„Ich bin beziehungsunfähig!“, davon war ich felsenfest überzeugt. Ich machte dies an meinen gescheiterten Beziehungen fest und sinnierte darüber, welches Beziehungs-Gen ich nicht vererbt bekam. Mit der Zeit begab ich mich auf eine Reise, die mich sehr viel Mut, Vertrauen und Kraft kostete. Wohin sie mich wohl führte?
Dieser Artikel thematisiert psychisches Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, findest du am Ende des Artikels mögliche Hilfs- und Unterstützungsangebote.

„Nein!“
Mit schleichenden Schritten zog ich durch die Straßen an meinem Studienort. Wie sehr hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet, wie viele Ferienjobs nahm ich auf mich, um endlich studieren zu können. Und nun stand ich vor einer Bäckerei, mit Psychopharmaka intus und einer zermürbenden Sinnlosigkeit. Neben den zahlreichen Bäckerwaren stand in großen Lettern geschrieben: „Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“ (Zitat, Guy de Maupassant) „Nein!“, schrie ich innerlich. „Ich will anderen Menschen gar nicht begegnen. Sie tun mir nur weh.“ Just in diesem Moment war mir klar, dass ich eine größere Baustelle in mir hatte und mir ein längerer Genesungsweg bevorstehen würde. Die Depression, die mich seit einigen Jahren begleitete, die Angst und Panikattacken, all diese seelischen Ausdrucksmöglichkeiten zeigten mir, dass in meinem Leben etwas ganz und gar nicht stimmte.
„Mit mir ist etwas falsch!“

Eine Figur mit einem schwarzen Hut steht hinter einer Mauer aus Holzbausteinen, auf denen verschiedene Begriffe notiert sind.
Ich grübelte als Kind häufig über mein „falsch sein“ nach. Warum fiel es mir so schwer, Freunde zu finden? Wenn ich witzig war, bekam ich Zuneigung zu spüren. Wenn ich viel im Haushalt mithalf, erntete ich Bewunderung. Wenn ich alles so machte, wie es den Erwartungen entsprach, war ich willkommen. Aber wer war ich mit all meinen Stärken und Schwächen? Ich antwortete stets: „Ich bin ein Niemand.“ Entsprechend dieses Selbstbildes verhielt ich mich. So versuchte ich die Wünsche von den Augen meiner Mitmenschen abzulesen, verbog mich, verwandelte mich allmählich in eine „Seelsorge-Freundin“, die für jeden ein offenes Ohr hatte und lebte immer mehr ein Parallelleben. Ich war die, die gute Noten in der Schule hatte, die zu Hause Koch- und Putzdienste übernahm, die nach außen strahlte und die sich im Grunde zutiefst einsam fühlte und immer mehr in eine chronische Schmerzerkrankung schlitterte. Ohne es bewusst zu bemerken, nahm ich eine Opferrolle ein und versteckte mich hinter einer Mauer.
Ich bin passiv
Obwohl ich überzeugt war, sehr aktiv zu sein, bemerkte ich nicht, dass ich kaum Verantwortung für mein eigenes Leben übernahm. Ich spielte gerne den Retter für andere. „Ach, du hast da eine Schwäche, kein Problem, ich übernehme das für dich!“ Ich nahm nicht wahr, wie übergriffig und grenzüberschreitend mein Verhalten war. Ich beraubte Menschen, eigene Lernerfahrungen machen zu dürfen. Meine Ängste waren derart aufgebläht, was alles passieren könnte, wenn Menschen um mich herum schwach wurden. So versuchte ich stets alles zu kontrollieren, ohne zu checken, dass das gar nicht funktionierte. Mit der Zeit übermannte mich eine chronische Erschöpfung. „Welche Geheimnisse liegen wohl in meinem Herzen, so dass ich derart schräg drauf bin?“, fragte ich mich immer öfter.

Eine Herzschale beinhaltet Mauersteine mit verschiedenen Begriffen. Um die Schale liegen Blitze und rote Zettel.
Wertlosigkeit
In Kliniken füllte ich Fragebögen aus, in denen bestimmte Items abgefragt wurden. Bei der Aussage „Ich halte mich für einen wertvollen Menschen.“ kreuzte ich stets 0 von 10 Punkten Zustimmung an. Das fühlte sich für mich stimmig und richtig an. Erst später bemerkte ich, dass das wieder eine Flucht vor mir selbst war, Verantwortung zu übernehmen. Ich käute die empfundene Wertlosigkeit in mir wieder und sie wurde zu meinem Glaubenssatz. Nur, wie lebt ein Mensch, der sich als wertlos erachtet?
Die zwei unterschiedlichen Gärtner
Nehmen wir an, jeder Mensch hat einen Lebensgarten geschenkt bekommen. Der Mensch, der seinen Garten für würdig und wertig erachtet, wird diesen pflegen, ausgewähltes Bio-Saatgut verwenden, ihn ordentlich halten und vor Feinden schützen. Er wird dafür sorgen, dass seine Pflanzen stark werden und er voller Freude viele, schmackhafte Früchte ernten kann. Der Mensch, der seinen Lebensgarten jedoch für unwürdig und nichtig ansieht, wird ihn verwildern lassen, lässt Fressfeinde einziehen, wird seinen Garten verlassen, um sich andere Gärten anzuschauen oder um sich einen anderen, neuen Garten zu suchen. Und genau dieser Gärtner war ich. Ich hatte nach und nach meinem Garten den Rücken gekehrt mit der Einstellung: „Mein Garten ist falsch. Er ist unnütz. Er ist sinnlos. Er ist hässlich. Er ist ein gefährlicher Ort. Er ist kaputt. Ich werde es nie schaffen, ihn schön zu gestalten.“
Kontakt – Nein, danke!
Doch mit jedem Schritt weg von meinem Lebensgarten glich ich mehr einer Getriebenen und Obdachlosen, die nirgendwo eine Heimat fand. Ich war ruhelos, kannte keinen Ausweg und fand keinen neuen Garten. „Du kannst deine Wurzeln nicht abschneiden. Du nimmst dich immer mit, egal, wohin du gehst.“, erhielt ich als Lebensweisheit. Schließlich lernte ich auf meiner Reise eine Person kennen, die mit mir in Kontakt treten wollte. Ich zog mein altbekanntes Kontakt-Muster durch: „Wenn´s eng und näher wird, bin ich weg!“ „Kritisiere mich bloß nicht!“ „Tu mir bloß nichts!“ „Fass mich ja nicht an.“ „Hab‘ keine Schwächen, damit kann ich nicht umgehen.“ „Pass bloß auf, was du sagst. Ich bin schnell triggerbar.“ „Äußere keine Bedürfnisse, ich will sie nicht stillen.“ Mit diesen Kontakt-Mustern schaffte ich es, regelmäßig Leute vor den Kopf zu stoßen, mich in Einsamkeit zu suhlen und mir selbst auf die Schulter zu klopfen: „Da siehst du es, dich will keiner. Hab ich´s doch gewusst.“
Doch diese Person ließ sich von meinen Kontaktmustern gar nicht beeindrucken. Fröhlich signalisierte sie mir: „Wenn du sprechen willst, ich bin da.“ „Nö.“, raunte ich und fühlte mich stolz, gar niemanden zu brauchen. Ich sehnte mich zwar nach Kontakten, aber gleichzeitig zerriss es mich, weil mein inneres Sicherheitssystem ständig Alarmbereitschaft meldete. „Warum tut mir Nähe so weh?“, überlegte ich.
Die Wende – ich komme.

Eine Figur mit einem schwarzen Hut steht vor einer Mauer aus Holzsteinen und betrachtet verschiedene Begriffe.
Meine neue Bekanntschaft steckte mir noch ihre Telefonnummer zu und wiederholte ihr Angebot: „Wenn du sprechen willst, ruf mich an.“ Ich zerknüllte das Papier, steckte es irgendwo ein und vergaß es. Bis ich einige Woche später völlig verzweifelt in meiner Küche stand und mir innerlich die Anweisung gab: „Jetzt nimmst du deinen ganzen Mut zusammen und rufst diese Person an.“ Das tat ich und erlebte zum ersten Mal, dass ich mich ein wenig öffnen konnte und wollte. Ich erzählte dieser Person, was mich belastete. Das habe ich als angenehm erlebt. Ab diesem Zeitpunkt telefonierten wir unregelmäßig miteinander und thematisierten einige, meiner Baustellen. Doch dann stellte sich wieder das altbekannte Beziehungsmuster ein. Ich erzählte von meinen Problemen und diese Person schlug mir ihre Lösungen dafür vor. Wir eckten aneinander an und ich war im Begriff, mich wieder zu verabschieden. Da meinte die Person zu mir: „Weißt du, da ist ganz viel verletzt in dir, aber das wird nur heil, wenn du dich wieder auf Beziehungen einlässt.“ Da wusste ich: „Ich kann weiterziehen, um scheinbar „bessere“ Menschen zu finden. Diese Suche wird aber erfolglos bleiben. Daher nutze ich jetzt diese Chance und lasse mich auf eine freundschaftliche Beziehung ein.“
Die Rückkehr in meinen Garten
So kam es, dass wir uns regelmäßig einmal pro Woche trafen, um uns auszutauschen. Dabei wurde mir immer klarer: „Wenn du ein ernst zu nehmendes, klares und würdiges Gegenüber sein willst, dann musst du in deinen Garten zurückkehren. Egal, was du vorfindest. Egal, wie schrecklich es ist. Egal, wie wenig Hoffnung du hast – kehre zurück.“ Das habe ich dann mithilfe dieser Person getan, indem ich einen Schritt vor den anderen gemacht habe und langsam zu meinem Garten zurückkehrte. Manchmal musste ich ihn fast schon suchen, weil ich die Orientierung verloren hatte. Auch war die Versuchung präsent, doch wieder alles über Bord zu werfen. Aber ich wusste: „Wenn du dein Leben finden willst, dann wird es nur gehen, indem du bleibst.“ So lernte ich hinzuschauen statt wegzuschauen, anzupacken statt wegzupacken und zu fragen statt zu schweigen.
Erste Aufräumversuche

Eine Figur mit einem schwarzen Hut schaut sich zwei Bausteine aus einer Mauer an.
Ich sah vor lauter Widrigkeiten und Chaos in meinem Garten kaum lichte Stellen. Mühevoll und behutsam nahmen wir uns zu zweit in einer Art „Lehr-Lern-Gemeinschaft“ einzelnen Baustellen an. Mensch, da war ein Berg an Schutt und Asche. Mehr als einmal quälte ich mich mit den Gedanken: „Ob sich diese Arbeit lohnen wird? Ob ich einer fremden Person wirklich so viel Einblick in meinen düsteren Garten geben will? Was, wenn sie mein Vertrauen ausnutzt?“ Doch in mir keimte neue Hoffnung und ich werkelte weiter, suchte mir Hilfe für meinen Garten und träumte nachts von herrlichen Früchten.
Im Tal der Tränen
Wenn ich mit Menschen Konflikte hatte, bemerkte ich recht schnell, wie mein Herz ihnen gegenüber hart wurde. Das tat mir oft sogar körperlich weh. Und obwohl ich mich mit den einzelnen Elementen meiner Mauer in Therapieangeboten beschäftigte, wanderte ich immer wieder tief verzweifelt in meinem Lebensgarten umher und fand keinen Ausweg. Ich kam mir nicht nur beziehungs- sondern auch lebensunfähig vor. Die meiste Zeit erschien ich recht funktionierend unterwegs zu sein, aber wenn es ein Zusammenbruch gab, saß ich im Tal der Tränen fest. Manchmal kamen Sturzbäche an bisher ungeweinten Tränen heraus – das beruhigte mich. Aber mit der Zeit traf ich eine lebensveränderte Entscheidung: „Ich habe mir die Elemente meiner Mauer betrachtet und kenne sie. Und nun lasse ich sie hinter mir. Sie werden nicht mehr meine Gegenwart maßgeblich beeinflussen und bestimmen.“

Eine Figur mit einem schwarzen Hut steht vor einer Mauer aus Holzbausteinen.
Mein Herz – mein Garten
Allmählich wuchs tatsächlich Freude in meinem Garten. Ich erkannte mehr die Konsequenzen meiner Handlungen. Ich entdeckte, wie ich meine Beete angelegt hatte und schmiedete neue Pläne. Ich warf alten Ballast aus meinem Garten und sorgte für große, lichte Stellen. Die Erde war ausgelaugt und wenig brauchbar. Ich musste neue Fundamente legen und neue Kernelemente festlegen. „Was ist mir wichtig? Worauf will ich bauen? Woran halte ich mich fest?“, lauteten die Punkte auf meiner Agenda. Ebenfalls ging ich ein großes Projekt an „Wie schütze ich meinen Garten?“
Gartenzäune – Welche Größe hätten Sie gerne?

Eine Figur mit einem roten Hut sitzt in einer Herzschale. Auf der Schale liegen Holzbausteine. Im Hintergrund bedeckt ein Tuch größtenteils die alte Mauer.
Ich habe über zehn Jahre Therapieangebote hinter mir und kein Thema ist, meiner Meinung nach, so präsent wie dieses: „Wie kann ich mich besser abgrenzen?“ Die Metapher mit dem Lebensgarten verdeutlicht mir, dass niemand grenzenlos lebt. Einerseits können wir viele offene Tore haben und sämtliche Leute in unsere Gärten einströmen lassen. Anderseits habe ich erlebt, dass diese Grenzenlosigkeit auch mit viel Selbstschutz und „Mauern hochziehen“ einhergeht.
Ich habe meinen wertlosen Lebensgarten nie unbeschützt gelassen, denn teilweise habe ich richtig große Stahlmauern hochgezogen und mich regelrecht von meiner Außenwelt abgeschnitten. Daher ist Verbundenheit zu einem Kernwert für mich geworden, weil ich erkannt habe, wie einsam es war, mich hinter einer Mauer selbst einzusperren. Was aber sind sinnvolle Grenzen für meinen Lebensgarten? Wie kann ich in Verbundenheit bleiben trotz und gerade, weil ich Grenzen setze?

Eine Figur mit einem roten Hut sitzt in einer Herzschale. Ihr gegenüber steht eine Figur mit einem grünen Hut. Im Hintergrund sind eine Mauer, Blitze und ein Zettel mit dem Wort „Vergebung“ zu sehen.
Nein sagen- Echt jetzt?!
„Ich kann schlecht Nein sagen.“, betonte ich des Öfteren. Fast schon ein wenig mit der Erwartung, Lob zu bekommen. „Das ist doch prima. Das zeigt, dass du anderen helfen willst und dienlich bist.“ Doch was ist die Konsequenz davon? Dass mein „Ja“ nie ein wahrhaftiges „Ja“ ist, wenn ich innerlich „Nein“ meine. Wer soll mir da noch vertrauen? Wenn ich eine wahrhaftige und ehrliche Person werden will, komme ich nicht darum herum, mich verletzlich zu zeigen. Ja, ich habe Bedürfnisse und Grenzen. Mein Gegenüber hat keine telepathischen Eigenschaften, dass er im Voraus meinen Lebensgarten, meine Zäune und Strukturen sieht. Das liegt in meiner Verantwortung, ihm davon zu berichten.
Das war wiederum ein Lernprozess für mich und Elemente aus meiner einstigen Mauer kamen dabei wieder zum Vorschein. Wie oft haben wir uns in unserer „Lehr-Lern-Gemeinschaft“ aufgerafft, sind aufeinander zugegangen, haben erneut eine Verbindung gesucht, Missverständnisse geklärt, Vergebung ausgesprochen und empfangen und vertrauten uns wieder. Beziehungen kosten uns Kraft, Liebe, Demut und ein offenes, in Verbindung bleibendes Herz.
Mein Fazit
Mittlerweile bin ich überzeugt, dass jeder Mensch beziehungsfähig ist, weil das eine Trainings- und Lernangelegenheit ist. Mich kostet es bis heute Überwindung an meinen neuen Kernwerten festzuhalten, nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen und mein Herz offen zu lassen. Ich lerne, gelassen zu bleiben, wenn soziale Konflikte entstehen und sehe menschliche Begegnungen als mögliche Lernerfahrung an. Wir schleifen uns gegenseitig zum Guten oder zum weniger Guten. Das liegt in unserer Verantwortung. Mir ist bewusst geworden, wie sensibel und brüchig Beziehungen sein können und wie sehr sie unseres Schutzes bedürfen.

Figuren mit farbigen Hüten stehen innerhalb eines roten Bandes. Verschiedene Holzbausteine umranden es.
Psychisch erkrankt und einsam?
Mit jeder Aufräumarbeit in meinem Lebensgarten und innerem Heil werden, spüre ich mehr Verbundenheit zu mir und anderen Menschen. Ja, depressive Phasen kommen und gehen, aber sie sind lange nicht mehr so intensiv. Ich bin dankbar für meinen bisherigen Lebensweg und voller Vorfreude, was ich noch erleben darf.
Wie geht es dir mit diesen Themen? Schreibe deine Gedanken gerne in die Kommentare 🙂
Mögliche Hilfsangebote in psychischen Krisen und bei Einsamkeit (letzter Zugriff 22.09.2025)
- Einsamkeit und Depression – Stiftung Deutsche Depressionshilfe
- Für Betroffene und Angehörige – Stiftung Deutsche Depressionshilfe
- Therapieangebot — Online-Psychotherapie.de
- Auflistung von Angeboten bei Einsamkeit
- Kostenfreie Beratung für Eltern, Kinder und Jugendliche
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- Therapieplatz finden: So gehen Sie vor






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