Wenn wir Menschen vor 50 Jahren gefragt hätten, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind, hätten sie uns vermutlich ganz andere Antworten gegeben, als wir es heute tun würden. Das Leben hat sich in den letzten Jahren rasant verändert und ist in vielerlei Hinsicht komfortabler geworden. Trotzdem sind viele Menschen geplagt von Unzufriedenheit, mangelnden Ressourcen und Undankbarkeit. Aber wieso eigentlich und wie konnte unsere Undankbarkeit soweit kommen, dass sie uns blind macht?
Disclaimer: Natürlich sind nicht alle und immer undankbar, aber (Un)Dankbarkeit ist schleichender ein Prozess, der sich tief in uns hineingefressen hat. Deswegen fällt es uns bisweilen vielleicht gar nicht auf, dass wir unglücklich sind, weil wir undankbar geworden sind. Deswegen ist es immer wieder wichtig, zu reflektieren und zu sich selbst zu finden.
Die schwierigen Anfänge
Wenn wir uns unsere Kindheit anschauen, war und ist sie in vielen Fällen alles andere als schlecht oder absolut unglücklich: Wir haben keinen Krieg erlebt, in den meisten Fällen und zumindest in Deutschland vermutlich keinen Hunger leiden müssen, wir konnten unbeschwert mit Gleichaltrigen spielen und mussten nicht jeden Tag um unser Überleben bangen und kämpfen. Unser Überleben war sicher, wir hatten ein Dach über dem Kopf und ein Mindestmaß an Sicherheiten, die uns viel freier machten, als die Generationen vor uns.
Wenn wir unsere Großeltern fragen, merken wir oft, dass sie genau das Gegenteil erlebt hatten: Unsicherheiten, Krisen, lebensbedrohliche Umstände und Hunger, ja vielleicht sogar den Verlust ihrer Familien. Das alles hat Spuren hinterlassen, es hat ein tiefes Bedürfnis an Sicherheit geschürt, das jeder erreichen wollte. Nie wieder sollte es so unsicher, so bedrohlich werden, und nie wieder sollte es Hunger geben. Nicht zuletzt ist es unseren Großeltern oder sogar Urgroßeltern zu verdanken, dass wir eine sichere und schöne Kindheit hatten. Die Trümmerfrauen bauten das Land wieder auf und die Menschen erkämpften sich unsere Freiheiten.
Sie waren dankbar dafür, ihr eigenes Land zu haben, ihr eigenes Haus mit den eigenen Händen zu bauen und ihr Leben zu leben, ohne Bedrohungen und Ängste. Sie waren dankbar für die kleinen Momente, die sie in ihrem harten Leben erlebten.
Was aber lernt jemand, der nicht für alles kämpfen musste?
Je mehr wir haben, je weniger wir für alles kämpfen müssen, umso resistenter werden wir gegenüber unseren eigenen zahlreichen Privilegien. Vielleicht schätzen wir nicht mehr die Erfindung der Spül- und Waschmaschine, die uns täglich Stunden an Arbeit spart, das ist vielleicht nicht so tragisch. Aber wenn wir nicht mehr schätzen, dass wir Freiheiten haben, die die Generationen vor uns nicht hatten, für die sie vielleicht sogar mit ihrem Leben bezahlen mussten, dann könnte es enorme Auswirkungen haben.
Wir sind es nicht mehr gewohnt, körperlich hart zu arbeiten. Unser sicherer Tod ist nicht mehr der Bau oder der Kohleabbau, sondern der Bürostuhl. Unser Problem ist nicht mehr, dass es nur noch eine Sorte Joghurt und ein Fernsehprogramm gibt, sondern dass es abertausende gibt und wir die Entscheidung für uns treffen müssen, die in der Vergangenheit nicht getroffen werden musste.
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen
So sagt man oft, dass es früher ganz andere Probleme gab, als heute. Natürlich war früher nicht unbedingt alles besser, aber die damaligen Probleme waren lösbar und das Leben hatte nebst seiner Härte auch die wirklich glücklichen Momente. Wenn wir uns unsere heutigen Probleme anschauen, gibt es auch einige, aber sie erscheinen unlösbar: Der Klimawandel, Umweltverschmutzung, Wassermangel, extreme Ungleichheit.
Eine Lösung dafür könnte nur gemeinsam erreicht werden und doch verschließen viele die Augen davor und leben lieber ihr schöngemaltes Leben. Aber dadurch sind diese Menschen nicht automatisch dankbarer, sie überlegen sich vielleicht welchen ihrer vielen Mäntel sie heute anziehen könnten und werden unglücklich darüber, dass ihnen der Mantel fehlt, den sie so gerne hätten. Ihnen vergeht die Dankbarkeit dafür, dass sie schon so viele Mäntel haben, die sie nur schätzen müssten.
Milliarden von Möglichkeiten
Wir hätten so viele Möglichkeiten, wird immer wieder betont. Der Sohn eines Bäckers müsse nicht mehr Bäcker werden und die Stube des Vaters übernehmen. Er könnte auch nach Australien gehen und dort in einer Auffangstation für Kängurus arbeiten, er könnte aber auch Design in Madrid studieren. Die Frage ist, was der Bäckerssohn gerne möchte, aber weiß er das wirklich? Macht uns das wirklich glücklicher, unzählig viele Möglichkeiten zu haben oder macht es uns glücklicher einem vorgegebenen Weg zu folgen, der sicherer ist?
Folgen wir lieber unseren eigenen Lebensentwürfen oder ist es für uns zufriedenstellender, auch den Lebensentwürfen anderer zu folgen? Das ist sicherlich abhängig von der Persönlichkeit, aber grundsätzlich ist weder das eine noch das andere ein Garant für Glück oder Dankbarkeit. Wir werden nicht dankbarer dadurch, dass wir in jedes Land der Welt reisen können, weil es für uns Normalität ist. Weil wir das Leben nicht anders kennen. Unsere Möglichkeiten machen es uns manchmal sogar schwerer, unseren Platz in der Welt zu finden und noch unsicherer. Wie kann man da an Dankbarkeit denken?
Lebensfalle Konsum
Konsum und Kapitalismus sind mit Sicherheit zwei sehr große Faktoren, die für unsere (Un)Dankbarkeit zuständig sind. Als es früher nicht viel zu kaufen gab, mussten die Menschen vieles selber machen. Sie waren nicht unglücklich darüber, sie kannten es auch nicht anders. Sie waren vielleicht sogar stolzer darauf, selber ein Regal aus übriggebliebenen Holzbrettern zusammenzuzimmern, als mal eben schnell zum Möbelhaus zu fahren. Heute fehlt uns nicht mehr das Material, sondern das Erfolgserlebnis dahinter. In einer Zeit, in der wir alles vor unsere Haustür geliefert und vor unsere Füße präsentiert bekommen, fühlen wir uns oft wie Könige. Wir können uns prall gefüllte Kleiderschränke voller Klamotten leisten, die wir vielleicht nur einmal anziehen und wir wollen alles auf einmal, aber schnell!
Aber das Wesentliche in den Dingen scheinen wir vergessen zu haben: Wo früher das selbstgebaute Regal aus Holzresten stand, steht nun ein Fertigschrank aus Spanplatten, das wir gekauft haben. Es ist nichtssagend. Es erinnert uns nicht an den Einkauf oder den Preis. Es ist wie Tausende andere Regale. Es gibt uns nichts mehr, was es uns früher gegeben hätte: Eine kleine Auszeichnung für unsere Kreativität, unseren Einfallsreichtum und unsere Handfertigkeit. Ein Monument, was uns immer daran erinnert hätte, wie viel wir schaffen können.
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