Leistungssport im Kindesalter ist ein hoch diskutiertes Thema, bei denen die Kritiker auf alle Nachteile hinweisen und die Befürworter alles verteidigen. Ich bin neun Jahre Kunstrad gefahren und mit dem Sport aufgewachsen. Wie ist es wirklich ist, mit dem Leistungssport groß zu werden und was für mich persönlich die Vor- und Nachteile waren, erfahrt ihr im folgenden Artikel.

Was ist Kunstrad?
Kunstradfahren ist eine sehr ästhetische Hallensportart, die man mit Kunstturnen oder Eiskunstlaufen vergleichen kann – nur auf dem dafür speziell entwickelten Fahrrad.
Als Sportler entwickelt man dadurch Fähigkeiten wie Gleichgewicht, Konzentration, Mut, Beweglichkeit, Kondition und Geschicklichkeit.
Das Kunstrad ist ein handgefertigtes Spezialrad, bei dem Spezialreifen Halt und Bodenhaftung garantieren. Durch den Starrlauf ist das Rückwärtsfahren möglich. Lenker und Sattel sind so gebaut, dass man mit Gymnastikschuhen darauf stehen kann und spezielle Dorne, die zum Auftritt dienen, ermöglichen eine große Bandbreite an verschiedenen Übungen.

Der Wettkampf
In einer Fünf-Minuten-Kür wird den Kampfrichtern und Zuschauern das vom Trainer zusammengestellte Programm, bestehend aus den unterschiedlichen Übungen, vorgeführt.
Man tritt mit einer Anfangs-Punktzahl und 30 Übungen an.
Punktabzug gibt es bei:
• einem Sturz
• schlechter Körperhaltung
• überfahren der Flächenbegrenzung
• kurzes berühren des Bodens (Tipper)
• wenn die Reihenfolge der Übungen nicht eingehalten wird
• wenn das Fünf-Minuten-Limit überschritten wurde
• wenn nicht der volle Kreis ausgefahren wird
Im Kunstrad gibt es ein strenges Regelwerk und unterschiedliche, ganz klar voneinander abgehobene, Disziplinen:
• Einer-Kunstradfahren
• Zweier-Kunstradfahren
• Vierer-Kunstradfahren
• Sechser-Kunstradfahren
Zudem wird man in Altersgruppen eingeteilt. Somit musste ich zum Glück nie gegen meine kleine Schwester antreten, die auch im Verein und– darüber hinaus wirklich gut war.
Das Training
Das beste Einstiegsalter liegt zwischen fünf bis sieben Jahren. Ich persönlich war sechs, als ich mit dem Einer-Kunstradfahren anfing. Bis man ungefähr zwölf Jahre alt ist, steht das Grundlagentraining im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt liegt bei der Kondition, Koordination und dem Erlernen der Übungen. Wir trainierten zweimal die Woche jeweils drei Stunden und manchmal auch am Wochenende.
Dazu kommen Trainingscamps, bei denen man ein Wochenende oder eine ganze Woche jeden Tag bis zu acht Stunden übt. Auch wenn es sehr anstrengend war – ich fand es immer toll. Man lernte viele Gleichaltrige kennen und mit der besten Freundin und der Schwester im Gepäck, waren auch die anstrengendsten Herausforderungen gut zu meistern.
Trotzdem erinnere ich mich aber auch an ein Trainingscamp, bei dem ich mich sehr unwohl gefühlt habe. Meine Partnerin und ich wurden älter und besser und kamen somit zum ersten Mal in eine neuen Gruppe. Wir hatten keinen wirklichen Anschluss, alle waren geübter als wir und ich schämte mich dort zu sein. Auch diese Momente gab es. Umso älter und besser man wird, desto höher ist auch der Trainingsaufwand und die Leistung. Zusätzlich steigt der Druck, nicht nur einem selbst, sondern auch dem Trainer gegenüber, den man nicht enttäuschen möchte.
Aufwachsen mit Leistungssport
Meine ganze Familie ist ziemlich sportlich. Als ich mit Kunstrad angefangen habe, machte ich gleichzeitig Ballett, Judo und spielte Querflöte.
Anfangs waren wir noch eine sehr große Truppe, doch nach und nach kristallisierte sich heraus, wer wirklich im Sport bleiben kann und will. Ich startete auf dem Einer-Kunstrad. Als die ersten Wettkämpfe vor der Tür standen, war ich super nervös, aber auch unglaublich stolz.
Das Training wurde härter und mein Trainer riet mir, die anderen Sportarten aufzugeben, um mich zu hundert Prozent auf das Kunstradfahren zu konzentrieren. Das war hart, denn auch Ballet und Judo machten mir Spaß. Doch ich entschied mich, meine Kraft voll und ganz dem Kunstrad zu widmen.
Nach ein paar Jahren wollte ich unbedingt mit meiner damaligen besten Freundin den nächsten Schritt gehen und das Zweier-Kunstradfahren beginnen. Als es uns schließlich erlaubt wurde, ging ein Traum in Erfüllung. Anfangs trainierten wir weiterhin beide Disziplinen, doch da meine Partnerin und ich sehr gut wurden, konzentrierten wir uns nur noch auf das Fahren zu zweit.
Während der Kür ist man zunächst auf seinem eigenen Kunstrad und wechselt nach ungefähr der Hälfte zusammen auf eins.
Unser Verein war ziemlich gut und wir lagen meistens auf den ersten zwei Plätzen. Das absolute Highlight für meine Schwester, meine Partnerin und mich war die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften. Und auch die Badischen Meisterschaften. Wir konnten es kaum fassen, als wir schlussendlich als Badische Meister aufs Treppchen stiegen. Das war mein persönlicher Höhepunkt meiner Kunstradzeit.
Vor- und Nachteile Leistungssport
Als ich älter wurde, wurde es immer schwieriger für mich den Sport mit dem Privatleben zu vereinbaren. Ich wollte mehr Zeit mit Freunden verbringen und am Wochenende mehr Freizeit haben.
Das Training fand immer abends statt und in der Wettkampfsaison hatten wir meist jedes Wochenende Wettkämpfe. Dazu kamen weitere Vereinsveranstaltungen. Neid und Konkurrenzdruck wurden intern leider immer mehr zum Thema.
Darüber hinaus mussten viele Hobbys gegenüber dem Verein zurücktreten und auch die Schule litt ab und an unter dem Training. Kurzum – es drehte sich eigentlich alles nur noch um den Sport. Bis hin zu meinem Haarschnitt:
Mein Trainer schlug vor, dass ich doch meine langen Haare abschneiden solle, weil sie beim Training stören würden. Das ist für mich – noch bis heute – völlig absurd .
Was aber definitiv von Vorteil ist, wenn man so früh mit dem Leistungssport anfängt, ist der Sport an sich. Man trainiert den Körper langfristig und lernt Disziplin, Mut und Konzentration. Viele Eigenschaften die, wie ich finde, auf Dauer im Leben helfen und für die ich heute sehr dankbar bin.
Es ist zwar kein Teamsport an sich, trotzdem trainiert man zusammen und fiebert bei jedem Wettkampf mit. Ich liebte das Gefühl, in das Vereinsauto zu steigen, um zu Wettkämpfen zu fahren.
Zudem lernt man mit Erfolg, aber auch Niederlagen umzugehen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns in jedem Alter begleitet.
Ich denke im Großen und Ganzen macht es, wie bei allem, das Gleichgewicht. Die Eltern sollten darauf achten, dass andere Dinge wie die Schule, der Spaß am Sport und andere soziale Kontakte nicht zu kurz kommen.
Ich erinnere mich immer noch sehr gerne an meine Zeit im Sport zurück und bin auch oft noch traurig, dass ich ihn am Anfang meiner Pubertät aufgegeben habe. Mit dem richtigen Fokus kann Leistungssport, also auch im Kindesalter, eine Bereicherung sein.
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