Wir ziehen Vergleiche zwischen Corona und der Spanischen Grippe oder sehen die Ähnlichkeiten zwischen der Appeasement-Politik der 1930er-Jahre und dem Verhalten des Westens gegenüber Russland. Geschichte wiederholt sich eben doch: Wir machen die gleichen Fehler wieder und wieder.
Es ist ein Satz, den wir in den letzten Wochen und Monaten oft gehört haben: „Geschichte wiederholt sich nicht.“ Meist leiten diese Worte einen Vergleich der jetzigen Situation mit ganz ähnlichen historischen Geschehnissen ein. Und doch beschränken wir jeden historischen Vergleich sofort wieder mit dem besagten Mantra, nehmen damit der Parallele scheinbar ihre Berechtigung und uns jede Chance, aus der Geschichte zu lernen.
Die Appeasement-Politik der Briten nach dem Ersten Weltkrieg
Die Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Deutschen Reich begann mit dem britischen Premierminister Ramsay MacDonald. Er forderte 1932 die Franzosen auf, der Revision des Versailler Vertrags nachzugeben. Dies war eine Forderung der Deutschen, die den Vertrag insgesamt als zu hart und sich als deutlich benachteiligt ansahen. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges sollten sich nicht wiederholen und man wollte daher unbedingt einen neuen großen Krieg verhindern.
Zu jenen Schrecken gehörte damals auch ein neues Influenza-Virus, das sich als „Spanische Grippe“ einen Namen machte. Da wir bis vor Kurzem davon ausgegangen waren, dass uns etwas Ähnliches bei dem heutigen Stand der Medizin nie wieder heimsuchen könnte, traf uns Corona völlig unerwartet. Die Vorbereitung auf eine pandemische Situation war zumindest in Deutschland desolat. Belassen wir es aber bei dieser Randbemerkung und widmen uns wieder der Appeasement-Politik zu.
Die deutsche Aufrüstung und Einführung der Wehrpflicht
Nach der Machtergreifung der Nazis begann Adolf Hitler, den besagten Versailler Vertrag im großen Stil zu brechen. Er stationierte Truppen im entmilitarisierten Rheinland, rüstete auf und führte eine allgemeine Wehrpflicht ein. MacDonald zeigte sich tatsächlich verständnisvoll gegenüber Nazi-Deutschland. Die Briten konnten sich sogar eine Vormachtstellung Deutschlands in Mitteleuropa vorstellen und waren daher zu großen Zugeständnissen bereit. Deshalb stieß auch Hitlers Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in Großbritannien auf wenig Kritik. Allerdings bewerteten tatsächlich auch viele Österreicher die neue Zugehörigkeit zum Deutschen Reich als positiv.
1938 – mittlerweile war Neville Chamberlain britischer Premierminister – stand Europa dann kurz vor einem neuen Krieg, als Hitler mit der Annexion des Sudetenlandes drohte. Im Verlauf der Gespräche darüber gestanden Frankreich und Großbritannien Hitler dies jedoch zu. 1939 besetzte Nazi-Deutschland auch die restliche Tschechoslowakei. Großbritannien garantierte daraufhin zumindest Polen die Unabhängigkeit. Was danach folgte, ist allgemein bekannt: der deutsche Überfall auf Polen und der Beginn des Zweiten Weltkrieges, an dessen Ende der Tod von rund 80 Millionen Menschen steht. Hätte man all dies verhindern können, wenn man schon die frühesten Vertragsbrüche Hitlers hart sanktioniert hätte? Hätte man nicht bei der Einführung der Wehrpflicht und der deutschen Aufrüstung bereits einschreiten müssen?
Putins Kriege in Tschetschenien, Georgien und der Ukraine
Zehn Jahre lang führte Putin als Ministerpräsident Russlands Krieg in Tschetschenien. Islamisten bedrohten dort die moskautreue Regierung. Schließlich entschloss sich Putin zu einer nahezu kompletten Zerstörung der tschetschenischen Hauptstadt. Der Krieg endete mit der Einsetzung eines neuen moskautreuen Präsidenten und dem Sieg über die Islamisten.
Noch während des Tschetschenienkrieges begann der Georgienkrieg. In diesem spaltete Russland zwei Regionen von Georgien ab und erklärte sie als unabhängig. Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? Bis heute akzeptieren nur vier weitere Länder diese Unabhängigkeit. Russland warf schon damals dem georgischen Präsidenten Völkermord vor. Ein beliebter Kriegsvorwand, wie sich derzeit zeigt.
Nach den großen Protesten der ukrainischen Bevölkerung für eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union im Jahr 2014 bildeten sich im Donbass, der östlichen Ukraine, pro-russische Volksmilizen, die von Russland militärisch unterstützt wurden. Diese strebten eine Abspaltung des Donbass von der Ukraine an. Russland selbst hatte zuvor die ukrainische Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert.
Die Politik des Westens gegenüber Putin
Der Westen und die NATO warnten Russland schon früh vor einem militärischen Eingreifen in die Kriegshandlungen im Donbass. Als sich die Einmischung bestätigte, verurteilte man sie selbstverständlich. Auch Sanktionen wurden immer wieder verhängt, die Russland bis dahin aber nicht wirklich hart trafen. Zudem sah man die russischen Militärmanöver an der Grenze zur Ukraine und dem Baltikum als besorgniserregend an. Als man dann kürzlich befürchtete, Putin möge die Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängig anerkennen und von dort in die Ukraine einmarschieren, kam alles noch viel schlimmer: der großangelegte Angriff auf nahezu das gesamte Staatsgebiet der Ukraine.
Die Verwunderung im Westen ist bekanntlich groß. Man habe nicht damit rechnen können, dass Putin so weit geht. Dabei ist Putins Regierungszeit geprägt von Kriegen. Die wirklich harten Sanktionen, die der Westen nun gegen Russland verhängt hat und stetig verschärft, kommen für die Ukraine zu spät. Wer sich die Nachrichten über Putins Krieg in der Ukraine anschaut, dem bietet sich ein Bild der Verwüstung. Viel schlimmer noch ist, wie viele Soldaten und Zivilisten bereits sterben mussten. Es sind mittlerweile fast 15.000.[1]
Der Krieg in der Ukraine als Folge einer erneuten Appeasement-Politik
Der Westen begeht tatsächlich dieselben Fehler, die die Westmächte gegenüber Nazi-Deutschland begingen. Man hat Putin etliche Zugeständnisse gemacht, den diplomatischen Weg gesucht und tatsächlich auch Waffenstillstandsverträge ausgehandelt, mit einem Land, für das Verträge und Völkerrecht nichts gelten.
Die jetzigen harten Sanktionen sind richtig, aber hätten bereits viel früher verhängt werden müssen. Womöglich hätte man so einen neuen Krieg in Europa verhindern können. Auch die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas ist problematisch und das Produkt einer Ausblendung des geopolitischen Verhaltens Russlands. Hinzu kommt eine versäumte Energiewende während der Ära Merkels.
Damit uns dieselben Fehler nicht immer wieder unterlaufen, müssen wir uns auf die Geschichte besinnen und aus ihr lernen. Es war uns doch eigentlich alles schon bekannt. Oft hätte man ganz einfach früher reagieren müssen – wehret den Anfängen!
Einzelnachweise
1. Geschätzte Verluste durch die Nachrichtenagentur Reuters (Stand: 14. März).
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