Das Coronavirus ist Dauerbrenner der aktuellen Berichterstattung. Angesichts des Ausmaßes der Krise ist das nur nachvollziehbar. Informationsvermittlung ist der gesellschaftliche Auftrag des Journalismus. Doch dies impliziert auch Verantwortung und Sorgfaltspflicht. Können Medien dieser besonderen Aufgabe überhaupt gerecht werden? Ein Kommentar.

Leergeräumte Supermarktregale, überfüllte Einkaufswagen und Menschen, die Toilettenpapier hamstern… alles Sinnbilder der Coronavirus-Berichterstattung der vergangenen Wochen. Es handelte sich hier um COVID-19-Nebenerscheinungen, die durch das ständige Wiederholen der immer gleichen Bilder in den Medien nur noch verstärkt wurden.
Dabei geht es doch eigentlich um eine Krankheit, die bereits zahlreiche Todesopfer gefordert hat. Dabei haben Zuschauerinnen und Zuschauer doch auch keinen informativen Mehrwert, wenn ihnen ständig der Eindruck einer Krise mit leeren Kaufhausregalen vermittelt wird. Wir erleben – auch wenn diese Ereignisse natürlich ungewöhnlich und besorgniserregend sind, eine insgesamt unausgeglichene Berichterstattung, bei der angesichts der Thematik um das Coronavirus andere mediale Ereignisse unwichtig erscheinen.
Die Rolle der modernen „Gatekeeper“
Die traditionelle Rolle des Journalisten als derjenige, der über die Selektion von relevanten Informationen entscheidet – in Form des von Walter Lippmann geprägten Ausdrucks des „Gatekeeper“ – hat sich in Zeiten des Internets verändert. Heutzutage ist dies vielmehr eine moderierende Funktion, bei der dem heutigen Journalisten die Rolle zufällt, die Information zu gestalten. Wie wichtig diese moderierende Rolle in der jetzigen Krise ist, zeigt eine aktuelle Statista-Umfrage, in der 79% der Befragten in Deutschland angeben, TV-Sendungen zu schauen, um sich über die aktuelle Pandemie zu informieren und 55% Nachrichten-Websites als Informationsquelle nutzen. Eine erhebliche Verantwortung ruht daher momentan auf den Schultern der medialen Berichterstattung.
Es zeichnet sich jedoch ein Trend ab, bei dem wenig hinterfragend die Botschaften und Aufrufe von Regierungsvertretern, Epidemiologen, Virologen oder Ärzten mit einer regelrechten Geschwindigkeit „unters Volk“ gebracht werden. Die Funktion des Journalist als „Gatekeeper“ erscheint dadurch unso wichtiger. Das schließt die Fähigkeit ein, auch unterschiedliche Meinungen zu Detailfragen zuzulassen und Lösungsansätze auch kritisch zu beurteilen. Dass das alles im Moment sehr schwierig ist – und vielleicht auch dem Home-Office, Ausgangsbeschränkungen und schlecht bezahlten freien Redakteursstellen geschuldet ist – sollte man natürlich nicht vergessen.
Medienhype oder objektive Realität?
Es wird oft darüber berichtet, dass zu wenig medizinisches Material zur Verfügung steht. Das ist wichtig zu berichten, doch genauso wichtig ist es, mit wissenschaftlichen Zahlen und Prognosen vorsichtig umzugehen, sie ausreichend zu analysieren und verantwortungsbewusst an die Gesellschaft weiterzugeben. Manchmal erweckt sich in mir der Eindruck, dass manche Medien sich in einem Strudel aus düsteren Schreckensszenarien verlieren und der objektive Journalismus zurücktritt.
Mir entsteht der Eindruck, als besitze von nun an nahezu jede Tageszeitung, jedes Wochenmagazin oder Online-Nachrichtenportal plötzlich eine eigene Wissenschaftsredaktion, die in medizinischen Fragen geschulte Mitarbeiter beherbergt. Neben der COVID-19-Pandemie geht eine zweite, ebenfalls in gewissen Masse gefährliche Pandemie um, nämlich die der selbsternannten Experten. Da hinzu kommt noch, dass “echte” Expertern wie u.a. Virologen von einigen Medien zu übermächtigen Heldengestalten personifiziert werden, ohne das diese sich überhaupt in dieser ihnen von Teilen der Öffentlichkeit zugestandenen Rolle wiederfinden wollen. Gegenüber diesem Verhalten äußerte vor allen der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, zuletzt mehrmals öffentlich Kritik.
Die Verantwortung der vierten Gewalt
Zudem zeigt sich für mich, dass auch gesetzlich angeordnete Regelungen oft nur kommuniziert, selten hinterfragt werden. Der Eindruck ensteht als betrieben einige Medien nur noch eine Art von “Verlautbarungsjournalismus“.
In einen Podcast des luxemburgischen Investigativ-Magazins Reporter.lu äußeren sich die Journalisten Christoph Bumb und Laurent Schmit konkret zu diesem Dilemma. Als Journalist wird einem in diesen Tagen oftmals entgegengebracht, dass zur Zeit Kritik gegenüber den von offizieller Seite getroffenen Maßnahmen aufgrund der jetzigen Situation dekonstruktiv wäre. Dabei wäre es doch eine Alternative, einen solchen Eingriff in die Privatsphäre und die Beschränkung des öffentlichen Lebens auch kritisch zu begleiten.
Beim Journalismus handelt es sich schlussendlich auch um ein Business in einen hartumkämpften Markt mit vielseitiger Konkurrenz. Das wirtschaftliche Umfeld ist schwierig und in Zeiten von suchmaschinenoptimiertem Journalismus stehen vor allem die Online-Redaktionen unter dem ständigen Druck, möglichst viele neue Nutzerzahlen für ihrer Produkte zu generieren. Dies ist keineswegs verwerflich, denn die privaten Medien sind eine notwendige Säule der Demokratie. Doch in dem Eifer, die verängstigten Massen in Zeiten der COVID-19-Pandemie zu beglücken, um daraus ökonomischen Profit zu schlagen, muss mancher Journalist darauf achten, nicht zu weit übers Ziel hinauszuschießen.
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