„Edelweißpiraten haben sie sich genannt. Wo diese Blume blühte, da war Widerstand.“
Eine Gruppierung freiheitsliebender Jugendlicher im Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Deutschen Reich. Zur Bekennung gegen die Mitgliedschaft in NS-Jugendorganisationen wie der „Hitlerjugend“ oder dem „Bund deutscher Mädel“ zählte zu dieser Zeit viel Mut, da sie mit dieser Entscheidung nicht nur den Gruppen vor Ort, sondern auch dem Regime an sich oppositionell gegenüberstanden.
„Keiner von uns wäre auf die Idee gekommen, zu fliehen. Wir hatten ausgemacht, bei Aufgriffen nie das Weite zu suchen. Gestapo oder SS hätten uns von hinten erschießen können. Den Gefallen wollten wir ihnen nicht tun.“
Getrud „Mucki“ Koch erinnert sich mit diesen Worten an die Zeit bei den Kölner Edelweißpiraten.
Edelweißpiraten – wer waren sie?
„Edelweißpiraten“ waren Gruppen widerständiger Jugendlicher, meist aus Arbeiterfamilien und hauptsächlich aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet. Äquivalent zu ihnen war beispielsweise die „Swing-Jugend“, die sich in Hamburg, Berlin und Frankfurt etablierten oder die sogenannten „Meuten“, die sich in Leipzig gegen das NS-System betätigten. Der Begriff „Edelweißpiraten“ wurde von der Gestapo geprägt, da das Edelweiß als Symbol für die ab 1936 verbotene „Bündische Jugend“ stand.
Von „Bündischer Jugend“ zu den „Edelweißpiraten“
Der Bündischen Jugend gehörten vor dem Verbot einige der späteren „Edelweißpiraten“ an. Sie war eine um 1923 gegründete und politisch wie konfessionell unabhängige Jugendvereinigung. Mit Ausflügen ins Grüne, gemütlichem Beisammensein und gemeinsamen Singen, meist von einer Gitarre begleitet, suchten die Jugendlichen einen Ausgleich vom Alltag.
Je nach Stadt nannten sich die Gruppen der „Edelweißpiraten“ anders; so waren es unter anderem die „Navajos“ in Köln, die „Kittelbachpiraten“ in Düsseldorf oder die „Fahrtenstenze“ in Essen. Zudem ist es wichtig zu betonen, dass die Jugendwiderstandsgruppe „Weiße Rose“ aufgrund der Herkunft der Mitglieder aus Akademiker und/oder Gelehrtenfamilien, sowie der örtlichen Herkunft, nicht zur Gruppe der „Edelweißpiraten“ zählte.
Vorläufer der Edelweißpiraten zeichneten sich durch die „Bündische Jugend“ allerdings schon vor der „Machtergreifung“ 1933 ab. Nach dem Verbot der „Bündischen Jugend“ im Jahr 1936 bekam die Bewegung aber einen enormen Schub. Die Mitglieder sollten in nationalsozialistische Jugendgruppen wie die „Hitler-Jugend“ (HJ) oder den „Bund deutscher Mädel“ (BDM) eingegliedert werden. In manchen Fällen gelang dies, doch sehr viele Jugendliche stellten sich gegen den Drill.
Die Besonderheit der „Edelweißpiraten“ war die Eigenschaft, dass die Gruppe nicht geschlechtergetrennt war wie bei der „HJ“ oder dem „BDM“ – den Nationalsozialisten neben deren Liebe zu Freiheit, Natur und der Ablehnung der Uniform ein Dorn im Augen. Ab 1938/39 verteilten sie Flugblätter und lieferte sich Straßenschlägereien mit der „HJ“ oder „SA“.
Illegale Tätigkeiten zu Kriegszeiten am Beispiel der „Ehrenfelder Gruppe“
Die wohl „bekannteste“ Gruppe der „Edelweißpiraten“ waren die Kölner „Navajos“ und die sogenannte „Ehrenfelder Gruppe“ um Hans Steinbrück, einen geflohenen Häftling aus dem „Arbeitserziehungslager“ in Köln-Deutz. Ihr gehörten beispielsweise Bartholomäus Schink, Jean Jülich und Günther Schwarz an.
Ab 1942 radikalisierte sich der Widerstand massiv. Im zerbombten Köln versuchte die Gruppe unentwegt Widerstand zu leisten; die Gestapo, SS und HJ ihnen ständig auf den Fersen. Sie versteckten sich in einem Keller im Stadtteil Köln-Ehrenfeld und gewährten für kurze Zeit auch „rassisch“ Verfolgten Unterschlupf. Außerdem begannen sie bei Anbruch der Dunkelheit, Lebensmittel zu stehlen, da sie sich nicht offiziell zu erkennen geben durften.
Auch die Beschaffung von Waffen organisierten sie – teils mit Unterstützung von Außenstehenden. Hans Steinbrück, durch seine Geschicktheit der Bombenentschärfung auch „Bombenhans“ genannt, fungierte in der Gruppe für viele als eine Art Vaterfigur, da viele Mitglieder zwischen 15 und 16 Jahren alt waren. Hans Steinbrück war allerdings selbst nicht älter als 23 Jahre, dennoch der Gruppenälteste.
Am 10. November 1944 wurden 13 Mitglieder der „Ehrenfelder Gruppe“ in der Hüttenstraße, direkt am Bahnhof Ehrenfeld, öffentlich gehängt. Unter ihnen waren unter anderem der 16-jährige Bartholomäus Schink, der ebenfalls 16-jährige Günther Schwarz und der 23-jährige Hans Steinbrück. Einen Grund, geschweige denn ein gerechtfertigtes Urteil gab es nicht. Vor dem Alter der Verurteilten schreckten die Nationalsozialisten nicht zurück. Zudem kamen viele Schaulustige, welche die Hinrichtung beobachteten – teilweise aus Überzeugung, teilweise mit Schrecken. Einer der Beobachter war Bartholomäus Schinks jüngerer Bruder. Er wurde gezwungen, der Hinrichtung beizuwohnen.
Rehabilitation, Rezeption und Gedenken
Bis in die 1980er-Jahre war die Erinnerung an die „Edelweißpiraten“ relativ blass. Im Jahr 1984 wurden drei ausgewählte Kölner Edelweißpiraten durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt. Diese Personen waren Jean Jülich und Michael Jovy, die den Krieg überlebt hatten, sowie posthum Bartholomäus Schink. Eine Anerkennung der Kölner „Edelweißpiraten“ in Deutschland erfolgte lediglich durch den damaligen Kölner Oberbürgermeister Jürgen Rothers im Jahr 2005 – 59 Jahre nach der Hinrichtung am Bahnhof Ehrenfeld.
Rothers pflegt unter anderem den Kontakt zu den noch lebenden Mitgliedern der Kölner „Edelweißpiraten“. Bis 2005 wurden die „Edelweißpiraten“ zwar als Opfer des NS-Systems, aber nicht als Widerständler definiert. Im Juni 2005 wurden die Kölner Mitglieder im festlichen Rahmen als politisch Verfolgte anerkannt.
Bezüglich der Rezeption der widerständigen Jugend spalteten sich lange die Meinungen. Manche betrachten die Jugendlichen dennoch als Kriminelle, trafen mit dieser Meinung aber auf die eindeutige Gegenbewegung von an Erinnerung engagierten Menschen. Heutzutage werden die Edelweißpiraten überwiegend positiv rezipiert. Dies ist anhand vieler Gedenkorte in Städten des Rhein-Ruhr-Gebiets erkennbar.
Erinnerung an die „Edelweißpiraten“ in 2024
Die Benennung von Straßen, sowie öffentlichen Schulen trägt ebenfalls in den jeweiligen Städten und im Allgemeinen zur Erinnerung bei. So existiert in Troisdorf zwischen Köln und Bonn die Getrud-Koch-Gesamtschule oder die Bartholomäus-Schink-Straße in Köln-Ehrenfeld. Die Legung von Stolpersteinen, wie beispielsweise vor den Wohnhäusern Bartolomäus‘ Schinks, Franz Rheinbergers, Hans Steinbrücks und Günther Schwarz‘s lassen die Erinnerung an die Jugendlichen ebenfalls weiterleben. Bezüglich der Erinnerung von Zeitzeuge existieren ebenfalls einige Werke. Beispiele hierfür sind die Autobiographien von Gertrud „Mucki“ Koch, Fritz Theilen oder Jean Jülich.
Außerdem wurden die „Edelweißpiraten“ zunehmend in digitalen und analogen Medien, wie Dokumentationen, Filmen, Theaterstücken und Zeitschriften thematisiert. Das „Edelweißpiratenfestival“ in Köln ist ein Beispiel für die Verbindung des damaligen Wunsch nach Frieden und Freiheit mit der heutigen Zeit und eine Möglichkeit der Zusammenführung von Alt und Jung.
Die Kölner „Navajos“ stellt, wie schon erwähnt, die „bekannteste“ und „gut erforschte“ Gruppierung der „Edelweißpiraten“ dar. „Edelweißpiraten“ aus anderen Städten des Rhein-Ruhr-Gebiets fallen in der Forschung und allgemeinen Öffentlichkeit bis auf vereinzelte Artikel und Beiträge relativ selten auf. Dies birgt demnach ein großes Forschungsfeld für die Wissenschaft.
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