Hypnose hat in unserer Gesellschaft einen sehr zweifelhaften Ruf, dabei gehört sie zu den ältesten Formen der Medizin. Was ist also dran an den Gerüchten und was kann eine Hypnosetherapie bewirken? Ein Selbstversuch.
„Sobald ich auf deine Augen puste, passiert etwas mit dir“, sagte Pietro Mercuri in „Arabellas große Hypnoseshow“ zu einer Teilnehmerin, die im Fernsehstudio von ProSieben vor ihm stand. „Dein Kopf sitzt verkehrt rum auf deinen Schultern. Und wenn du an dir runterschaust, siehst du deinen Rücken.“ Mercuri pustete ihr auf die geschlossenen Lider und als die junge Frau ihre Augen öffnete, sah sie langsam an sich herunter, betastete ihren Bauch und schrie kurz auf. Sie glaubte anscheinend tatsächlich, ihren Rücken zu sehen. Handelte es sich dabei um reinen Fernsehhokuspokus und eine Schauspielerin, die ihr Publikum unterhalten wollte?
„Leider nicht“, sagt Dr. med. Carita Marie Rabe, die in Hamburg eine Praxis für medizinische Hypnose führt. „Das ist wirklich möglich.“ Hypnose sei ein besonderer Bewusstseinszustand zwischen dem wachen Bewusstsein und dem Schlaf, in dem unser Gehirn eine alternative Wirklichkeit konstruiert. „Es ist ein Gedanke, den man so fest denkt, dass man ihn selbst glaubt“, beschreibt die Hypnotherapeutin.
Dieser Zustand wird bei der medizinischen Hypnosebehandlung genutzt, um körperliche und seelische Erkrankungen zu behandeln, die durch psychische oder soziale Faktoren bedingt sind. Dazu gehören Ängste, Zwangsstörungen, belastende Gefühle, aber auch Raucherentwöhnung und Abnehmen. Die Hypnose zählt zu den ältesten Heilmitteln und wurde als Therapie 2006 in Deutschland anerkannt.
Kann Hypnosetherapie gefährlich sein?
Im Internet geistern jedoch allerhand Schauergeschichten herum. Was ist an diesen Schilderungen von Retraumatisierung und dem Gerücht des Kontrollverlustes über den eigenen Körper dran? „Sie können einen Menschen nicht in seinem Inneren umkrempeln“, beruhigt Thomas R. Schopf, Hypnotherapeut mit Praxis in Hamburg. Auch er hält die Hypnose im Fernsehen für realistisch, gibt allerdings zu bedenken, dass es sich dabei um Shows handelt und es somit um Unterhaltung geht. Der Hypnotiseur suche sich Menschen aus dem Publikum aus, die besonders „anfällig“ für Hypnose wären.
Prinzipiell sei es jedoch eine angeborene Fähigkeit aller Menschen, in Trance zu gehen. Dabei sind Sympathie zwischen demjenigen, der hypnotisiert, und dem Hypnotisierten sowie die Stärke der Konzentration wichtige Faktoren für eine Hypnose. „Erwachsene haben eine ganz klare Vorstellung, wie die Welt zu sein hat. In Trance ist das eher wie in der Kindheit, da ist alles möglich“, beschreibt Schopf. Der menschliche Geist sei sehr kreativ, was Schopf sich in der Hypnose zunutze mache.
Doch welche Schäden kann eine Hypnosetherapie verursachen? Was ist an den Gerüchten und den Warnungen vor dieser Therapieform im Internet dran?
Schäden aufseiten des Patienten könne es geben, sagt Schopf. Die Warnungen aus dem Netz hält er jedoch für übertrieben. „Der schlimmste ,Schaden‘ wenn man so will, ist, dass die Therapie nicht hilft“, beruhigt Schopf. „Ein weiterer ist natürlich der finanzielle Schaden, eine Therapiesitzung kostet schließlich etwa 150 Euro.“
Weder Schopf noch Denise Humbert, ebenfalls Hypnosetherapeutin in Hamburg, sind Fälle von Retraumatisierungen durch Hypnosetherapie bekannt. Auch die Beschreibungen der angeblich Geschädigten im Internet sind äußerst vage. Dennoch verunsichern sie viele Menschen, wie Humbert weiß. Die meisten ihrer Patienten sind zuerst ängstlich und skeptisch gegenüber der Hypnose. Im unverbindlichen Vorgespräch versucht Humbert, ihnen diese Angst zu nehmen. „Ich kann nur das machen, was meine Patienten innerlich wollen“, versichert Humbert. „Hypnose klingt immer so nach Hokuspokus, dabei ist das in Wirklichkeit gar nicht so spektakulär.“
Ein Selbstversuch
Das will ich genauer wissen. Wie fühlt es sich an, hypnotisiert zu werden? Schopf bietet mir an, eine Hypnosetherapiesitzung mit mir durchzuspielen. Es dauert auch nicht lange, bis mir ein Problem eingefallen ist, das Schopf mithilfe von Hypnose behandeln könnte: Ich werde jedes Mal unglaublich nervös, wenn ich vor einer größeren Gruppe einen Vortrag halten muss. Dann fangen meine Knie an zu zittern und meine Hände werden eiskalt. Das ist mir etwas peinlich, schließlich bin ich sonst gar nicht schüchtern, aber Schopf steht nur voller Vorfreude – so scheint es – auf und bittet mich, ebenfalls aufzustehen.
Als nächstes soll ich mir vorstellen, dass meine Füße tief im Boden verankert sind und mich gleichzeitig ein Faden nach oben zieht. Damit habe ich Probleme: So sehr ich mich auch anstrenge, ich spüre nichts, was mich nach oben zieht. „Hält Sie denn etwas am Boden?“, erkundigt sich Schopf. Keine Ahnung. Ehrlich gesagt bin ich mit dieser Frage etwas überfordert. Ich soll lokalisieren, was mich „am Boden hält“, wie Schopf es ausdrückt. Die Antwort „Schwerkraft“ hat er nicht gelten lassen.
Irgendwann meine ich, etwas Schweres in meinem Kopf spüren zu können. „Es ist also ein Problem Ihres Kopfes“, schlussfolgert Schopf. „Unterbewusstsein von Sarah“, fährt er dann fort. „bist du damit einverstanden, dass wir das Problem in Sarahs Kopf angehen? Dann lass deine Hände sich aufeinander zubewegen.“ Während er spricht, nimmt er meine Arme und bewegt sie so, dass sie im 90-Grad-Winkel gebeugt und etwa 30 Zentimeter auseinander sind. Meine Handflächen zeigen dabei nach innen. Dann tritt Schopf wieder einen Schritt zurück. Es dauert nicht lange, da spüre ich eine Art magnetischen Zug in meinen Händen. Wenige Augenblicke später berühren sich meine Fingerspitzen.
„Okay“, sagt Schopf erfreut. Ich halte meine Augen noch immer geschlossen, glaube aber, dass er dabei grinst. „Dann sehen Sie in sich hinein. Finden Sie etwas Warmes?“ Ohne darüber nachzudenken, beginne ich mit der Suche in meinen Händen, taste mich über meine Arme in den Oberkörper. „Ja, in der Brust“, antworte ich. „Was hat es für eine Beschaffenheit?“, fragt Schopf weiter. Für diese Antwort brauche ich einen Augenblick, denn ich muss erst den Gedanken verdrängen, der mich fragt, was genau ich hier eigentlich mache. Ich nehme erst wahr, dass diese Wärme eine gasförmige Beschaffenheit hat, als ich versuche, diese zu ergründen. „Welche Farbe hat dieser warme Dampf oder Rauch?“ Jetzt also auch noch die Farbe. Kaum habe ich das zu Ende gedacht, färbt sich der Rauch vor meinen Augen gelb. „Sonnenblumengelb“, teile ich Schopf mit. „Können Sie spüren, wie sich dieser warme, sonnenblumengelbe Rauch in Ihrem Körper ausbreitet?“ Ich nicke nur. „Gut, dann genießen Sie dieses Gefühl für einen Moment.“
Eine gefühlte Ewigkeit stehe ich so da, bis Schopf weiterspricht: „Jetzt widmen wir uns wieder, was sie am Boden hält. Können Sie es wiederfinden?“ Doch so sehr ich mich auch anstrenge, es gelingt mir nicht. „Vielleicht ist es eine jüngere Version von Ihnen“, hilft Schopf mir auf die Sprünge. „Eine kleine Sarah, die verängstigt ist, die sich vor irgendetwas fürchtet.“ Sobald ich weiß, wonach ich suche, sehe ich mein zehnjähriges Ich klar vor mir: Zahnspange, schreckliche Frisur und ein grässlicher Pullover. Sie schaut mich mit großen, etwas ängstlichen Augen an. Wir stehen im Flur meiner alten Schule, in der ich mich am Anfang gar nicht wohl fühlte. Zu groß, zu laut und zu viele fremde Menschen für ein Dorfmädchen.
„Nehmen Sie die Kleine an die Hand, sagen Sie ihr, dass sie sich nicht zu fürchten braucht“, weist Schopf mich an. Ich stelle mir vor, wie ich dem Mädchen vor mir die Hand reiche und rufe mir dabei in Gedächtnis, was ich seit dem Zeitpunkt, an dem ich wirklich dort in meiner alten Schule stand, geschafft und was für Probleme ich überwunden habe. „Und nun verschmilzt sie mit Ihnen. Sie nehmen sie in sich auf.“ Die Szene, die sich vor meinen Augen abspielt hat ziemliche Ähnlichkeiten mit einem japanischen Anime, von denen ich früher viel zu viele gesehen habe. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Ein bisschen komisch komme ich mir immer noch vor.
„Nun stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Raum voller Menschen, denen Sie einen Vortrag halten wollen.“ Das fällt mir nicht schwer. Erst vor einer Woche hatten wir in der Uni ein Präsentationstraining. Kaum denke ich daran zurück, werden meine Hände kalt. „Alle Augen sind auf Sie gerichtet, weil die Menschen Ihnen zuhören wollen. Spüren Sie wieder diesen Rauch, diesen warmen, sonnenblumengelben Rauch, der Sie umgibt.“ Ich stelle es mir vor und spüre nach einiger Zeit, wie meine Hände wieder wärmer werden.
„Bleiben Sie noch einen Moment dort und genießen Sie es“, sagt Schopf zu mir. „Dann zählen Sie bis 20 und machen die Augen auf.“ Ich betrachte noch einige Momente die Gesichter meiner Zuschauer, dann gehe ich aus dem Raum und stelle mir eine Treppe vor, deren Stufen ich hinaufsteige. Bei jedem Schritt zähle ich mit. Bei 20 öffne ich langsam die Augen.
Nach der Hypnose
Erste Feststellung: Meine Armbeugen schmerzen. Ich muss meine Arme die letzten zwanzig Minuten ganz seltsam gehalten haben. Bis soeben hatte ich jedoch nichts davon gespürt. „Abgefahren“, rutscht es mir heraus. Schopf sitzt bereits in seinem Sessel und lacht verschmitzt. Mit Hilfe seiner „Assistentin“, wie er seine Matrjoschka nennt, erklärt er mir, was gerade in der Hypnose passiert ist: Die größte Puppe symbolisiert mich. Er öffnet sie und deutet auf die zweite Matrjoschka. Sie steht für mein Unterbewusstsein. Auch sie öffnet er und stellt die dritte Puppe neben die beiden größeren. „Das ist die kleine zehnjährige Sarah, die Sie aus Ihren Unterbewussten verbannt haben, weil sie unangenehm ist.“ Aha, denke ich, mein Kopf schwirrt mir noch immer. Das sei ganz normal, versichert mir Schopf. „Die letzten zwanzig Minuten waren für Ihr Gehirn anstrengender als mehrere Stunden konstruktives Alltagsarbeiten. Das war ein reines Synapsenfeuerwerk.“
Er schiebt die drei Puppen aufeinander zu. Um meine Präsentationsangst zu überwinden, sei es nötig gewesen, mein zehnjähriges Ich wieder in mein Unterbewusstsein zu integrieren. „Also habe ich als Berater ihr Bewusstsein mit dem Unterbewusstsein in Kontakt gebracht.“ Ich nicke langsam. Mein Kopf fühlt sich unglaublich schwer an. In der S-Bahn lehne ich meinen Kopf gegen das Fenster und schließe die Augen. Humbert hatte Recht. Die Hypnose war nicht so spektakulär, wie es im Fernsehen den Anschein macht. Und auch Schopfs Vergleich mit dem Synapsenfeuerwerk finde ich passend. Mein Kopf fühlt sich zumindest ziemlich ausgebrannt an.
Fazit
Ein paar Wochen später ist es dann soweit. Ich stehe vor einer Gruppe von Leuten und soll einen Vortrag halten. Für einen kurzen Moment schließe ich meine Augen und denke an den warmen, sonnenblumengelben Rauch. Ich komme mir immer noch etwas lächerlich vor, aber ich bin Pragmatikerin: Was soll‘s, solange es hilft. Meine Hände bleiben warm und meine Knie hören auf zu zittern. Was bleibt, ist das flaue Gefühl im Magen, doch das verschwindet erwartungsgemäß nach einigen Minuten.
Worte als Medizin. So hatte Dr. med. Carita Marie Rabe es ausgedrückt. Klingt etwas blumig, ist aber irgendwie passend für eine Form der Medizin, die oft als Hokuspokus abgetan wird, obwohl sie gar nicht so spektakulär ist.
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