Nachdem sie von Klinik zu Klinik gezogen ist, bekam sie schließlich die Diagnose „emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Borderline-Typ“. Wie sie damit umging, wie ihr Leben damit aussieht und weitere spannende Dinge, erzählt Nadine* unserer Autorin Frieda.

*Name von der Redaktion geändert
Dieser Artikel handelt von seelischen Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende des Artikels findest du mögliche Hilfsangebote.
Liebe Nadine, wann hast du diese Diagnose bekommen und wie war das für dich?
Nadine (stöhnt): Puh, ich war Anfang zwanzig und das war erst einmal ziemlich seltsam für mich, da ich davor schon andere Diagnosen erhalten habe und plötzlich gar nicht mehr wusste, was denn mit mir nicht stimmte.
Wie sah denn dein Alltag zu dieser Zeit aus?
Nadine: Ich hatte mein Studium frisch begonnen und hatte viel Freude daran. Trotzdem bemerkte ich natürlich, dass ich ziemliche Stimmungsschwankungen hatte. Das brachte mir auch Ärger und Unverständnis von Kommilitonen ein. Ich war oft sehr impulsiv und schwankend zwischen Depressionen und teilweise schon fast manischen Zuständen. Immer wieder war ich auch suizidal. Manchmal hing ich auch in Panikattacken fest, was ziemlich schwierig für mich war, weil ich an der Uni keine nahestehenden Freunde hatte, an die ich mich wenden konnte. An der Uni konnte ich in Themen völlig aufgehen oder wie gelähmt verharrend durch meinen Tag schleichen. Ich hatte keine Beständigkeit und Stabilität, was mich öfters in eine tiefe Verzweiflung oder in eine innere Leere stürzte.
Das heißt, du konntest deinen Uni-Alltag kaum mehr bewältigen?
Nadine: Ja, ich musste mir eingestehen, dass ich professionelle Hilfe brauchte und so ging ich in mehrere Kliniken und bekam schließlich die Borderline-Diagnose. Die Uni musste ich erst einmal pausieren. Eigentlich wollte ich später weiter studieren, das hat aber leider nicht mehr geklappt.
Wie ging es für dich weiter?
Nadine: Ich begann eine dialektisch-behaviorale Therapie, die in einer Gruppe über mehrere Monate stattfand. Da wurden Themen besprochen, wie Emotionsregulation, Glaubenssätze, Achtsamkeitsübungen und zum Beispiel der Umgang mit dysfunktionalen Verhaltensmustern und Dissoziationen. Ich war oft so am Rande, sodass ich nur noch schleppend meinen Alltag bewältigen konnte in einem betreuten Wohnheim. Mit Emotionen konnte ich kaum umgehen, dabei war es egal, ob die Emotion Freude oder Angst war. Glücksmomente können mich so was von aus der Bahn werfen!
Hat dir die Therapie geholfen?
Nadine: Im Nachhinein würde ich sagen, dass die Themen sehr wichtig waren und ich sie später noch einmal reflektierte. Zum Zeitpunkt selbst war ich von den schwierigen Themen oft überfordert und habe keinen Sinn darin gesehen. Trotzdem habe ich dort auch gelernt, mir einen Notfallkoffer zusammenzustellen. Für eine akute Krise sind hier wichtige Hilfsmittel und hilfreiche Kontaktdaten drin, wie beispielsweise mechanische Reize in Form einer Igelmatte, olfaktorische Reize, wie Lavendelöl, eine Muschel aus dem Urlaub oder Erinnerungssätze, wie „Ich bin wertvoll“. Auch helfen mir thermische Reize, wie zum Beispiel Eisbeutel oder Wärmeflaschen. Diese Hilfsmittel sollen in einem akuten Anspannungszustand helfen. Hilfsreich ist für mich eine Skizze, die ich erstellt habe, mit Anspannungslevel von 0 (am niedrigsten) bis 10 (am höchsten). Bei den jeweiligen Stufen habe ich genau aufgeschrieben, was ich dann mache, denn im Notfall ist oft kein rationaler Gedanke mehr möglich, sondern es endet in einer Selbstverletzung.
Hattest du auf deinem Lebensweg noch weitere hilfreiche Aha-Momente?
Nadine: Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich mich vermehrt fragte, warum ich mich oft so impulsiv verhalte oder warum ich schnell wieder Freundschaften abbrechen musste. Insgesamt war ich zwischen Nähe und Distanz hin und her gerissen, ebenso wie zwischen Abwertung und Idealisierung. Ich wollte wissen, woher die emotionale Instabilität kam und so ließ ich mich erneut auf eine intensive Psychotherapie ein und wir fanden mehrere Traumata. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt so durch den Wind, dass ich nie hinterfragte, woher die Borderline-Störung überhaupt kam. Das war wirklich ein Aha-Erlebnis und hat mich auch entlastet, zu erfahren, dass mein Verhalten schon irgendwie begründbar ist.
Wieso war diese Erkenntnis so wichtig für dich?
Nadine: Mit dieser Erkenntnis konnte ich an das eigentliche Problem der Traumaverarbeitung anknüpfen. Ich bekam auch mehr Verständnis für mich selbst. Mein impulsives Verhalten konnte ich auf grenzüberschreitendes Verhalten zurückführen. Ich hatte ein Grenzproblem, das sich so ausdrückte, dass jeder meine Grenzen überschreiten durfte und ich keine Grenzen der anderen annehmen konnte. Das drückte sich auch in meinen Beziehungen aus: Erst war eine Person total interessant für mich und ich idealisierte sie, um sie später wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen. Im Grunde genommen war ich beziehungsunfähig.
Hat dir die Psychotherapie geholfen, beziehungsfähig zu werden?
Nadine: Wir haben in der Psychotherapie oft über Auslöser gesprochen für schwierige Situationen. So konnte ich Situationen besser einschätzen und auch meinem Umfeld kurz erklären, womit ich Schwierigkeiten hatte. Ich habe ein bis zwei Freunde gefunden, die mich liebevoll annahmen, wie ich war, auch wenn ich sie sehr oft verletzte. Mit ihnen lernte ich, mich langsam mehr selbst anzunehmen und ich konnte mit ihnen Erfahrungen machen, was es bedeutet, in einer Beziehung zu sein. Letztlich denke ich, kann man nur beziehungsfähig werden, indem man in Beziehungen ist.
Wie geht es dir heute?
Nadine: Insgesamt ist meine Stimmung stabiler geworden und ich habe durch die Therapie mir einige Werkzeuge zusammengestellt, die mir helfen. Auch fühle ich mich wohl in meinem kleinen, sozialen Netzwerk. Dennoch brauche ich mehr Ruhe im Alltag und Rückzugsmöglichkeiten. Akute Krisen sind seltener geworden und wenn sie kommen, hole ich mir frühzeitig Hilfe, indem ich einen Freund anrufe oder einen ärztlich-therapeutischen Beistand aufsuche. Wenn ich mich anders verhalte als sonst und in alte Verhaltensmuster rutsche, bemerke ich das viel schneller und sage mir innerlich: „Das ist Trauma-Verhalten.“ Das hilft mir, zu verstehen, dass mein Verhalten durch einen Trauma-Trigger gefärbt ist und dann halte ich inne und überlege, wie ich selbst gut für mich sorgen kann und ziehe mich erst einmal zurück. Früher habe ich auf Reize sofort mit einer Reaktion geantwortet. Heute ist die Zeitspanne dazwischen länger und ich sortiere mich erst einmal selbst. Natürlich klappt das nicht immer, aber immer öfter.
Möchtest du anderen Betroffenen eine Botschaft mitteilen?
Nadine: Ich wünsche dir, als Betroffene/r, dass du einen für dich gangbaren Linderungsweg findest mit Menschen an deiner Seite, die dir in Liebe und Annahme begegnen. Vermutlich fällt es dir schwer, mit dir selbst liebevoll umzugehen. Wenn auch deine Wunden noch bluten und nicht verbunden sind, spreche ich dir den Trost zu, dass es Hoffnung gibt und sich Wegzeiger für dich auftun und du Schritt für Schritt stabiler werden kannst. Wenn es dir hilft, geh´ in den Austausch mit anderen Betroffenen.
Vielen Dank für unser Gespräch.
Mögliche Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern, oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
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