Das Thema ist aus dem Schulalltag kaum auszublenden, jedes dritte Kind ist persönlich schon einmal zum Opfer geworden. Nun will eine Studie sogar herausgefunden haben, dass Mobbing unter Jugendlichen sich gravierender auf die psychische Gesundheit auswirkt als Missbrauch innerhalb der Familie. Zeit, darüber zu reden, findet Jasmin Hutter.

Wo genau Mobbing anfängt, ist oft schwer zu sagen. Auch Lehrer können nicht immer sofort zwischen alltäglichen Streitereien und systematischen Demütigungen unterscheiden. Und tatsächlich beginnen diese meist im Verborgenen und werden nach und nach schlimmer. Dann ist es jedoch meistens bereits zu spät: Das Opfer ist sozial völlig isoliert und so eingeschüchtert, dass es sich kaum noch wehren oder Hilfe suchen kann.
Mobbing kommt von Mob
Das Hauptmerkmal von Mobbing ist wohl, dass sich mehrere zusammen tun, um eine Person fertigzumachen. Diese wird dann ausgeschlossen und zunächst verbal attackiert, oft kommt es aber auch zu nichtverbaler Gewalt oder der Beschädigung von Eigentum. Mit der wachsenden Bedeutung des Internets bleiben die Beschimpfungen nicht mehr auf dem Schulhof: Sie werden am Nachmittag im Netz fortgeführt und kommen so nach Hause ins Kinderzimmer, was zusätzlichen Stress bedeutet. In Extremfällen werden so beispielsweise Videos verbreitet, die das Opfer in einer demütigenden Situation zeigen.
Ein anderes Merkmal ist der Dauerstress und die Wiederholungen der Schikanen, selbst wenn diese für sich genommen nicht so schlimm erscheinen: Im Sinne einer Gehirnwäsche wird dem Opfer so lange eingeredet, dass es wertlos sei („Du bist dick, hässlich und kannst gar nichts!“), bis es das selber glaubt. Außerdem reden die Leute dem Opfer ein, es sei selber schuld an dem, was ihm widerfährt, und es schämt sich. Wenn es „petzen geht“ wird alles nur noch schlimmer.
Am schlimmsten ist die soziale Isolation
Für das Mobbingopfer gelten andere Regeln: Es wird zum Sündenbock der Schulklasse, der für alles herhalten muss. Macht er einen Fehler oder verhält sich in irgendeiner Form provozierend, hat das viel größere Konsequenzen, als wenn ein anderer Schüler genau dasselbe tut. Dadurch verstärkt sich das Gefühl, weniger wert zu sein als andere. Und dann stellst du dir die Frage, ob du überhaupt irgendetwas wert bist – spätestens wenn dir jemand ins Gesicht sagt: „Tu mir einen Gefallen und bring dich um.“ Ja, das gibt es wirklich.
Aus Angst, dass es ihnen genauso ergehen könnte, greifen die meisten nicht ein, selbst wenn sie die Situation ganz und gar nicht in Ordnung finden. Wenn sich niemand traut, sich mit dem Opfer zu solidarisieren und anzufreunden, ist dieses ganz allein und hat bald gar keine Freunde mehr (zumindest in der Schule, diese bestimmt allerdings zu einem sehr großen Teil den Alltag von Jugendlichen). Dass das nicht gerade toll ist, kann sich wohl jeder vorstellen. Zur Scham gesellt sich die Einsamkeit dazu, die Lebensqualität sinkt weiter.
Mobbing macht krank
Das alles hat natürlich Folgen. Einerseits wird das Selbstwertgefühl zerstört und das Mobbingopfer hat aufgrund der traumatisierenden Erfahrungen oft noch jahrelang Schwierigkeiten damit, auf andere Leute zuzugehen. Selbst wenn der Dauerstress z. B. durch einen Schulwechsel nachlässt, ist es unsagbar schwer, Vertrauen aufzubauen und Freundschaften zu schließen.
Wenn man dauerhaft unangenehme Gefühle wie Trauer, Wut, Angst und Scham empfindet, lässt man diese irgendwann nicht mehr zu. So entstehen Depressionen, die oft erst Jahre später als solche erkannt und behandelt werden, denn schließlich sind wir in der Pubertät ja alle mal schlecht gelaunt und schwierig. Außerdem entstehen beim Opfer natürlich auch Aggressionen, manche werden dadurch auch selbst zu Tätern. Häufig richten sie die Aggressionen jedoch gegen sich selbst, die Bandbreite geht hier von Essstörungen über Selbstverletzungen, bis hin zum Suizid.
Was hilft – und was nicht
Die „Anführer“, die eigentlich als einzige das Opfer wirklich drangsalieren, sind höchstens zu zweit oder zu dritt. Das eigentliche Problem besteht also darin, dass die anderen Schüler zu „Mitläufern“ werden, die wegschauen, vielleicht auch einmal über einen „Witz“ mitlachen, sich aber keiner Mitschuld bewusst sind. Wenn diese zwanzig Schüler jedoch hinter dem Opfer stünden statt hinter dem Täter, dann könnte die für Mobbing typische Dynamik erst gar nicht entstehen. Da wäre, wie in vielen ähnlichen Situationen, Zivilcourage angebracht. Die negativen Erfahrungen des gemobbten Kindes müssen durch positive kompensiert werden, um Heilung zu ermöglichen.
Dabei ist jedoch Einfühlsamkeit und Rücksichtnahme unabdingbar: Mobbingopfer erfahren eine vollständige Ablehnung als Person, ihre größte Sehnsucht ist es demnach, zu allererst vollständig akzeptiert und angenommen zu werden. Aussagen wie „Wenn du das und das gemacht hast, bist du irgendwie schon selber schuld“ oder „Das ist doch gar nicht so schlimm“ sind eher kontraproduktiv.
Auch der neoliberale Tonus, dass jeder für sein Glück selbst verantwortlich ist, kann leicht als „selber schuld“ missverstanden werden: Natürlich können und müssen wir als (junge) Erwachsene Verantwortung für uns übernehmen – von einem dreizehnjährigen Kind kann das jedoch nicht verlangt werden. Und wenn diesem Kind die verantwortlichen Erwachsenen (Eltern, Lehrer) nicht helfen, dann bleibt die Sehnsucht nach Hilfe von außen bestehen. Diese ist für die Verarbeitung von Mobbingerfahrungen ohnehin unabdingbar. Gerade psychische Krankheiten müssen professionell behandelt werden, auch wenn die Inanspruchnahme von psychologischer Hilfe wiederum mit Schamgefühlen besetzt ist.
Fazit
Wie bereits mehrere Studien gezeigt haben, hinterlässt es tiefe seelische Wunden, von Gleichaltrigen gemobbt zu werden. Je später verändernd in die Situation eingegriffen wird, umso schlimmer wird diese. Da dem Opfer von seinen Peinigern ohnehin eingeredet wird, „selber schuld“ zu sein und es sich als Kind dafür schämt, gemobbt zu werden, ist eine derartige Haltung gegenüber betroffenen doppelt schädlich. Diese brauchen in erster Linie Verständnis und Empathie, außerdem meist professionelle Hilfe, um das Erfahrene zu verarbeiten.
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