Manchmal sind es nur wenige Worte, ein kleines Zitat, ein Gedicht oder ein Aphorismus, die uns unbegrenzte Gedankenwelten eröffnen. Kleine Impulse lassen unsere Gedanken fliegen. Also Starthilfe gefällig?! Dann weiterlesen!

Kopf und Herz
Wie es scheint, ist die Moral
Nicht so bald beleidigt,
Während Schlauheit allemal
Wütend sich verteidigt.
Nenn den Schlingel liederlich,
Leicht wird er’s verdauen;
Nenn ihn dumm, so wird er dich,
Wenn er kann, verhauen.
W. Busch
Also Hand auf Herz – oder doch lieber auf den Kopf?! Ist es dir wichtiger clever oder nett zu sein? Und was beleidigt dich mehr? Dass du “ein Arsch” sein sollst, oder dass du ein Idiot bist? Wahrscheinlich geht es dir ähnlich, wie das eben auch Wilhelm Busch in seinem wunderbaren Gedicht beschreibt. Die Schlauheit ist in unserer Welt wichtiger als die Moral. Wer einfach nur nett ist, ist halt eben die treudoofe Seele, die man gerne hat, aber ihre Wärme höher schätzt als ihre Worte. Meine Oma beschrieb diese Menschen ganz gern in einem Satz: „So a leef Kerlche, aber ach so bleed!“ Entscheiden sollen in unserer Gesellschaft die Intelligenten, die Theoretiker, die Studierten und die mit dem nötigen Zahlenwissen. Egal, ob Politik, Wirtschaft oder Familienkreis: Immer sind es die affektlos Rationalen, die das größte Gehör finden.
Die Moderne mit ihrer hochdifferenzierten Arbeitsteilung und ihrem sinnentleerten Kapitalismus erzieht sich ihre Akteure schlichtweg selbst und damit ist der homo oeconomicus nicht nur eine schlechte Fremdbeschreibung, sondern eben auch eine adäquate Selbstbeschreibung geworden. Jeder von uns versucht, das eigene Handeln in der Rückschau mit fiktiven, aber scheinbar logischen Begründungen zu rationalisieren. Es grenzt an reflexhaftes Handeln, wie man sich immer wieder in durchdachter Zweckrationalität darzustellen versucht. Plötzlich ist allgegenwärtiges Ziel maximales ökonomisches Einkommen bei minimalem Aufwand. Die Wahl eines BWL-Studiengangs, wie auch die tägliche Lektüre der Wirtschaftsnachrichten und die ständige Beschleunigung des eigenen Lebens sind „intelligent“, weil profitmaximierend. Und bei dem täglichen Kampfsport des „Klügerseinwollens als alle anderen“ macht uns sowieso niemand etwas vor.
Wie auch schon Descartes wusste: „Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jedermann ist überzeugt, dass er genug davon habe.“ Einfach nur altruistisch sein, ist gerade nicht in Mode, weil nicht schlau. Und so enthüllt jeder scheinbare Altruismus einen stahlharten Egoismus. Denn jede noch so kleine Spende, jede Freundlichkeit gegenüber Fremden und jede kleine Hilfe kann über Facebook-Posts und Co. direkt wieder in soziale Anerkennung eingetauscht werden. So wird Moral plötzlich zu Schlauheit. Die Grenzen sind hier nicht mehr klar zu ziehen.
Aber die Kombination von Bosheit und Intelligenz, am besten noch mit einer guten Portion Charme, ist auch eine der reizvollsten Motive in Filmen und Romanen. Wenn der Protagonist dann noch superschicke italienische Anzüge trägt, hat man schon fast das Drehbuch für „The Wolf of Wallstreet II“ parat. Wenn dagegen die Bösen auch noch die Dummköpfe sind, ist die Geschichte häufig schnell eine vorhersehbare Disneystory. Und auch das echte Leben lebt von der Spannung zwischen Moral und Schlauheit.
Besonders spannend wird es, wenn man vor diesem Hintergrund politische Diskurse beleuchtet. In der Flüchtlingsdebatte geht es lange nicht mehr darum, was europäischen Werten entsprechend zu tun wäre, sondern es wird meist nur auf der Ebene der Rationalität kritisiert. Griechenland ist aus österreichischer Sicht einfach zu dumm. Und auch die Kanzlerin war nicht unmoralisch, sondern schlicht doof, als sie ihren berühmten Satz „Wir schaffen das!“ aussprach. In dieser Argumentation lassen sich dann Grundüberzeugungen der westlichen Welt über Bord werfen und ähnlich wie dies Sloterdijk in seinem mittlerweile populärsten Interview tat, Fremdenfeindlichkeit und Sozialdarwinismus nachträglich in das Gewand von philosophischer Logik kleiden.
Es sind diejenigen, die uns weißmachen wollen, dass die Flüchtlinge in „unserem“ Europa alte okzidentale Werte in Frage stellen, welche den Humanismus biegen und entstellen, wie es in ihre Logik passt. Wer sich auf das Grundgesetz beruft und die Würde des Menschen als unantastbar darstellt und damit dann gegen „die Praktiken“ des muslimischen Mannes argumentiert, kann nicht gleichzeitig den so harmlos anmutenden „Schutz der Außengrenzen“ im Stile Österreichs befürworten. Denn unter dieser bürokratischen und entsprechend nüchternen Begrifflichkeit verbirgt sich das Sterben Menschen unmittelbar vor unserer Haustür. Es sind genau diese Politiker, die unsere freiheitlichen, christlichen Werte in Frage stellen.
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