„Nein!“, sagt die Wissenschaft. Das, was gemeinhin dafür gehalten wird, sei lediglich durch körperliche Reize verursachte Anziehung und Begierde. Warum man für Liebe auf den ersten Blick anfälliger ist und warum so viele Menschen an dieses hormonelle Phänomen glauben, verrät euch unsere Autorin Eva.
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Anzeichen für die Liebe auf den ersten Blick
Ein Blick genügt und schon fängt das Herz an, zu rasen. Die Knie werden weich und der Kopf schwindelig und rot. Wem das beim ersten Anblick eines anderen Menschen schon einmal passiert ist, der spricht oft beseelt von „Liebe auf den ersten Blick“. Weltweit träumen womöglich Millionen Menschen von solch schicksalhaften Begegnungen, bei denen sie Amors Pfeil direkt ins Herz trifft.
Dass der Anblick einer fremden Person in Millisekunden derartige Wallungen auslösen kann, ist wissenschaftlich bewiesen. Allerdings startet diese Achterbahnfahrt nicht im Herzen, sondern im Gehirn. Wird dieses durch visuelle Reize über das Normalmaß stimuliert, setzt es einen biochemischen Prozess in Gang: Glücks- und Belohnungshormone werden dann verstärkt ausgeschüttet. Diese sorgen für freudige Erregung und die oben geschilderten Symptome.
Ist Liebe auf den ersten Blick wirklich Liebe?
Leider handelt es sich bei diesem biochemischen Prozess aber nicht um Liebe, sondern lediglich um körperliche Anziehung. „Liebe“ ist dafür aber ein viel zu starker Begriff für diesen hormonellen Rausch. Denn für Liebe bedarf es Geborgenheit, Vertrauen und Intimität – sowie Zeit, diese zu entwickeln. Der Begriff „Verliebtheit“ trifft diesen Zustand vielleicht eher .
„Liebe“ ist ein großes Wort. Dahinter steht so viel mehr, als sich nur sympathisch und attraktiv zu finden. Man lernt einander kennen, erfährt erst nach und nach wichtige Dinge über den anderen Menschen, wie seine Werte, seine Stärken, aber natürlich auch – was meist viel bedeutsamer ist – seine Schwächen. Mit der Zeit lernt man seine Macken kennen und lieben … oder eben nicht. Zusammen überwindet man den ersten Streit und meistert andere Herausforderungen. Man erlebt gemeinsam schwere, aber auch viele schöne Momente.
Den ersten Kuss, den ersten gemeinsamen Urlaub, das erste Mal. Das alles bewirkt, dass zwei Menschen sich zusammengehörig beziehungsweise einander nah fühlen und überhaupt fühlen können. Erst mit diesem Gefühl kann Vertrauen entstehen. Vertrauen gehört zu einer Beziehung dazu, wie die zwei Liebenden selbst. Ebenso gehört es zu einer funktionierenden Partnerschaft, sich gegenseitig Freiräume zu lassen. Damit man die Chance hat, nach Hause zu kommen, um sich in den Armen des / der anderen fallen zu lassen und geborgen fühlen zu können.
Plötzlich verliebt? Männer springen auf hübsche Gesichter, Frauen auf Augen, Stimme und Größe an
Liebe ist etwas Wunderschönes. Sie braucht Zeit, um entstehen und wachsen zu können. Dafür reicht der kurze Moment eines Blicks einfach nicht aus. Das „Gefühl“, von einem Moment auf den anderen plötzlich verliebt zu sein, ist nicht wegzureden. Interessanterweise haben es Männer häufiger als Frauen. Dass Liebe auf den ersten Blick beim Mann öfter vorkommt, liegt daran, dass diese stärker auf äußere Reize reagieren und schneller entflammbar sind. Das ist kein Vorurteil, sondern evolutionär begründet. So sind Männer von Natur aus, darauf bedacht, ihre Gene so schnell und weit wie möglich zu verbreiten. Die Anzeichen, dass sich jemand Knall auf Fall verliebt hat, sind aber bei beiden Geschlechtern ähnlich.
Diese Verhaltensweisen sprechen für Liebe auf den ersten Blick
Zu den Anzeichen für die Liebe auf den ersten Blick zählen ein merkwürdiges, sprunghaftes Verhalten; die Fixierung auf das Objekt seiner Liebe; eine Cocktailrausch aus Hormonen, der die Sinne vernebelt sowie ein immerwährender Zustand des Glücks durch das viele Dopamin. Oft spielen auch schnelles Herzklopfen durch das vermehrte Adrenalin und Cortisol sowie Konzentrationsstörungen eine große Rolle, weil Betroffene dauerhaft an den oder die Auserwählte denken müssen.
Aber innerhalb weniger Sekunden plötzlich verliebt zu sein, ist eher Wunschdenken als Tatsache. So hat der amerikanische Paartherapeut und Autor John Gray für den Prozess des Verliebens insgesamt vier Phasen herausgearbeitet: Körperliche Anziehung, Emotionen, Persönlichkeit, sich auf eine Beziehung einlassen. Während Männer sich in dieser Reihenfolge verlieben, steht bei Frauen die Persönlichkeit des potenziellen Partners an erster Stelle, bevor Emotionen ins Spiel kommen. Erst danach erwacht das körperliche Interesse an den Herren der Schöpfung.
Psychologische Mechanismen der Liebe auf den ersten Blick
Wenn also selbst das Verlieben einen längeren Prozess darstellt, wieso beharren dann so viele Menschen darauf, dass sie der Liebe auf den ersten Blick anheimfielen? Psychologen haben hierfür gleich zwei Erklärungen: Zum einen, weil durch den Rausch der Hormone wohlige Vertrautheitsgefühle aus der Vergangenheit wachgerufen werden, die unbewusst bewirken, dass uns wildfremde Menschen an Bezugspersonen aus der Kindheit oder an die erste große Liebe erinnern. Übertragung ist hierfür der Fachbegriff.
Zum anderen neigen Verliebte dazu, ihr aktuelles Glück rückwirkend in die Vergangenheit zu projizieren und im Nachhinein Erinnerungen zu konstruieren, die ihrer Beziehung Bedeutung verleihen. Also nicht Liebe auf den ersten Blick, sondern ein Streich unseres Unterbewusstseins namens „plötzlich verliebt“. So ist die schicksalhafte Liebe auf den ersten Blick nur eine, im Nachhinein interpretierte, Illusion, an die die Menschheit nur zu gerne glaubt. Offenbar gibt es unzählige, unverbesserliche Romantiker. Kein Wunder – ist es doch viel schöner, an sie zu glauben, als an biochemische Prozesse und psychologische Mechanismen.
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