Unser Alltag ist komplex. Er besteht aus vielen unterschiedlichen Komponenten: Uni, Familie, Freundeskreis, To do’s, Hobbys, Termine… Jeder einzelne Lebensbereich bringt seine eigenen Erwartungen mit sich. Die Oma möchte gerne besucht, die Ausarbeitungen geschrieben und das Landratsamt nochmal angerufen werden… Doch was passiert, wenn sogar Gegenstände unseres täglichen Gebrauchs nach Aufmerksamkeit schreien?

Die letzte Kleidertauschparty ist noch nicht lang her… Obwohl ich mal wieder dachte, ich hätte „nichts zum Tauschen“ und auch andere mich fragten, ob sie auch kommen dürften, wenn sie „nicht so viel“ mitbringen würden, ist doch ein komplettes Wohnzimmer mit Klamotten gefüllt worden und es waren mehr als zwei prallgefüllte Säcke mit Kleidern, die wir an Bedürftige weitergeben konnten. Ich liebe den Austausch, die lachenden Gesichter, ein bisschen Kaffeeklatsch mit Freundinnen – nur nicht spießig, sondern ganz öko!
Doch unlängst danach schaue ich in meinen Kleiderschrank und sehe mal wieder dieses eine Kleid, das ich mir von meinem ersten eigenen Gehalt gekauft habe – Erinnerungen und vor allem das Bewusstsein: das hast du immer geliebt und so oft getragen! Jetzt liegt es da und „starrt“ mich vorwurfsvoll an: „Ich will auch mal wieder angezogen werden, denn sonst hab‘ ich länger keine Berechtigung mehr, hier rumzuliegen!“ Werde ich jetzt vollends ganz verrückt? Wie bitte?! Ein Kleidungsstück, das beleidigt ist, weil es nicht angezogen wird?! Das ist so ziemlich das absurdeste, was ich jemals gehört und gelesen habe…
Für Marie Kondo kein Problem …
Auch wenn es absurd klingt, ich kann mir gut vorstellen, dass die meisten einen solchen Gedanken bereits hatten. Sei es anlässlich eines übervollen Kleiderschrankes, der etwas leerer sein könnte oder auch inmitten des Alltags. Ich frage mich, wieso es so schwer ist, sich von diesen Dingen zu trennen, die solch unangenehme Gefühle, ja fast schon Schuldgefühle in einem hervorrufen. Denke ich an Mari Kondos berühmte Aufräumstrategie mit der Prüffrage: „Macht es dich glücklich?“ in Englisch noch viel schöner ausgedrück: „Does it sparkle joy?“ – müsste ich dieses Teil zusammenfalten und in den Altkleidersack geben – oder verschenken, oder etwas daraus nähen. Für Letzteres bin ich zu ungeschickt und das Hergeben fällt mir auch irgendwie schwer. Ich stelle fest, dass Klamotten eben doch auch etwas sehr Persönliches, Intimes sind. Ein Ausdruck dessen, wer ich bin und wer ich sein möchte. Mehr als ein Pfannenwender (wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es durchaus auch Gründe gibt, an Gegenständen dieser Kategorie zu hängen)…
… aber für mich
Drücken „alte Klamotten“ (auch ein sehr relativer und subjektiver Ausdruck) nicht auch manchmal aus, wer wir waren, bevor wir geworden sind, was wir heute im Spiegel sehen? Die Person, die total auf Schlaghosen stand oder diesen Pullover mit Wasserfallkragen todschick fand? Amüsieren wir uns nicht auch köstlich, wenn wir in den Fotoalben der Eltern und Großeltern die Mode von heute wiederfinden? Ich erinnere mich an eine ulkige Weste, die ich bei Mamas Sachen fand – zu cool für „Bad-Taste“ aber doch auch so Vintage, dass ich den normalen Kapuzenpulli für den Alltag doch bevorzuge.
Nun blicke ich schon wieder auf dieses Kleidungsstück und spüre eine Erwartung, von der ich mir nicht einmal sicher kann, ob es sie überhaupt gibt und falls ja, ob sie berechtigt ist. Jedes Mal also, wenn ich dieser gefühlten „Erwartung“ nachgehe und eins dieser Kleiderstücke trage, hat es wieder ein paar Monate der Daseinsberechtigung erworben. Der Zustand bleibt aber nach wie vor: Zu schade für den Kleidersack aber auch nicht gut genug zum Anziehen – irgendwie traurig aber wahr…
Wo führt uns das alles nun hin? Zum einen zu der Erkenntnis, dass man nicht alles sofort wegwerfen muss, das nicht in täglicher Benutzung ist und dass ich mir auch Zeit lassen darf, mich von manchen Teilen zu trennen. Zum anderen zu der Entscheidung, mich nicht von (Schuld-)Gefühlen leiten zu lassen – Klamotten Gegenstände sein zu lassen, die nicht mit mir beleidigt sind, wenn ich sie gerade einfach nicht anziehen will – und auch morgen nicht, wenn mir nicht danach ist… Höchstens, dass mein Mann beleidigt wird, wenn seine Seite unseres Kleiderschrankes aufgrund mehrerer Kandidaten dieser Kategorie immer mehr Platz einbüßen muss und er schlichtweg zu kurz kommt für seine Klamotten, die er tatsächlich auch gern anziehen möchte.
Also Hand auf’s Herz – für wen haben seine Klamotten auch schon einmal Schmolllippen und Zwinkeraugen bekommen? Schreibt’s mir/uns in die Kommentare. 😊
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