In seinem Buch „Wer’s glaubt, wird selig“ macht sich der Kabarettist nicht nur über Weltreligionen (neben dem Islam wird auch gerne die katholische Kirche aufs Korn genommen) lustig, sondern genauso auch über Aberglaube, Verschwörungstheorien, den Sozialismus, übertriebene Tierliebe, alternative Medizin und blindes Vertrauen in die Lebensmittelindustrie, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Damit verdeutlicht er, woran Menschen alles glauben können, und wie lächerlich die Auswüchse manches blinden Vertrauens wider besseren Wissens sein können.
Selbstverständlich gehören Witze, auch schlechte Witze auf Kosten anderer, zur Meinungsfreiheit, und dürfen nicht verboten werden; begründete Kritik an gesellschaftlichen Missständen ist in einer Demokratie sogar unabdingbar. Dass man Terroranschläge oder menschenrechtsverachtende politische Verhältnisse, die mit Religion oder vielmehr einer dubiosen Auslegung derselben „legitimiert“ werden, nicht tolerieren muss, ist auch klar, und wie der Fall juristisch ausgeht, bleibt abzuwarten. Allerdings muss man nicht davon ausgehen, dass religiöse Menschen, aus gegebenem Anlass vor allem Muslime, besonders schnell „beleidigt“ sind, wenn man ihren Auffassungen widerspricht. Die persönliche Erfahrung zeigt eher, dass ein Gesprächspartner im Zweifelsfall auch auf Unglaube oder Witze über seine politische Partei emotional sehr heftig reagiert.
Wie tolerant begegne ich scheinbar intoleranten Religionen?
Manchmal hat man sogar den Eindruck, jede noch so dubiose Überzeugung müsse in einer aufgeklärten Gesellschaft toleriert und sogar akzeptiert werden. Andererseits stoßen gerade religiöse Menschen, auch junge Christen, die sich für ihre Werte einsetzen, oft auf Unverständnis. So ganz als ob alle Gläubigen per se Fanatiker wären, oder zumindest ganz und gar unfähig, selber zu denken. Nuhrs Buch hat mir beispielsweise ein Freund geschenkt, damit ich mal darüber nachdenke, wie böse Religion doch eigentlich sei, ein anderer versuchte, mich mit Dostojewskijs „Großinquisitor“ zum Atheismus zu bekehren. Angesichts solcher und leider weit weniger harmloser Ereignisse drängt sich eine Frage auf: Wie gehe ich mit Menschen um, deren Überzeugung, sei sie politischer oder spiritueller Natur, ich nicht teile? Suche ich den Dialog und frage einfach nach, ob er oder sie tatsächlich an die Erschaffung der Welt in sechs Tagen glaubt, und wenn ja, wie das mit einem überdurchschnittlichen Bildungsniveau zu vereinbaren ist? Oder stempel ich mein Gegenüber von vornherein als jemanden ab, mit dem man sowieso nicht diskutieren kann?
Kritische Auseinandersetzung oder nur bekannte Vorurteile?
Nuhrs Fazit: Glaube ist „was Komisches“ und „mit einem funktionierenden Gehirn oft nur schwer durchzuhalten“, Glauben und Wissen schließen sich per se aus. Gerade die Kritik an den etablierten Weltreligionen kommt jedoch sehr flach daher und zeugt eher von der Rezeption allgemein bekannter Vorurteile als von einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den religiösen Botschaften: Die Welt könne unmöglich in sechs Tagen erschaffen worden sein und Gott ist angesichts der Geschichte der Menschheit unmöglich allwissend und barmherzig, ja wahrscheinlich noch nicht einmal großartig an uns interessiert. Auf diese altbackenen Kritikpunkte hätte man, mit Verlaub, auch selber kommen können. Das Totschlagargument lautet im Zweifelsfall, Religionen (wohlgemerkt nicht nur der Islam, sondern vor allem auch die Konfession der Katholiken) seien grundsätzlich frauenfeindlich. Inwieweit ein Mann überhaupt darüber urteilen kann, was Frauen tatsächlich als abwertend empfinden, sei jetzt mal dahingestellt. Auffällig ist jedoch, dass die Damen der Schöpfung bei Nuhr selber auch nicht gerade gut wegkommen: Das fängt bei Nebensätzen an, die das Publikum zum Beispiel mit der Aussage, Frauen neigten „ohnehin zu kalten Füßen“ zum Lachen bringen wollen, und aufs Korn genommene „katzenliebhabende Sternzeichenfragerinnen“ und nervige Blutsverwandte sind zufälligerweise immer weiblich. Was Männer angeht, wird zwar hin und wieder auf ihre Primitivität angespielt, ihr Pragmatismus, der sich dann in knappen, unmissverständlichen Gesprächen ausdrückt, wird jedoch hochgelobt. Die bibelfeste Christin fühlt sich hier bestenfalls an eine Aussage Jesu über Splitter und Balken im Auge erinnert.
Generell wird purer, teils zynischer Rationalismus gegen diverse Ideale ausgespielt, die aufgeklärte, säkularisierte Kultur Europas erscheint dabei als das letzte Bollwerk der Intelligenz in einer Welt voller Barbaren, die sich aus (aber)gläubigen Überzeugungen ohnehin nur gegenseitig die Köpfe einschlagen. Aber zeichnet sich Zivilisation nicht gerade dadurch aus, dass ganz idealistisch angenommen wird, Menschen könnten noch andere Beweggründe haben als Geldgier, Hunger oder den gern zitierten Sexualtrieb? Vielleicht sind derartige inhaltliche Ungereimtheiten ja eine Parodie auf widersprüchliche Berichte in der Bibel, die nur aufgeklärte Hochbegabte verstehen. In einem Punkt kann man jedenfalls durchaus etwas von Dieter Nuhr lernen: Man sollte nicht alles glauben, was ein Mensch sagt oder in einem Buch schreibt. Meistens ist es nämlich leider unreflektierter Blödsinn.
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