Er ist der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, und doch kennt ihn fast niemand: Christian Heintz aus Koblenz spielt in der Auswahl der Amputierten und kämpft mit seinen Mitspielern für die Etablierung der Sportart. Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Christian, wahrscheinlich warst du auch schon vor deiner Beinamputation fußballerisch aktiv? Wie war es für dich, als du erfahren hast, dass du ein Bein verlierst?
Ich habe seit meinem vierten Lebensjahr immer aktiv Fußball gespielt und dadurch viele großartige Momente erleben dürfen. Besonders die Kameradschaft innerhalb der Mannschaft und die Freundschaften fürs Leben die durch den Fußball entstanden sind, habe ich immer sehr geschätzt.
Als dann drei Wochen nach meinem Autounfall am 21. Februar 2010 die Diagnose der Ärzte kam, dass mein rechter Unterschenkel und das Knie so stark beschädigt waren, dass man das rechte Bein nur noch hätte versteifen können, war das ein harter Schlag für mich. Denn mir war sofort bewusst, dass ich mit einem steifen Bein und ohne jegliche Kraftfunktion nie mehr Fußball spielen kann.
Gleichzeitig kam ein eingeschränktes Leben mit einem versteiften Bein nie in Frage für mich. Daher habe ich mich nach reiflicher Überlegung für eine Amputation entschieden, um mithilfe einer Prothese wieder ein hohes Maß an Lebensqualität zu haben. Diese Entscheidung habe ich bis heute nie bereut.
Wie kamst du dann zum Amputierten-Fußball?
Es war egal, wie ich mich entscheiden würde (versteiftes Bein oder Amputation), vom Fußball hatte ich mich schon schweren Herzens gedanklich verabschiedet. Doch zwei Tage nach der Amputation kamen meine Eltern mit einem Flyer zu mir ans Krankenbett. Diesen hatten sie im Aufenthaltsraum des Krankenhauses gefunden. Dies war ein Werbeflyer vom Amputierten-Fußball. Und genau das war mein damaliger Lichtblick und meine „Eintrittskarte“ zurück ins Fußballeben.
Diesen Flyer habe ich mit nach Hause genommen und mich zwei Jahre später, im Mai 2012, bei den Verantwortlichen gemeldet. Daraufhin habe ich dann am Training teilgenommen und bin bis heute dabei geblieben. Mittlerweile bin ich Kapitän der Nationalmannschaft und Organisator/Koordinator im deutschen Amputierten-Fußball.
Was sind denn die größten Unterschiede zum „normalen“ Fußball?
Unterschiede gibt es gar nicht so viele. Die Feldspieler müssen ihre Beinprothese ausziehen und laufen dann einbeinig auf Krücken. Die Torhüter haben noch beide Beine, dafür aber nur einen Arm. Wir spielen auf einem Kleinfeld mit sieben gegen sieben. Die Spielzeit beträgt zwei Mal 25 Minuten und wir spielen ohne Abseits. Ansonsten gelten die normalen Fußballregeln. Bei uns gibt es auch genauso Kopfball- oder Fallrückziehertore wie bei den Nichtamputierten.
Wie viele Aktive und Mannschaften gibt es denn etwa in Deutschland? Gibt es ein Ligensystem?
Aktuell gibt es rund 22 Aktive in Deutschland. Diese teilen sich bisher auf in zwei Mannschaften: Anpfiff Hoffenheim und Sportfreunde Braunschweig. Daher gibt es bisher noch kein Ligasystem in Deutschland. Wir arbeiten aber in den kommenden zwei Jahren verstärkt daran, neue Spieler zu finden und damit verbunden neue Vereine zu gründen. Denn unser Ziel ist es, in den nächsten drei bis vier Jahren ein Ligasystem zu etablieren.
Jetzt bist du Nationalspieler, da ging doch sicherlich ein Kindheitstraum in Erfüllung? Wie kann man sich das Training bei der Nationalmannschaft denn vorstellen und wie viele Spiele/Turniere bestreitet ihr so im Jahr?
Auf jeden Fall hat sich damit ein Kindheitstraum erfüllt! Zwar auf Umwegen, aber es ist schon ein großartiges Gefühl, sein Vaterland vertreten zu dürfen. Wir treffen uns mit der Nationalmannschaft ein Wochenende im Monat (Freitag bis Sonntag) zum Trainingslager. Dieses findet meistens in Hoffenheim statt oder gelegentlich in Braunschweig.
Die Trainingsübungen unterscheiden sich kaum gegenüber den Übungen beim normalen Fußball: Passen, Torschuss, Flanken, Kopfbälle, Kräftigungs- und Ausdauerübungen sind dabei ganz normal bei uns. An so einem Trainingswochenende absolvieren wir vier bis fünf Trainingseinheiten zu je zwei Stunden. Die Anzahl der Turniere und Länderspiele ist immer unterschiedlich. Letztes Jahr haben wir an der EM in der Türkei teilgenommen (achter Platz von insgesamt zwölf Mannschaften). Deshalb lag der Fokus vorher vermehrt auf den intensiven Trainingslagern.
Dieses Jahr absolvieren wir eine kleine Turnierserie mit Holland und Belgien. Soll heißen: Wir treffen uns an drei Wochenenden dieses Jahr mit den Holländern und Belgiern und spielen dabei ein Turnier aus. Ein Wochenende findet in Holland statt, eins in Belgien und eins in Hoffenheim.
Was denkst du darüber, dass euch kaum Beachtung geschenkt wird, obwohl es ja im Prinzip auch Fußball ist? Was kann getan werden, um die Situation zu verbessern?
Natürlich ist es schade, dass wir in der Öffentlichkeit noch nicht so intensiv wahrgenommen werden. Das liegt wohl daran, dass der Behindertensport im Allgemeinen in Deutschland noch nicht den Stellenwert hat wie in anderen Ländern. So gibt es zum Beispiel in der Türkei zwei Profiligen im Amputierten-Fußball, deren Spiele dort live im TV übertragen werden. Die Spieler dort können alleine von ihrem Sport leben. Davon sind wir hier in Deutschland natürlich weit entfernt.
Trotzdem hat sich der Bekanntheitsgrad unserer Sportart in den letzten Jahren durch öffentliche Auftritte vergrößert. Und genau daran werden wir auch in diesem Jahr wieder verstärkt arbeiten. Es besteht bereits eine Kooperation mit der deutschen Blindenfußballliga. Diese richtet jedes Jahr zwei sogenannte Stadtspieltage aus. Dabei wird ein Kunstrasenfeld mitten in einer deutschen Stadt aufgebaut und die Blindenfußballer richten dann dort an einem Samstag ihre Ligaspiele aus. Durch die Präsenz mitten in der Stadt haben diese natürlich eine große Zuschauerzahl bei ihren Spielen. Und während den Spielpausen dürfen wir dann mit unseren Spielern auftreten und Demospiele absolvieren.
Des Weiteren planen wir für den 17./18. Mai Auftritte auf der OT World in Leipzig. Das ist Europas größte Messe für Bein- und Armprothesen. Hier hätten wir also potenzielle neue Spieler direkt vor Ort und wollen dort ordentlich die Werbetrommel rühren. Am 19. Mai geht’s dann nach Hamburg. Hier absolviert die Vereinigung der „Ampu-Kids“ ein Feriencamp. Das sind amputierte Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren, denen wir unsere Sportart vorstellen dürfen. Vom Auftritt 2017 konnten wir zwei Kids nun dauerhaft für unsere Sportart gewinnen. Allgemein gesagt: Um die Situation unserer Bekanntheit zu verbessern, helfen uns öffentliche Auftritte in jeder Form. Je mehr Menschen unsere Sportart kennen, desto besser. Denn irgendwann lernt man einen Amputierten kennen und kann diesem dann vielleicht unsere Sportart empfehlen.
Was wäre sonst noch interessant zu wissen?
Da es ja bei uns keinen Ligabetrieb gibt, haben wir 2017 mit der Mannschaft Anpfiff Hoffenheim am Ligabetrieb in Polen teilgenommen. Hierzu sind wir an insgesamt vier Wochenenden nach Polen geflogen und durften uns dort mit den polnischen Teams messen. Denn so hatten wir endlich mal eine regelmäßige Spielpraxis. Ermöglicht wurde dies dank der Unterstützung der Dietmar-Hopp Stiftung aus Hoffenheim.
2020 findet die nächste EM statt. Wir schmieden momentan Pläne, wie wir dieses Highlight hier in Deutschland ausrichten können (voraussichtlich in Hoffenheim).
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