Wie weit gehst du, um zu schützen, was Du liebst? Ein Jahr lang kämpften Menschen um den Dannenröder Forst. Ein persönlicher Einblick in die täglichen Herausforderungen, denen sich Aktivisten und Polizisten gegenübergestellt sehen.
Wie weit gehst du, um zu schützen, was Du liebst?
Die Kälte ist überall. Kriecht langsam ins Herz und macht sich breit. Ein weiterer Riese fällt, so groß, so mächtig. Das Geräusch von brechenden Ästen ist das letzte, was ich höre. Ein Beben geht durch den Wald und die uralte Eiche fällt stolz zu Boden. Drei Meter über dem Boden geht ein Beben durch meinen Körper, der sich eng an den Stamm eines Baumes drückt, Halt suchend. Meine Arme sind um den Stamm geschlungen und werden langsam schwach. Mein Fuß, der auf Zehenspitzen auf einem dünnen Ast balanciert, rutscht ab. Das andere Bein fängt von der langen ermüdenden Belastung unkontrolliert an, zu zittern. Meine Finger sind taub.
Schon lange ist jedes Gefühl aus ihnen gewichen und die Fingerkuppen sind verschwunden unter einer Schicht von Dreck und Sekundenkleber und ein wenig Glitzer, das hier fehl am Platz wirkt. Warme Tränen ziehen Schliere in schwarzes Acryl, das auf meinen Gesicht aufgetragen ist. Mit jedem Baum, der weichen muss, rollen weitere Tränen über die Wangen – und das schon seit Stunden schon. Mit jedem Baum, der fällt, stirbt ein wenig mehr der Glaube an das Gute und an eine Gerechtigkeit in dieser Welt – und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit wächst von Minute zu Minute.
„Wir leben in einer Welt, in der ein toter Baum mehr wert ist als ein lebender“
Dieses Zitat stammt aus einem Film von Jeff Orlowski; einen Satz, den ich nie vergessen werde. Und dennoch: Für ein paar wenige Menschen scheint ein lebender Baum genug wert zu sein, um stundenlang in seiner Baumkrone auszuharren, mit heiserer Stimme Parolen zu schreien und mit traurigem Herzen Lieder zu singen. Zu warten, bis sie von der Polizei weggetragen werden und hinter ihnen die Äste abgesägt werden, auf denen sie eben noch saßen. Viele Menschen im Danni sind der Meinung, dass die Politik und die Regierung versagt haben und dass sie deshalb die Zukunft selbst in die Hand nehmen müssen, wenn es eine Zukunft geben soll.
Aber wo ist die Grenze? Wie weit gehst Du, um zu schützen, was Du liebst? Ein hoher Zaun mit NATO-Draht und Wasserwerfern, deren Motoren ununterbrochen laufen. Ein Stück gerodeter Wald, das von hellen Scheinwerfern taghell ausgestrahlt wird. Menschen, die auf dem Boden des Waldes Überreste eines Baumhauses zusammensuchen. Namen, die gerufen werden in der Hoffnung auf eine Antwort – die Szene erinnert mehr an die Überbleibsel einer Schlacht als an den Bau einer Autobahn. Und das ist gar nicht so weit hergeholt, denn die UmweltaktivistInnen, aber auch die PolizistInnen, sind im Dannenröder Forst täglich extremen psychischen Belastungen ausgesetzt.
Die Polizei weiß, dass jeder Fehler dazu führen kann, dass sich ein Mensch schwerwiegend verletzt: Seit einer halben Stunde tanzt der Polizist bereits konzentriert mit seinem Abbruchhammer um einen Menschen herum, der dort am Boden liegt – sein Arm ist in einer Röhre im Boden einbetoniert. Vorsichtig legt der Polizist das Rohr frei. Er arbeitet sehr genau und umsichtig und nach einer Stunde ist das Rohr freigelegt und der Aktivist wird weggetragen. Der Bagger reißt den restlichen Beton aus dem Boden – ein Klotz, der bestimmt einen Meter tief im Boden steckte. Kopfschüttelnd stehen die Polizisten davor. Sie können es nicht glauben.
„Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt mir eine Uniform“
Dieser und andere Sprechchöre schallen durch den Wald. Regungslos stehen die PolizistInnen in einer Kette um die Absperrung und verziehen keine Miene. Aber auch die AktivistInnen kämpfen täglich mit den Repressionen, die sie durch die Polizei erfahren: denn oftmals erscheinen die Aktionen der Polizei doch recht … willkürlich. Menschen mussten miterleben, wie ihre Freunde zusammengeschlagen, AktivistInnen verhöhnt, neutrale BeobachterInnen verfolgt und Menschen in der Gefangenensammelstelle schikaniert wurden. Und vor allem mussten sie mit ansehen, wie der Wald, den sie zu schützen versuchen, Stück um Stück verschwindet – und mit ihm das Zuhause, das er für viele ist.
Wut. Ungläubigkeit. Frustration. Angst. Aber vor allem: Ohnmacht. Das fühlen wohl viele AktivistInnen. Die Unverhältnismäßigkeit der Polizei löst viele Emotionen aus. Dies ist keine Rechtfertigung für militante Aktionen, aber eine Erklärung, warum es auch solche Reaktionen gibt. Denn wenn jahrelanger friedlicher Protest keine Reaktionen, keine Verbesserungen hervorruft – wie weit weg bist Du dann davon entfernt, selbst einen Stein zu werfen?
Eines jedoch ist sicher: Die Grenzen zwischen dem, was gesetzlich richtig und falsch ist, verschwimmen im Danni auf beiden Seiten des Geschehens. Die Frage, die sich jedoch jeder selbst stellen muss, ist die Frage nach ethischen Grundsätzen: Möchte ich Gesetze unterstützen, die zur Zerstörung unserer Umwelt beitragen? Oder bin ich bereit für das, was mir am Herzen liegt, zu kämpfen? Aber vor allem: Kann ich mein Handeln mit meiner Moral vereinbaren?
Liebe/r Leser/in, wer immer Du bist, was immer Du liebst: stehe dafür ein! Nicht mit Gewalt, sondern mit friedlichem Protest, mit Worten und mit Sprache, denn Kommunikation ist der Schlüssel für eine bessere Zukunft!!
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