Sie war eine Einzelgängerin, beharrlich ging sie ihren Weg. Ein stilles Dorf in Norddeutschland blieb ihr motivischer Ausgangspunkt, aber Paris wurde ihr künstlerisches Zuhause. Weitere Werke der Malerin zur Schau, im Anschluss an ihre Biografie.
Liegende Mutter mit Kind II, 1906
Zwar handelt es sich hier um ein spätes Gemälde im Œuvre Paula Modersohn-Beckers. Dennoch dient es als Beispiel ihres systematischen Herangehens. Sie griff wagemutig ein vielfach religiös genutztes Motiv auf, um es neu zu deuten. In einer Reihe von Kohlezeichnungen probierte sie verschiedene Positionen der beiden nackten Figuren aus. Ohne jede Rührseligkeit erkundete sie das kreatürliche Verhältnis zwischen der großen und der kleinen Figur, mit einfühlsamen Blick, immer auf der Suche nach einer charakteristischen Konstellation und dem daraus zu entwickelnden Bild.
Selbstbildnis vor Fensterausblick auf Pariser Häuser, 1900
Sie malte sich im Gegenlicht, also bewusst verschattet, kaum erkennbar und in Untersicht, d.h. perspektivisch verzerrt. Sachliche Ähnlichkeit oder Naturalismus war auf keinen Fall die Absicht. Vielmehr mag Modersohn-Becker mit solcher Gestaltung experimentell das abhängige Abbild ins eigengesetzliche Bild überführen zu wollen. Eine Darstellung des inneren Etwas, und zwar mit stolzem Blick. Auf dieser Maßnahme basieren ihre nächsten Werke.
Birkenstämme vor roter Hauswand, um 1901
In Bildern anderer Worpsweder Maler tauchen diese Gewächse immer wieder auf: umgeben von Wiese und Moorgraben, Bauernhaus und Baumgruppe, vorzugsweise naturalistisch und im Herbstlaub, wie bei Bildern Otto Modersohns. Anders bei Paula Modersohn-Becker. Ihre Bilder zeigen in kühnen Ausschnitten und schmalen Bildformaten (hier 53x39cm) nackte Birkenstämme. Die weiße Borke und die schwarzen Partien sind in der Regel nur angedeutet, nicht ausgemalt. Es wird berichtet, Paula Modersohn-Becker habe sich, bevor sie mit anderen vor dem Motiv arbeitete, ins Gras gelegt und die Augen geschlossen, um sich über ein mögliches Bild und seine Konzeption klar zu werden. Wie beim zweiten Bild dieser Schau, ging es ihr nicht um die Abbildung, es ging ihr um das Bild. Immer wieder im Œuvre Paula Modersohn-Beckers stellt sich die Frage nach dem symbolischen Gehalt ihrer Bilder.
Zwei Mädchen an einem Birkenstamm stehend, um 1902
Es ging der Malerin nicht um die Psychologie der Kinder, sondern um die charakteristische Körperhaltung, das ungeklärte Nebeneinander frontal zum Betrachter, das Haltsuchen an einem Birkenstamm wie an einem Wesen. Sie kommen aus der Nachbarschaft, ihre Verwurzelung wird erkennbar, und draußen in der Natur sind sie beheimatet. Doch ihr regungsloses Innehalten nimmt sie aus dem Alltäglichen heraus, so wie die Einfachheit des Bildkonzepts, bis zu einer ganz und gar archetypischen Form. Kühn zog Paula Modersohn-Becker die detaillierten Formen zusammen, um eine einfache, spezifische Sprache der Formen zu ermitteln.
Brustbild Lee Hoetger mit Blume, August 1906
Ein Kopf in kubischer Form. Kopf, Haar und Ausschnitt sind bräunlich gefärbt, so dass die Figur in einem entfremdeten Zustand zu sein vermag. Auch gleicht der Kopf nicht mehr einer Maske, sondern als Ganzes einer Skulptur, die durch die vorspringenden roten Lippen belebt erscheint. Mit der Schwärze der Augen ist der persönliche Ausdruck wieder zurückgenommen, der Blick nach unten entzieht sich der Erfassung. Die auffallend starke Hand am unteren Bildrand fasst – kaum angedeutet – eine zarte Blüte und hält sie hoch, als wolle sie sie präsentieren: ein archaisch überhöhtes Bild von Größe.
Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, 25. Mai 1906
Zum ersten Mal in der Kunstgeschichte schuf Paula Modersohn-Becker ein weibliches Selbstbildnis als Akt, und zwar als Schwangere. Man ahnt, was für ein Tabu mit dem Bild erst recht zur Zeit seiner Entstehung gebrochen worden war (wenn auch damals noch niemand das Bild sah). Tatsächlich war sie zu diesem Zeitpunkt nicht schwanger, der dargestellte Zustand kann symbolisch gemeint sein. Kurz vor der Fertigstellung des Selbstbildnisses schrieb sie: „Ihr sollt sehen jetzt in der Freiheit wird etwas aus mir.“
Der Inhalt und der persönliche Bezug sind hier das Hauptsächliche. Rechts unten ritzte sie in die feuchte Farbe die Inschrift: „Dies malte ich mit 30 Jahren an meinem 6. Hochzeitstage“, und signierte mit „P.B.“, Paula Becker.
Selbstbildnis mit zwei Blumen in der erhobenen linken Hand, 1907
In diesem Kunstwerk, das in ihrem Todesjahr entstand, weisen ihr maskenhaftes Gesicht, die dick aufgetragenen Farbflächen, die in ihre Wange geritzte Blume und die lebhafte, expressionistische Palette Modersohn-Becker als bahnbrechende Zeitgenossin von Henri Matisse und Pablo Picasso aus.
Man kann auf dem Bild erkennen, dass sie schwanger ist. Sie ruht ihre rechte Hand auf ihrem Abdomen auf eine beschützende Weise. Ihr Blick scheint weise heraus, und auf keinen Fall als den einer zerbrechlichen Person. Diese Art Selbstbildnis einer Frau stellt einen Durchbruch in der Kunst dar.
Im selben Jahr starb Paula Modersohn-Becker nur 20 Tage nach der Geburt ihrer Tochter an Komplikationen. Sie war 31 Jahre alt.
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