Allein schon die nackten Zahlen sind beeindruckend: 26 Länder, 14.000 Kilometer, 250.000 Höhenmeter. Zu Fuß und alleine. 459 Tage pilgerte P. Johannes Schwarz von Liechtenstein nach Jerusalem und wieder zurück. Dagegen erscheint die Wallfahrt von Hape Kerkeling nach Santiago de Compostela („Ich bin dann mal weg“) wie ein Sonntagsspaziergang. Im Interview erklärt P. Schwarz f1rstlife, wie man ohne Auto und Co. eine solche Distanz zurücklegen kann.
P. Schwarz, für eine solch lange Reise benötigt man eine sorgfältige Vorbereitung und Planung. Wie haben Ihre Freunde und Bekannten reagiert, als Sie Ihnen gesagt haben: „Ich pilgere nach Jerusalem und zwar zu Fuß!“
Die Reaktionen aus dem Bekanntenkreis habe ich nicht als besonders dramatisch in Erinnerung. Ich war ja nicht der Erste, der nach Jerusalem auszog (wenn auch vielleicht der erste, der den Umweg über den Kaukasus wählte und einer der wenigen, die von Jerusalem nicht den Flieger nach Hause nahmen). Ansonsten hat meine Familie ehrlicherweise bereits viel mit mir “mitgemacht”. Ich bin mit Sechzehn für ein Jahr alleine nach Australien, habe dort zu Fuß die tasmanische Wildnis durchquert, bin als Straßenkünstler die Ostküste hoch, bin durch den Urwald gewandert oder habe mich vier Tage auf einer unbewohnten Insel aussetzen lassen. Meine Eltern waren sicher nicht immer “sorgenfrei” mit ihrem zweitältesten Kind, aber andererseits wurde ich sehr selbstständig erzogen, immer unterstützt und schon früh in die eigene Verantwortung genommen. Um Alkohol, Drogen oder andere Eskapaden musste man sich bei mir zuhause keine Sorgen machen. So etwas lehnte ich, nachdem ich zum Glauben gekommen war, aus Überzeugung ab. Von daher denke ich nicht, dass meine Familie, meine Freunde und Bekannten plötzlich nervös wurden, als ich ihnen als 35-Jähriger sagte, dass ich zu Fuß nach Jerusalem aufbrechen würde.
Nicht alles lässt sich im Vorfeld planen. Auf dem Weg lauern so manche Unwägbarkeiten und Gefahren. Hatten Sie vor oder während der Reise Angst vor dem Scheitern?
Nein, ich hatte keine Angst zu scheitern. Nicht, weil ich übermäßig selbstsicher bin, sondern weil mein Ziel im Grunde ja nur sehr indirekt Jerusalem hieß. Mein Ziel war es vielmehr, unterwegs zu sein: Stille, Einsamkeit, Gebet, Begegnung. Ob ich tatsächlich in Jerusalem ankommen würde, war mir gar nicht so wichtig.
Gefahren gibt es natürlich auf einem solchem Weg. Wobei sie selten dort sind, wo man man sie vielleicht erwarten würde. Es waren nicht Bären, Wölfe oder Terroristen, sondern ein silbergrauer Fiat Kombi in Italien, der mich dem Tod am Nächsten brachte. Wenn man dann blutend im Straßengraben liegt, dann ist man tatsächlich mit der ganzen Zerbrechlichkeit des Lebens konfrontiert.
“Es waren nicht Bären, Wölfe oder Terroristen, sondern ein silbergrauer Fiat Kombi in Italien, der mich dem Tod am Nächsten brachte.”
Für den Sonntagsausflug im Wald reicht ein kleiner Rucksack mit Regenjacke und Pausenbrot. Für 14.000 Kilometer ist diese Ausrüstung ungenügend. Was hatten Sie alles in Ihrem Gepäck?
Nun, ich hatte wohl um einiges mehr mit, als die meisten, die sich auf eine Pilgerreise aufmachen. Denn als Priester nahm ich alles mit, um unterwegs die Messe feiern zu können: ein Messbuch (schwerer als mein Zelt), Kelch, Messwein, Hostien, Albe, ein zweiseitiges Messgewand, zwei Ministranten… Gut, das letzte stimmt natürlich nicht. Aber ich hatte wirklich eine kleine “Reise-Sakristei”, neben all den Dingen, die man für ein unabhängiges Leben in der Wildnis natürlich auch noch braucht: Zelt, Unterlage, Schlafsack, Kocher, Wasserfilter, Essen, Wechselkleidung, Navigation und vieles mehr. Das Gesamtgewicht war in Summe zu schwer für lange Strecken auf dem Rücken. So habe ich mein Gepäck auf ein Gerät names Carrix – eine Art “Alpinschubkarre” – geladen und hinter mit her- und die Berge hochgezogen.
Dauerregen in Osteuropa, Mückenschwärme in der Ukraine, Maschinengewehre im Anschlag an der türkisch-syrischen Grenze und eiskalter Schnee in Israel auf der einen Seite. Sternenklare Nächte in Jordanien, wunderbare Berglandschaft in Anatolien und süße Früchte in Armenien auf der anderen Seite. Was war die größte physische Herausforderung und was das schönste Naturerlebnis auf Ihrer Reise?
Die schwierigste Zeit – psychisch und vielleicht auch physisch – hatte ich in Russland. Ich musste dort 500 Kilometer in schwüler Sommerhitze meist auf stark befahrenen Straßen gehen, war gesundheitlich angeschlagen und mental etwas müde. Wenn man da hustend durch die Abgaswolken läuft, ist das keine schöne Sache. Andere körperliche Herausforderungen, von denen es einige gab, waren im Vergleich zu dieser Zeit leichter zu bewältigen, weil der Kopf frisch war. Das schönste Naturerlebnis war vielleicht die Zeit in der Negevwüste. Die Wüste mit ihrer absoluten Einsamkeit und Stille hat etwas Besonderes. Ich habe diese Stille erlebt als eine Stille, die nicht leer ist, sondern als eine Stille, in der Gott spricht.
Man durchläuft nicht nur Landschaften, sondern begegnete zahlreichen Menschen mit unterschiedlichen Alter, Herkunft und kulturellem Hintergrund. Erzählen Sie uns von einer besonderen Begegnung.
Oh, es gab es so viele. Es gab Gespräche mit Beduinen am nächtlichen Feuer; die hemdlosen, rundlichen Ukrainer, die mich unverhofft aus meiner Wassernot retteten; den fromme russischen Kosaken, der vor dem Portrait von Zar Nikolaus am Klavier melancholische Melodien spielte… Die vielleicht schönste Begegnung für mich, war jedoch vielleicht eine der Beichten, die ich unterwegs einem anderem Pilger abnehmen konnte. Die Erneuerung dieses Menschen durch das Sakrament irgendwo am Pilgerweg in Italien war so greifbar und für mich selbst ein wunderbares Geschenk. 14.000 Kilometer gelaufen zu sein, nur um im richtigen Moment diesem Menschen zu begegnen und diese eine Beichte zu hören, wäre schon alles wert gewesen.
Was war die Hauptintention ihrer Reise? Haben Sie das erreicht, was Sie sich von der Pilgerfahrt erhofft haben?
Der eigentliche Grund der Reise war ein apostolischer. Ich wollte nicht so sehr als Wanderer oder als Tourist durch die Länder ziehen, sondern im Gebet. Ansonsten bin ich mit 38 Jahren in einem Alter, wo ich mich nur mehr selten frage, ob ich im üblichen Sinne nun “etwas erreicht habe.” Was ist denn das Ziel des ganzen irdischen Pilgerwegs? Jeden Tag als Geschenk annehmen, ganz auf Gott hinordnen und Ihm zurückschenken – sei es nun vor Ort oder draußen auf dem Weg. Als schwacher Mensch scheitere ich an diesem “einfachen” Auftrag leider oft. Was ich da dann tatsächlich “erreicht” habe – oder was noch fehlt -, kann ich dann bei der allabendlichen Gewissenserforschung eher beantworten, als an einem bestimmten Tag am Ende einer langen Reise nach Jerusalem. Nur so viel sei gesagt: Ich erkenne, dass mein Weg auch nach 14.000 Kilometern noch ein langer ist. Und vielleicht erkenne ich das nach der Reise deutlicher als zuvor.
14.000 Kilometer gelaufen zu sein, nur um im richtigen Moment diesem Menschen zu begegnen und diese eine Beichte zu hören, wäre schon alles wert gewesen.
Die Uhren in Liechtenstein blieben während Ihrer Abwesenheit nicht stehen. Wie war es nach so langer Zeit wieder nach Hause zu kommen?
Der Tag der Rückkehr war seltsam. In der Tat schien es mir, als sei ich nur kurz weg gewesen. Alles war mir so vertraut. Nur an den Kindern, die ich traf, merkte ich, dass 15 Monate vergangen waren. Ansonsten war die Veränderung sehr sanft. Ich kam ich ja nicht an meine alte Stelle zurück. Nach einem Monat auf einer Berghütte, wo ich begann das Erlebte für ein Buch zusammen zu stellen (es sind dann gleich zwei Bücher: “Tagebuch eines Jerusalempilgers”, Band 1 und 2) und die Reise auch innerlich abzuschließen, begann ich eine neue Aufgabe in einem Priesterseminar. Bin ich den Menschen der Pfarrei in Liechtenstein auch nach wie vor verbunden, so habe ich wegen dem neuen Arbeitsfeld meine Abwesenheit allerdings nie als “Loch” erlebt. Die Arbeit in der Pfarrei war abgeschlossen. Dann kam die Reise. Dann ein neuer Abschnitt. Die Uhren haben sich weitergedreht und drehen sich immer noch.
Wenn Sie noch einmal die Wahl hätten, würden Sie es wieder machen?
Das ist schwer zu sagen. Vor drei Jahren schien es mir ein guter und wichtiger Weg. Es war auch eine wirklich tolle Erfahrung. Aber was heute Not tut, das muss ich ganz aktuell im Gebet wieder erfragen und erkennen. Das kann dann auch etwas anderes sein.
Wer rastet der rostet. Ein umtriebiger Mann wie Sie kann nicht lange still sitzen. Was ist Ihr nächstes (Wunsch-)Projekt?
Ich sitze tatsächlich nicht gerne und gehe immer noch viel spazieren hier im Wienerwald. Ab Sommer darf ich mich dann neuen Ideen und Medienprojekten widmen und werde viel Zeit in Italien verbringen. Darauf freue ich mich schon sehr und bin meinem Bischof dankbar für die Gelegenheit. Von langen Fußreisen “träume” ich im Moment nur ganz, ganz leise. Mir würden schon ein paar Dinge einfallen, aber wichtig scheint es mir für den Moment nicht wirklich. Schließlich ist das eigentliche Ziel des irdischen Pilgers nicht ein ferner Ort, sondern die wahre Heimat bei Gott. Und die erreicht man nicht mit den Füßen, sondern in der treuen, tugendhaften Nachfolge Christi.
Bruno Schneider
Hallo Pilgerfreund,
ich bin auch dabei den zweiten Teil meiner Pilgertour nach Jerusalem zu beginnen. 2015 bin ich mit dem Fahrrad vom Westerwald (zw. Köln und Frankfurt)
nach Istanbul gefahren / gepilgert. Anfang Mai werde ich von Istanbul weiter nach Jerusalem pilgern. Leider muss ich von der Osttürkei mit dem Schiff nach
Tripoli fahren, weil ich kein Visum für Syrien bekomme.
Vielleicht können wir noch bis zum Start Kontakt aufnehmen. Unser christlicher Hintergrund verbindet uns sicher.
Hier der Text meines Pilgerbriefes, den ich in verschiedene Sprachen übersetzt bekomme und vom Bischof unterschrieben wurde:
Liebe Schwestern und Brüder in Christus
eine Pilgerfahrt ist auch in der modernen Welt des 21. Jahrhunderts mit Schwierig- keiten und Gefahren verbunden. Die Pilger sind daher auf die Unterstützung hilfsbereiter und gastfreundlicher Menschen angewiesen, damit sie ihr Ziel erreichen.
Deshalb bitten wir Sie herzlich, dem Jerusalem-Pilger Bruno Schneider aus Obererbach in der Nähe von Frankfurt mit Rat und Tat beizustehen.
Bruno Schneider plante in zwei Etappen im Herbst 2015 von Obererbach nach Istanbul und im Mai 2017 von Istanbul nach Jerusalem zu pilgern. Nachdem die erste Etappe 2015 mit vielen bleibenden Begegnungen durch 10 Länder nach Istanbul führte, wird Bruno Schneider nun der Pilgerweg mit dem Fahrrad durch die Türkei, den Libanon und Jordanien nach Jerusalem beginnen. Bruno Schneider ist ehrenamtlich im caritativen/ sozialen Bereich der Pfarrei Nentershausen und im Internationalen Kolpingwerk tätig.
Er möchte in der Türkei die Wege des Apostels Paulus und in Israel die heiligen Stätten der drei monotheistischen Religionen aufsuchen. Dabei möchte er um Fürsprache beten für eigene Anliegen und für ein friedliches Zusammenleben der Religionen, die ihm auf dem Pilgerweg begegnen.
Wir empfehlen Bruno Schneider Ihrer Obhut und danken Ihnen herzlich für Ihre freundliche Hilfe.
Möge Gottes Segen mit Ihnen sein.
Liebe Grüße Bruno