Die heilige Edith Stein war begabte Philosophin, entschied sich aber für ein Leben hinter den Klostermauern. Als gebürtige Jüdin wurde sie im Konzentrationslager ermordet. Ein Beitrag von Benedikt Bögle.

Glauben und Wissenschaft – ganz besonders Naturwissenschaft – passen nicht wirklich gut zusammen. Diesen Vorwurf hört man immer wieder. Religion glaubt, Wissenschaft weiß. Wo sich der gläubige Mensch nie ganz sicher über den Wahrheitsgehalt seines Glaubens sein kann, weiß der Wissenschaftler immer bestens Bescheid, unterstützt durch Experimente, empirische Erhebungen oder Messungen. Glaube und Vernunft passen nur schwer zusammen.
Die Realität sieht anders aus. Die katholische Kirche beispielsweise leugnet die darwinsche Evolutionstheorie schon lange nicht mehr: Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich über Millionen von Jahren entwickelt. Auf den ersten Blick beißt sich das mit den Schöpfungsberichten der Bibel, denen zu Folge Gott die Welt in nur sieben Tagen erschaffen haben soll. Die Theorie zur Evolution führte die Kirche immer mehr zu der Erkenntnis, den Schöpfungsbericht neu zu lesen – nicht als naturwissenschaftliches Protokoll, sondern als das, was er ist: ein theologischer Text.
Ende der wissenschaftlichen Karriere
Immer wieder gab es in der Geschichte des Christentums Menschen, die Glaube und Vernunft besonders miteinander in Berührung bringen wollten. Eine große Frau dieser Geschichte aus dem 20. Jahrhundert ist die von der katholischen Kirche als Heilige verehrte Edith Stein. Edith wurde 1891 in Breslau geboren, ihre Familie war jüdisch. Als Edith Stein älter wurde, distanzierte sie sich immer mehr von ihrem Glauben und sah sich selbst eher als Atheistin. Sie studierte Philosophie und kam an den Lehrstuhl des damals wie heute berühmten Philosophen Edmund Husserl. Sie schrieb ihre Doktorarbeit, konnte sich aber danach nicht habilitieren – das war Frauen damals noch nicht möglich.
Was ist der Sinn der Welt?
Immer mehr dachte die junge Frau über Religion nach und beschäftigte sich immer mehr mit einem Gedanken: Die Philosophie Husserls konnte einen bedeutenden Beitrag zu der Frage leisten, wie die Welt ist und wie der Mensch sie erfassen kann. Über die Frage nach dem Sinn des Ganzen konnte diese philosophische Strömung nichts sagen. Also: Warum gibt es diese Welt? Was ist der Sinn hinter unserer Realität? In dieser Zeit lernte Edith Stein die katholische Kirche intensiver kennen. Sie konvertierte und wurde Katholikin.
Damit aber war ihr religiöser Weg noch nicht abgeschlossen. Edith Stein wollte Nonne werden und den Karmelitinnen beitreten. Dabei handelt es sich um einen sehr strengen Orden. Die Schwestern leben hinter verschlossenen Türen. Sie sind arm und widmen einen großen Teil ihres Tagesablaufes dem Gebet. Edith ging nach Köln, dort wurde sie aufgenommen – und lebte plötzlich in einer gegensätzlichen Welt. Die begabte Denkerin und Philosophin übernahm ohne Wiederworte wie alle anderen Schwestern ganz selbstverständlich einfache handwerkliche Arbeiten. Neben dieser Arbeit und den vielen Gebetszeiten fand sie auch noch die Zeit, ihre bisherigen philosophischen Schriften zu überarbeiten und forschte weiter.
Tod in Auschwitz
Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht übernahmen, brachen schwere Zeiten für die Ordensschwester an. Obwohl sie hinter den Mauern des Klosters noch relativ behütet war, musste ihre jüdische Familie leiden. Viele Verwandte starben im Konzentrationslager. Auch Edith Stein, die in den Augen der Nationalsozialistin weiter Jüdin war, war bedroht. 1938 siedelte sie in ein niederländisches Kloster über, vier Jahre später wurde sie zusammen mit ihrer Schwester dort festgenommen. Beide starben im Konzentrationslager von Auschwitz. Die letzten Jahre vor ihrem Tod litt Edith sehr. Sie bot Gott gar ihr eigenes Leben an, damit er die Juden verschonte. Bis heute ist ihr großartiges Beispiel ein Ansporn für den christlichen-jüdischen Dialog.
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