Amelie ist seit 17 Jahren Diabetikerin. Doch ihr Körper hat eine totale Resistenz gegen Insulin entwickelt. Wie geht sie nun mit ihrer Krankheit um? Unsere Autorin Liz hat mit ihr gesprochen.
Aus einer Studie aus dem Jahr 2019 geht hervor, dass etwa 373.000 Menschen in Deutschland mit Typ-1-Diabetes leben, also 0,4 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. Bei der Krankheit kann der Organismus kein eigenes Insulin produzieren. Das ist eigentlich wichtig, um den Blutzuckerspiegel sowie den Fett- und Eiweißhaushalt zu regulieren. Durch die Aufnahme von Essen und Trinken sammelt sich Zucker im Blut an. Insulin transportiert diesen anschließend zu den Zellen, wo er für die Energiegewinnung benötigt wird.
Ohne das Hormon reichert sich jedoch der Zucker weiter im Blut an. Deshalb müssen Typ-1-Diabetiker*innen lernen, ihren Blutzuckerspiegel vor jeder Mahlzeit manuell zu regulieren. Für die richtige Dosis müssen die Patient*innen berücksichtigen, wie viele Kohlenhydrate sie genau aufnehmen und wie viel sie sich körperlich betätigen. Diese Faktoren beeinflussen den tatsächlichen Blutzuckerspiegel. Das Leben mit der Krankheit ist eine Herausforderung. Was aber, wenn sich eine Allergie oder eine volle Resistenz gegen Insulin entwickelt? Ob man es glaubt oder nicht, das kann passieren.
Amelie Brinker (28) stellt ein Beispiel für diesen seltenen Fall dar. Sie verträgt seit Ende 2012 kein Insulin mehr. Diese Erkrankung ist so selten, dass es den meisten Ärzt*innen an Fachwissen fehlt und sie ihr kaum helfen können.
Der Tag, an dem sich alles veränderte
Ende November 2004 wachte die zehnjährige Amelie auf und fühlte sich krank. Ihre Eltern dachten, es handele sich um eine Darminfektion, weil sie sich zuvor schon übergeben musste. Sie fühlte sich schlapp und schwach. Aber erst an jenem Montagabend, als Amelie im Bett lag und nicht einmal mehr die Arme heben konnte, wusste ihre Mutter, dass wirklich etwas nicht stimmte. Sie rief sofort den Arzt an, der Amelie in die Notaufnahme schickte. Noch während der Untersuchung fiel sie aufgrund ihres schweren Insulinmangels in ein kurzes Koma, und kann sich an nichts mehr erinnern.
Ihre Mutter berichtet, Amelie habe sich die ganze Nacht erbrochen. “Die Ärzte haben auch gesagt, die Nacht hätte ich fast nicht mehr überlebt”, erinnert sich Amelie, denn ihr Insulinmangel habe eine lebensbedrohliche Stoffwechselstörung ausgelöst. Nach dem Vorfall wurde sie vier Wochen lang in die Kinderklinik in Datteln eingewiesen, wo bei ihr Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde. Danach gehörte das Spritzen von Insulin zu ihrem Leben. Aber eines Tages, als sie sich selbst spritzte, bemerkte Amelie dicke rote Entzündungen der Einstichstelle. Normalerweise benötigt Insulin zwei Stunden, bis es seine volle Wirkung entfaltet. Doch es passierte nichts. Woran konnte das nur liegen?
Ihre damalige Ärztin vermutete eine spätpubertäre Ursache. Eine allergische Reaktion sei nicht möglich. Schließlich handele es sich um körpereigene Stoffe. Auch andere Ärzt*innen waren sich sicher, dass so etwas gar nicht funktionieren könne.
Ein Bekannter von ihr, der auch ein Hausarzt ist, hat sich dann eingesetzt und mit einer Kinderklinik gesprochen, die Amelie nicht mehr aufnehmen wollte, weil sie zu der Zeit bereits zu alt war. Nach dem Gespräch wurde entschieden: Amelie würde eingewiesen werden. Ein Bluttest sollte Gewissheit über die vermutete Allergie bringen. Der Test bestätigte Amelies Vermutung: Sie reagiert allergisch auf Insulin.
Doch um auf Nummer sicher zu gehen, machte Professor Brehler von der Uniklinik Münster zwei weitere Allergietests bei Amelie. Diesmal auf ihrer Haut. Sie reagierte verzögert, doch die Allergie wurde erneut bestätigt.
Ein lebensrettendes Gerät
Nachdem sie jahrelang versuchte, sich trotz ihrer Allergie Insulin zu spritzen, entwickelte sie 2012 eine vollständige Resistenz gegen das Hormon. Ihre Ärzt*innen versuchten darauf hin, Amelie Insulin intravenös zu injizieren. Das bedeutet, sie spritzen ihr das Insulin direkt in die Vene. Die Methode funktionierte. Da dies aber nur von Fachleuten durchgeführt werden kann, suchten Amelie und ihre Familie nach anderen Möglichkeiten. Durch einen Freund erfuhren sie von einem neuen Gerät, welches die intravenösen Injektionen ersetzen könne. Die Studien dazu und seine Entwicklung wurden in der Fachklinik Bad Heilbrunn, Deutschland durchgeführt.
Die Spitze des Röhrchens befindet sich bis zu fünf Millimetern über der Hautoberfläche. So können Patient*innen selbstständig eine Insulinpumpe von außen anschließen. Das Verfahren funktioniert wie eine intravenöse Injektion und hat eine Wirkungsdauer von fünfzehn Minuten. Amelie entschied sich daraufhin, im Februar 2014 in die Diabetes-Klinik Bad Mergentheim zu gehen, um sich einen dauerhaften Zugang, den sogenannten „Port“, implantieren zu lassen. “Seitdem kann mein Körper dann erstens nicht mehr so entzündlich reagieren, weil kein direkter Kontakt mit der Haut besteht, und er kann auch nicht mehr alles blockieren, weil er durch die allergische Reaktion schon eine Resistenz gegen Insulin entwickelt hat”, so Amelie.
Nachteile gibt es auch
Amelie geht es sehr gut, seit sie ihren Port benutzt: “Ich bin nicht mehr am Kämpfen, dass das Insulin überhaupt funktioniert. Es hat mir das Leben erleichtert”, sagt sie. Aber nicht alles ist gut. Da das Gerät aus Titan besteht, verwächst es nicht mit der Haut. Das Resultat ist eine offene Wunde. So können sich Sekrete des Organismus ablagern, was die Stelle für Keime und andere Krankheitserreger öffnet, die so eindringen können. “Je nachdem, wie der Körper gerade grundsätzlich vom Immunsystem her drauf ist. Also, wenn es dem Organismus gerade gut geht und generell das Immunsystem stabil ist, dann geht es mit dem Port auch ziemlich gut”, erklärt sie.
Manchmal sei das Gewebe um den Zugang herum ein wenig gereizt. Es kann sich eine kleine Kruste aus Sekret bilden, was zu einer Grippe führen kann. “Bei mir ist es meistens der Keim „Staphylococcus aureus“, der sich dann am dauerhaften Zugang befindet, so dass dann oft Antibiotika nötig sind”, sagt Amelie. In schweren Fällen müsse sie jedoch ins Krankenhaus gehen und sich ein weiteres Gerät an einer anderen Stelle einsetzen lassen. So trägt Amelie seit 2020 bereits ihren vierten Port und hofft, dass er noch ein bisschen länger bleibt. “Es ist natürlich auch jetzt kein Spaß, wo man sagt: ‘Auch ich habe keine Lust mehr, zu spritzen, also gehe ich lieber zum Port rüber.’ Es ist nicht unbedingt so toll. Die Haut ist viel anfälliger und kann sich immer wieder entzünden, sagt sie.
Ein extrem seltener Fall bringt viele Herausforderungen mit sich
Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 kann eine Insulinallergie bei etwa 0,1 bis 3 Prozent der mit Insulin behandelten Diabetiker*innen auftreten. Symptome reichen von lokalem Juckreiz und Hautauschlag, bis hin zur lebensbedrohlichen Anaphylaxie. Von diesen ist jedoch nicht klar, wie viele Diabetiker*innen eine alternative Therapie wie Amelie anwenden. Weltweit gäbe es nur 80 bis 100 Port-Träger*innen und selbst die meisten Diabetolog*innen kennen das Gerät gar nicht, so Amelie. “Egal, bei welchem Diabetologen ich war: ob in Regensburg oder München, keiner hat irgendwie diesen Port gekannt”, ergänzt sie. Das findet sie schwierig. Häufig brauche sie Hilfe, aber bekam anfangs wenig Unterstützung. “Und deswegen glaube ich, es ist schon eine Dunkelziffer. Den meisten hier wird gesagt, dass es psychisch ist”, ärgert sich Amelie. Weiter führt sie aus: “Es sei aber auch für die Ärzte schwierig, zuzugeben, dass sie jetzt nicht weiterwissen. Das ist das Problem.”
Andere Lösungen gibt es bislang nicht. In den Jahren 2006 und 2014 erschienen die neuen Produkte, die vielversprechende Ergebnisse für inhalatives Insulin zeigten. Mit einem Inhalator, ähnlich dem, den Asthmatiker*innen benutzen, atmen Patient*innen ein feines Insulinpulver in ihre Lunge ein. Dort gelangt es durch winzige Blutgefäße ins Blut. Theoretisch könnte inhalatives Insulin die psychologischen Barrieren einer Insulininjektion vollständig beseitigen. Wie zum Beispiel die Angst vor Nadeln. Wegen des geringen Umsatzes konnten sich die neuen Produkte jedoch bislang nicht durchsetzen.
Neue Forschungsergebnisse der Universität von Alabama in Birmingham zeigen dagegen, dass sich ein bestimmtes Medikament gegen Bluthochdruck bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes für mindestens zwei Jahre nach der Diagnose als nützlich erweist. Es kann oral eingenommen werden. Da die Studie nur eine kleine Anzahl von Proband*innen umfasst, muss sie durch größere klinische Studien bestätigt werden. In Europa wird für das neue Medikament bei Typ-1-Diabetes derzeit zum Beispiel die INNODIA-Studie durchgeführt.
Die Botschaft: “Kämpfe weiter”
Bis ein neues Produkt auf den Markt kommt, wird Amelie beim Port bleiben. Mit dem Gerät kann sie mehr oder weniger alles selbst machen. Sie geht zur Diabetologin und lässt ihre Werte kontrollieren wie jede*r andere Diabetes-Patient*in auch. Und wenn sie Fragen hat, beantwortet die Ärztin sie. Wenn etwas mit dem Port nicht stimmt, geht sie auch in die Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz, denn, so Amelie, “das ist eigentlich die einzige Klinik, die das richtig gut kann”. Zum einen arbeitet die Diabetesabteilung mit der Herstellerfirma des Ports zusammen. Daher kennen sie sich mit dem Gerät gut aus. Zum anderen sind die Spezialist*innen in der Klinik auch chirurgisch für den Port ausgebildet. “Also ich kriege die Unterstützung, die ich brauche, aber es ist eher so, dass ich sage, ‘lasst mich einfach machen’”, sagt sie.
Amelie findet: “Als Diabetiker*in kennt man seinen Körper doch besser als vielleicht ein Mensch, der alle drei Jahre einmal zum Arzt geht”. Deshalb rät sie anderen Diabetes-Patient*innen, die allergisch auf Insulin reagieren und wenig oder gar keine Unterstützung erhalten, niemals aufzugeben. “Kämpfe einfach weiter und versuche, dich weiter durchzusetzen”, appelliert sie.
Leon
Esperemos que haya soluciones mas viables en el futuro! Amelie es una luchadora!