohner ausgeflogen (hatten vermutlich was Schöneres mit ihrem Abend vor)
- Viel zu spät ins Bett gekommen
- Morgen wird’s sicher auch nicht besser
Bunte Tage – Version B
Montagmorgen, 7 Uhr.
Snooze… und noch einmal… Das Bett ist viel zu gemütlich. Am Wochenende schlafe ich endlich mal wieder aus, darauf freue ich mich jetzt schon… 7.35h: Okay, let’s go, ich habe zum Glück noch 25 Minuten, das reicht zwar nicht für ein ausgiebiges Frühstück, aber an apple a day keeps the doctor away….
Wow, heute zwitschern die Vögel wieder wunderschön. Ich liebe den Frühling…
Voller Vorfreude springe ich auf, ziehe mich um, schnappe mir einen Apfel und bin dankbar dafür, dass ich gesund und fit genug bin, um zum Bus zu rennen. Die Sonne erhellt meinen Weg und meine Laune. Obwohl es die ganze Nacht geregnet hatte, kommt sie nun zum Vorschein. Ich trage meine Lieblingsklamotten und merke, wie wohl ich mich in ihnen fühle. Den Bus erreiche ich gerade so – Glück gehabt! Ein älterer Herr ermahnt mich, dass ich das nächste Mal doch bitte vorsichtiger einsteigen solle. Ich entschuldige mich mit „Tut mir leid, mein Bett war so gemütlich“, woraufhin der Mann grinst – ich grinse zurück. Das kann doch nur ein guter Tag werden…
Bilanz des Tages:
- Länger liegen geblieben als geplant, weil ich ein warmes und gemütliches Bett habe
- Einen Apfel mitgenommen, da ich das Geld habe, mir Obst zu kaufen und in einer Stadt lebe, wo es immer und überall frisches Obst gibt
- Einem zunächst missmutig wirkenden Mann ein Lächeln ins Gesicht gezaubert – habe selbst grinsen müssen
- Die Sonne kam raus, obwohl es die ganze Nacht geregnet hatte
- Heute war der Nachtisch gut!
- Zeit für einen kurzen Powernap gehabt und damit das Mittagstief überwunden
- Heute keinen Sport gemacht; habe stattdessen einem lieben Freund beim Umzug geholfen; es tat irgendwie richtig gut, heute für ihn da zu sein und wir hatten uns sowieso seit Längerem nicht mehr gesehen
- Abends endlich mal wieder die Küche für mich allein und damit nach Längerem mal wieder die Chance gehabt, mein Buch weiterzulesen (Erkenntnis: Ruhe tut gut, auch wenn ich meine Mitbewohner sehr gern habe)
- Habe mich stundenlang mit meiner besten Freundin am Telefon verquatscht; bin deshalb spät ins Bett gekommen, aber es hat sich absolut gelohnt! (und solche Gespräche entstehen komischerweise immer um die Uhrzeit, hihi)
- Bin neugierig, wie der morgige Tag wird
Ja, diese zwei Versionen sind etwas plakativ und vielleicht an der ein oder anderen Stelle überspitzt dargestellt. Und ja, man kann nicht jeden Tag nur in bunten Farben betrachten. Aber mir liegt es sehr am Herzen, Dir zu zeigen, dass es manchmal gar nicht andere Gegebenheiten in unserem scheinbar grauen Alltag braucht, um das Grau bunt zu übermalen. Oder die schon vorhandenen Farbtupfer darin zu erkennen…
Habe jeden Tag aufs Neue den Mut, deine Farbtupfer zu entdecken. Hier waren es beispielsweise das warme Bett, das Vogelgezwitscher oder die Gespräche mit lieben Menschen… Und wenn du die Farbtupfer nicht siehst – warum malst du nicht einfach selbst welche? Du hast immer die Möglichkeit, Menschen, die Dir begegnen, ein Lächeln zu schenken und wer weiß – vielleicht bekommst Du ja ein Lächeln zurück?
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