Mama, Papa, falls ihr das hier lest: Ich bin auf Tinder. Und das auch schon eine ganze Weile. Ich fühle mich nicht unwohl dabei, dies offenzulegen. Swiped man aber durch die App, wird schnell klar, dass es auch Personen gibt, die dort lieber anonym bleiben wollen. Aber warum ist das so?

Diesen Beitrag gibt es nun auch zum Hören!
Tim Berners-Lee entwickelte im Jahr 1989 das Internet in seiner heutigen Form. Auch wenn es vermutlich nicht seine Absicht war, hat er dennoch das Dating revolutioniert. Gute 30 Jahre nach seiner Entwicklung nutzen 240 Millionen Menschen weltweit Online-Dienste für die Partnersuche. Einige dieser Dienste sind kostenpflichtig. Andere hingegen bieten die Grundfunktionen kostenlos an, mit der Möglichkeit, auf kostenpflichtige Funktionen zu upgraden. Liebe ist eben mittlerweile auch ein Geschäft. Ein lukratives noch dazu, liegt der jährliche Umsatz des Marktes doch bereits in Milliardenhöhe.
Datingapps zu nutzen, ist kein Grund, sich zu schämen
Ich habe in meinem Leben sicherlich schon über hundert AGBs akzeptiert, jedoch noch keine gelesen. Tinder war da keine Ausnahme. Folgerichtig habe ich habe keine Ahnung, was mit meinen Daten, die in der App gesammelt werden, geschieht. Mich dort mit meinem Facebook-Account anzumelden, war aus der Retrospektive wohl auch nicht die beste Entscheidung. Bedenken bezüglich des Datenschutzes sind also ein legitimer Grund, anonym bleiben zu wollen, aber nicht der einzige. Andere Nutzer:innen machen zum Beispiel deutlich, dass sie nicht von Menschen aus ihrem Umfeld erkannt werden möchten. Über die Gründe kann ich nur mutmaßen.
Datingapps wie „Tinder“ haben sicherlich nicht das beste Image, aber dennoch ihre Daseinsberechtigung. Immer wieder liest man in Profilen sinngemäß: „Wenn jemand fragt, sagen wir, wir haben uns im Supermarkt kennengelernt“. Der Spruch mag zwar lustig gemeint sein, verdeutlicht aber das ihm zugrunde liegende Problem: Eine:n Partner:in an der Fleischtheke kennenzulernen, wird pauschal als wünschenswerter dargestellt, als über eine Online-Plattform. Diese Meinung ist vollkommen vertretbar, sollte aber nicht jedem aufgedrängt werden. Vielleicht möchten andere Menschen im Supermarkt einfach nur einkaufen.
Natürlich kann man Tinder vorwerfen, durch auf Oberflächlichkeit basierende Matching-Mechanismen die romantische Liebe zu entzaubern. Wenn es um die Stichhaltigkeit dieses Vorwurfes geht, erschließt sich mir jedoch nicht direkt, wo jetzt genau der Unterschied zu einer Bar oder einem Club liegen soll. Zudem verfolgen nicht alle Apps diese Mechanismen, sondern setzen charakterliche Eigenschaften mindestens auf dieselbe Stufe wie die optische Komponente. Dadurch werden von Beginn an substanzielle Konversationen ermöglicht, anstatt sich im Club gegenseitig in die Ohren schreien zu müssen. Schon möglich, dass die Liebe entzaubert wurde, aber wenn, dann nicht erst durch Tinder, sondern durch unseren Zeitgeist. Die eigentliche Abstufung im Wertungsgefälle findet nicht zwischen oberflächlich und nicht-oberflächlich statt, sondern zwischen altmodisch und neumodisch.
Datingapps sind das, was du daraus machst
Neben dem Umgang mit Datingapps müssen wir jedoch auch über den Umgang innerhalb dieser Datingapps sprechen. Aus meinem Freundeskreis höre ich immer wieder von extrem respektlosen, beleidigenden oder sexistischen Nachrichten. Scheinbar sind einige User:innen von der Fehlannahme geleitet, dass Online- Dienste ein netiquettefreier Raum wären. Dieses Phänomen ist aber nicht exklusiv den Dating-Plattformen vorbehalten. Generell ist zu beobachten, dass mit einer größeren Distanz zueinander, wie das Internet sie begünstigt, die Hemmschwelle im Umgang miteinander zu sinken scheint. Dies ist vermutlich auch einer der Gründe dafür, warum Datingapps so ein schlechtes Image haben.
Das Problem sind in diesem Fall also nicht die Online-Plattformen selber, sondern das Fehlverhalten ihrer Nutzer:innen. Jemand, der einen beleidigenden Brief bekommt, wird wohl kaum dem Postboten einen Vorwurf machen, der ihn zugestellt hat. Auch, wenn auf Datingapps eine Häufung dieser Vorfälle beobachtet werden kann, sind sie am Ende nicht mehr als das, was wir aus ihnen machen. Es liegt also an uns, den Umgang innerhalb von Online-Plattformen so zu gestalten, dass sich dort niemand unwohl fühlt.
Hinterfrage dein Verhalten, um dein Gegenüber nicht zu verletzen
Deswegen stellt sich nun die Frage, wie ich als Nutzer:in einer Dating-Plattform sicherstellen kann, die Person am anderen Bildschirm mit meinen Nachrichten nicht zu verletzen. Es gibt leider, wie so oft, nicht die eine, perfekte Lösung, weil Menschen und ihre Wahrnehmung zu individuell sind. Was eine Person vielleicht als einen besonders lustigen Witz versteht, nimmt eine andere Person bereits als Beleidigung wahr. Erschwerend kommt hinzu, dass beim virtuellen Dating Aspekte wie Mimik und Gestik bestenfalls durch Emojis ausgedrückt werden können, was das Einschätzen der anderen Person nicht gerade leichter macht.
Die vielversprechendste Lösung erscheint mir deswegen folgende Handlungsmaxime: „Tinder like somebody is watching you“. Was ich damit implizieren möchte, ist, dass man sein Verhalten stets hinterfragen sollte, bevor man eine Nachricht abschickt. Wenn die Vorstellung, dass eine Nachricht von einer unbeteiligten Person gelesen werden würde, Unbehagen auslöst, sollte man sie wohl besser nicht verschicken. Zumindest solange, bis man sich sicher ist, die Person gegenüber ausreichend einschätzen zu können. In jedem Fall gilt: Seid lieb zueinander!
Schreibe einen Kommentar