Die Corona-Krise hat die Lebenspläne von vielen Menschen durchkreuzt. Zwischen den andauernden Hiobs-Botschaften keimt die Frage: Haben wir den Mut, uns Hoffnung zu bewahren?
Ich habe mich schon sehr lange auf diese März-Tage gefreut. Denn irgendwann Anfang des Jahres habe ich beschlossen, in dieser Zeit meine Doktorarbeit endgültig abzuschließen und in den Druck zu geben. Nach drei Jahren intensiver Arbeit, nach manchen Höhen und unzähligen Tiefen, nach Schreiben und Löschen und wieder Schreiben, muss das Projekt endlich ein Finale finden. Und ich habe mir ausgemalt, wie es denn wird, wenn das Dokument endlich in die Druckerei geht, wie befreiend es ist, wenn ich nicht mehr jeden Tag aufs Neue am gleichen Text schreiben muss.
Endlich mal wieder das zu schreiben, worauf ich Lust habe – diese Hoffnung hat mich durch die vergangenen Wochen getragen. Vorfreude auf mehr Freizeit, auf gute Bücher, auf einen Besuch bei einer Freundin am Staffelsee. Endlich alles das machen, was ich in den letzten Wochen aufschieben musste. Neu aufatmen dürfen. Schon lange habe ich mich darauf gefreut.
Jetzt sind meine Sehnsuchts-Tage gekommen – und irgendwie ist alles anders. In die Freude über den Abschluss des Textes mischt sich die Sorge, ob denn das Rathaus überhaupt noch offen hat, damit ich die noch fehlenden amtlichen Dokumente besorgen kann. Wird nächste Woche überhaupt noch jemand in der Druckerei arbeiten? Letzte Bücher muss ich mir in meiner eigenen Bibliothek zusammensuchen, die UB hat dicht gemacht. Meine Freundin in Oberbayern sitzt in Quarantäne. Und Ostern zu feiern, so, wie mir das immer große Freude gemacht hat, steht auf der Kippe. In die Sorgen, die mich und meine Arbeit betreffen, drängen sich unaufhörlich Sorgen um liebe Menschen, die möglicherweise mit Corona infiziert sind oder einer Risikogruppe angehören.
Durchkreuzte Pläne
Der Virus hat einen Strich durch meine so gut durchdachte Rechnung gemacht. Es ist alles anders gekommen. Anders, als ich es erwartet hätte. Anders, als ich mir das jemals hätte ausmalen können. Und da stehe ich nicht alleine da, sondern es sind weltweit unzählige Menschen, deren Pläne in den letzten Tagen und Wochen zunichtewurden. Wie es weitergeht, steht in den Sternen. Das weiß momentan keiner. Die immer neuen Nachrichten, die uns tagtäglich erreichen, machen das Leben jedenfalls nicht leichter. Es gilt, sich neu zu orientieren, irgendwie zu versuchen, neue Pläne zu machen. Und dabei eines nicht zu verlieren: Den Mut, sich trotz dieser derzeit sehr angespannten Situation eine Hoffnung zu bewahren, die stärker ist, als es jedes Virus je sein könnte.
Ich kann zwar medizinisch keine Hilfe leisten, aber ich möchte dennoch helfen. Für alle, die in Quarantäne sitzen, für alle, die momentan mit ihrem Schicksal hadern, für alle, die angesichts von Grenzschließungen und der Einschränkung des alltäglichen Lebens verzweifeln, möchte ich Geschichten schreiben. Geschichten, die Mut machen und Hoffnung wecken, Geschichten, die vom Leben erzählen, die Licht bringen in diese aktuell so dunkle Welt. Geschichten, die auf etwas hinweisen, was oft versteckt und unentdeckt zu wachsen beginnt, aber was die Kraft hat, die Welt und die Menschen zu verändern: Geschichten von einem Leben, das sich Lebensmut und Energie bewahrt und das weiß, dass es sich trotzdem zu leben lohnt.
Eine Hoffnung mit Wunden
Eine solche Geschichte passt zum Evangelium, das wir in der katholischen Kirche an diesem dritten Fastensonntag gehört haben. In den Kirchen, in denen noch Gottesdienst gefeiert werden durfte, haben wir die Erzählung von der Frau am Jakobsbrunnen gehört. Sie steht im vierten Kapitel des Johannesevangeliums. Dieser Brunnen befindet sich im antiken Sichem, in der Nähe der heutigen Stadt Nablus, in Palästina. Dort steht eine prächtige orthodoxe Kirche, die mit unzähligen Ikonen ausgemalt ist. Über einige Stufen steigt man hinab in die Krypta, dorthin, wo man auch heute noch Wasser aus einem Brunnen schöpfen kann. Seit vielen Jahrhunderten ist die Kirche ein Wallfahrtsort; schon im 4. Jahrhundert gab es hier eine Kapelle.
Als ich diesen Ort vor vielen Jahren zum ersten Mal besucht habe, war ich beeindruckt vom gewaltigen Gebäude und von den eindrucksvollen Ikonen. Ein alter Mönch hat mich damals durch die Kirche geführt. 1927, so erzählte er, sei die letzte Kirche einem Erdbeben zum Opfer gefallen. Später habe er, Abuna Justinus, den Wiederaufbau in die Wege geleitet. Jahrelang habe er allein an der Kirche gearbeitet, die Finanzierung gesichert, Baugenehmigungen eingeholt. Die wundervollen Ikonen sind in stundenlanger Arbeit entstanden, nächtelang habe er gemalt – er allein. Die Kirche war sein Projekt, sein Lebenswerk, das gestemmt hat, trotz aller Widerstände, von denen es zuhauf gab. Und wenn ich mich heute daran erinnere, mit welcher Begeisterung mich der schon sehr alte Mönch durch die Kirche führte, dann glaubt man das ohne Zweifel.
Zum Abschluss hat mich der Abuna hinaus ins Freie geführt, auf den Vorplatz der Kirche. Er hat mir die Einschläge von Granaten gezeigt. Nablus war das Zentrum der Zweiten Intifada, die ihre Spuren am Kirchengebäude hinterlassen hat. Unzählige Menschen wurden bei diesen blutigen Konflikten getötet. Der heute so prächtige Kirchenbau bewahrt die Erinnerung daran. Aber nur äußerlich. Denn das Innere der Kirche erzählt eine andere Geschichte: Die von einem Mönch, der sein ganzes Leben daran setzte, gegen Gewalt und Terror die Erzählungen der Bibel in sprechende Bilder zu bringen. Die von einer Frau, die in der Dunkelheit ihrer Verzweiflung einen Ausweg suchte und mit einem Mann ins Gespräch kam, der ihr einen neuen Hoffnungsschimmer schenkte. Die von Menschen, die ihre Verwundungen zeigen und die dennoch ein Lied vom Leben auf ihren Lippen tragen. Die von einer Welt, die trotzdem die unbändige Liebe zum Leben nicht verloren hat, auch wenn die äußeren Umstände noch so zum Verzweifeln sind. Davon erzählt diese Kirche und die biblische Geschichte, an die sie erinnert.
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