Hokkaido ist die nördlichste Insel Japans und ein Ort voll unberührter Natur. Dies ist die nächste Station, die wir in unserem Abenteuer im Land der aufgehenden Sonne ansteuern.

Der Wanderweg ist versperrt. Er wurde angelegt von Menschen, die sich nur allzu viel Mühe gegeben haben, die Wanderer vom Verlassen der Wege zu hindern. Doch das Fernhalten wilder Tiere vom Weg ist offensichtlich nicht die oberste Priorität gewesen. Jedenfalls scheint es den Braunbären wenig zu interessieren, dass er sich auf einem für Menschen angelegten Weg befindet. Stattdessen steht er sehr gemütlich da, richtet sich auf, um fasziniert zu uns seltsamen Zweibeinern herüber zu blicken und wendet sich schließlich zu unser aller Erleichterung ab. Stattdessen nutzt er den so schön gepflegten Wanderweg, um nun selbst dort entlangzugehen und unserer Erleichterung folgt schnell die Ernüchterung. Um nicht in Gefahr zu geraten, halten wir genügend Abstand von dem jungen Bären – und müssen somit fürchten, die letzte Seilbahn vom Berg herunter zu verpassen.
Hokkaido, eine nur spärlich besiedelte Insel
Hokkaido wurde erst spät erschlossen und erhielt ihren jetzigen Namen 1869. Vorher hieß sie Ezo bzw. Yezo. Die Einwohnerdichte ist mit Abstand die geringste Japans. Das ist auch deutlich spürbar. Einerseits durch wundervolle Ruhe und freie Natur, andererseits jedoch durch eher dürftige Busverbindungen, sodass man hier nur mit viel Geduld zurechtkommt. Es fahren nur wenige Busse nach Sounkyo beim Daisetsu-zan Nationalpark und herauszufinden, wann sie fahren, ist nicht immer einfach. Nach eher weniger erfolgreichen Internetrecherchen, finden wir vor Ort doch noch die richtige Busverbindung.

Ein Feuerwerk zu Ehren unserer Ankunft?
Feuerwerke brechen aus, als wir aus dem Bus steigen. Nach einigen verwirrten Sekunden fällt der Groschen dann. Das Feuerwerk hat nichts mit unserer Ankunft zu tun. Es ist Hanabi-Saison. Jeden Abend werden hier Feuershows und Feuerwerke veranstaltet. Solche Feuerwerksfeste finden im Juli und August in ganz Japan statt. Ursprünglich gab es sie, um böse Geister abzuhalten, heutzutage sind sie hauptsächlich Touristenattraktionen.
Eine Sprache voller Lächeln
Wir brechen recht spät zu unserer Wanderung auf den Kuro-dake auf. Es scheint, als sei bereits ganz Hokkaido auf den Beinen. Ständig treten wir auf dem gut angelegten Weg beiseite, worauf stets mit einem Lächeln und vielem Nicken geantwortet wird. Das heißt, wenn uns nicht einer der japanischen Wanderer zuvor gekommen ist. Das Vorurteil über die Zuvorkommenheit und Rücksichtnahme der Japaner scheint sich zu bewahrheiten. Womit ich nicht gerechnet habe, war der dazugehörige Grad an Sturheit. Da kann es schon einmal dazu kommen, dass die Wanderer sich gegenüberstehen, um dem anderen Platz zu machen und nicht einsehen, selbst nachzugeben und zuerst zu gehen. Schließlich muss man ja selbst der Höflichkeit nachkommen und den Weg freigeben. Hier fällt uns auch der große Kontrast zu den Umgangsformen in der Stadt auf. Dort zeigt sich die große Zurückhaltung der Japaner. Es wird fast nie Small Talk mit Fremden gehalten und so ist man auch im dichtesten Gedränge in den Bahnen Tokyos relativ anonym unterwegs.
Auf Hokkaido scheint es anders. Besonders in den Bergen wird man stets mit einem freundlichen Lächeln und lang gezogenen „Konnichiwa“ gegrüßt, was stark an das „Griaß De“ oder „Servus“ der Wanderer im Allgäu erinnert. Selbst wir „gaijin“ (Außenseiter), wie alle Nicht-Japaner bezeichnet werden, können hier in Kontakt mit den Einheimischen kommen. Lässt man dann noch die Bemerkung „Iio tenki desune?“ (was für ein schönes Wetter heute) fallen, öffnen sich Türen und Gesichter.
Der Kuro-Dake, ein grüner Berg
Auch wenn Hokkaido im Norden Japans liegt, ist das Klima noch immer deutlich wärmer und feuchter, als man es aus Deutschland gewöhnt ist. Als wir endlich auf dem Gipfel angekommen sind, läuft der Schweiß und auch auf fast 2.000 Metern Höhe sind die Wanderwege noch von dichtem Grün umgeben.
Auf dem Gipfel angekommen werden wir von einem tollen Ausblick und vielen Menschen empfangen. Selbst hier oben nimmt die Religion noch einen hohen Stellenwert ein. Ich kann Menschen beim Beten vor einem winzigen Schrein beobachten.
Auch nachdem wir uns vom Gipfel aus auf ein Plateau weiter machen, sind die Wege in aller Vorsicht umzäunt und es gibt etliche Schilder, man solle den Weg nicht verlassen. Ob sich dies nun auf die Gefahr, abzustürzen zurückführen lässt, wage ich zu bezweifeln, da der Abgrund meterweit vom Weg entfernt liegt. Die naheliegendere Erklärung ist wohl, dass die Natur vor Eindringlingen und Störungen geschützt werden soll.
Campingplatz in der Wildnis
Nachdem wir uns etwas von der touristisch erschlossenen Strecke entfernt haben, treffen wir auch auf Wanderer, die über mehrere Tage unterwegs sind und den Campingplatz oder die Berghütte zur Übernachtung nutzen. Selbst wenn es ein wenig ungemütlich aussieht, lockt hier ein beeindruckender Blick auf die freie Natur. Auch bei der späteren Strecke werden wir mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt.
Das Rätsel der Glöckchen

Je länger wir unterwegs sind, desto häufiger fällt uns auf, dass viele Wanderer kleine Glöckchen an ihrem Rucksack befestigt tragen. Nach einigem Rätseln, ob sich etwas Religiöses dahinter verbirgt, sie vielleicht helfen sollen, andere Wanderer im Nebel zu finden oder doch eher ein Zeichen von Pilgern sind, beantwortet sich die Frage von selbst. Zwei Japanerinnen halten verkrampft ihre Glöckchen in den Händen und sind mitten auf dem Weg stehengeblieben. Als ich näher komme, rufen sie mir „Kuma“ entgegen und schwenken weiter aufgeregt ihre Glöckchen. Erst nachdem ich ihnen verwirrt einige Schritte folge, erschließt sich mir der Sinn ihrer Worte. Die Ohren eines jungen Braunbären schauen hinter den Sträuchern hervor. Die Glöckchen haben keinen religiösen oder anderweitig spirituellen Hintergrund; es sind Bärenglöckchen.
Hier zeigt sich unsere doch eher mäßige Vorbereitung. So haben wir noch nie von Bärenglöckchen gehört und die Warnungen im Touristencenter, auf Bären zu achten, mit einem Lachen abgetan. Wie unwahrscheinlich sei es denn auch tatsächlich einem Bären zu begegnen? Nun, offensichtlich nicht ganz so unwahrscheinlich, wie erwartet.
Doch obwohl die Japanerinnen Glöckchen besitzen und somit eindeutig besser über die Gefahr vor Bären informiert sind als wir, scheinen sie nicht wirklich zu wissen, wie die Bärenglöckchen verwendet werden. Die Glöckchen sind nicht da, um den Bären zu verscheuchen, sondern, um dauerhaft ein Geräusch von sich zu geben, damit man nicht aus Versehen einen Bären erschreckt. Tatsächlich gab es in den letzten Jahren einige Zusammenstöße mit Bären, die mit Verletzten oder sogar Toten endeten. Opfer sind dabei jedoch meist Wanderer, die allein unterwegs sind, um Wildkräuter oder Sprossen zu sammeln und dadurch keine Geräusche von sich geben. Wandert man zu zweit, ist man meist schon durch Gespräche sicher, da man so einen dauerhaften Geräuschpegel von sich gibt. Für Alleinreisende empfehlen sich jedoch Bärenglöckchen oder kleine tragbare Radios, sodass man sich nicht in völliger Stille fortbewegt.
Nächste Station: Kyoto
Die Zeit auf Hokkaido war traumhaft schön. Idyllische Natur wie man sie nicht überall findet, Ruhe und ein paar Einblicke in die japanische Sprache. Doch nun geht es weiter in meinem „Crashkurs Japan“ in die Stadt, die für den historischen Kiyomizu-dera Tempel, die wunderschöne Altstadt und die Burg Nijo bekannt ist: Kyoto.
Schreibe einen Kommentar