ANGST: eine mächtige und unberechenbare Waffe; ein zweischneidiges Schwert, das das Beste aus uns herausholen kann, aber auch das Schlimmste. Sie fordert uns in der aktuellen Krise mit ihrer ganzen Kraft heraus und wir müssen entscheiden zwischen individuellem Rückzug oder gemeinschafltichem Kampf.
Wir alle kennen den Begriff, wir alle haben sie gefühlt, aber sie zu verstehen, ist nicht einfach. In der Psychologie wird unterschieden zwischen Zustandsangst (state anxiety) und Eigenschaftsangst (trait anxiety).
Während die sogenannte „state anxiety“ der vorübergehenden Emotion infolge einer realen Gefahr entspricht, wirkt die „trait anxiety“ auch in Situationen, die als ‚gefährlich‘ empfunden werden aber keine akute Bedrohung darstellen.
Ob es sich um andere Menschen, wilde Tiere, Dunkelheit, übernatürliche Kräfte, Tod, Krankheit, Krieg oder sogar um etwas so mikroskopisch Kleines wie ein Virus handelt: Angst ist ein Teil unseres Lebens. Mal tritt sie in unberechenbarer Weise in den Vordergrund, mal verbirgt sie sich still und leise hinter dem Gefühl der Sicherheit. Wir alle erfahren in diesen Zeiten wieder sehr deutlich, wie sie sich anfühlt. Ist sie aktuell doch in Gestalt von Corona, Arbeitslosigkeit und Existenzsorgen mit ihrer vollen Kraft präsent.
Angst zu unseren Gunsten
Doch genauso wie wir selbst Angst fühlen können, können wir sie auch jemandem zufügen. Angst kann verwendet werden, um zu manipulieren und sie zu den eigenen Gunsten zu nutzen. In dem Punkt müssen wir uns sicher alle bereits schuldig bekennen. Da reicht es schon, den kleinen Geschwistern mal damit gedroht zu haben, sie bei unseren Eltern wegen eines Fehlers zu verpetzen, um sie dazu zu bringen, etwas für uns zu tun. Es mag in der Schule, Zuhause oder an unserem Arbeitsplatz gewesen sein, aber Angst haben wir sicherlich alle bereits auf die ein oder andere Weise kennengelernt.
Gehen wir über den privaten Bereich hinaus: Von der Angst der Menschheit profitieren unter anderem Versicherungsunternehmen, Sicherheitsexperten und Politiker. Sie ‚warnen und schützen‘ uns vor den Gefahren der Erde, weil wir in einer „scheinbar immer bedrohlicheren Welt” leben. Politiker stellen sich als ‚Retter‘ dar und versprechen ihren Anhängern, sie zu führen und zu schützen. Aber was passiert, wenn die Bedrohung größer ist als der scheinbare Retter? Was passiert, wenn der Retter auch fürchtet?
Unsere unsichtbaren Feinde gehören zu den mächtigsten
Heutzutage bedroht das Corona-Virus unser Leben. Wer hätte gedacht, dass ein winziges infektiöses Partikel so riesige Auswirkungen auf die ganzen Welt haben würde? Aber ja, zu unsere größten Feinden gehören die, die wir nicht direkt sehen können. Die uns schweigend und langsam angreifen.
Die Coronakrise macht uns Angst und Sorgen: wir fürchten um unser Leben, vor allem aber um das unserer Omas und Opas. Wir fürchten auch um die Wirtschaft, unsere Jobs, unser Einkommen und die Welt im Allgemeinen.
Natürlich ist die Gesundheit das Wichtigste, um das wir uns kümmern müssen, aber was passiert, wenn es die Option Zuhause zu bleiben, nicht gibt? Einige Regierungen der Länder in der Dritten Welt wissen nicht, wie sie dieses Problem lösen sollen, da eine Vielzahl der Bürger obdachlos sind, unterbeschäftigt oder informell arbeiten – ein in Lateinamerika und anderen Entwicklungsländern häufiges Phänomen, dass unter anderem Straßenverkäufer, Jongleure oder selbstständige Taxifahrer betrifft.
Quarantäne heißt also für viele Familien: Kein Einkommen und somit kein Essen. Wie sollen diese Personen gesund bleiben, um sich und andere vor dem Virus zu schützen, wenn sie nicht genügend Nährstoffe erhalten oder wenn sie kein eigenes Zuhause haben? Diese Fragen sind verbunden mit der großen Furcht, die viele Menschen derzeit in sich tragen.
Dieses Video aus Honduras zeigt einen Überfall auf ein Auto mit Lebensmitteln.
Die Grenzen der Moral verschwinden im Angesicht der Angst
Aber Angst kann, wie erwähnt, auch das Schlimmste in uns hervorrufen: In vielen Ländern zeigt sich die Angst beim Hamsterkauf. Panik führt dazu, dass wir unverhältnismäßig viel Toilettenpapier, Desinfektionsmittel, Nudeln und andere Vorräte kaufen. Wir streben nach unserem eigenen Wohlergehen, aber unser Mangel an Solidarität und unser großer Egoismus werden andere beeinträchtigen, die diese Versorgung mehr benötigen.
In Entwicklungsländern ist die Situation teilweise noch prekärer: An einem Tag der letzten Märzwoche haben Leute in einem Viertel in San Pedro Sula, Honduras, ein mit Lebensmitteln beladenes Auto überfallen, da die Regierung wegen der rasanten Ausbreitung des Virus eine strengere Ausgangssperre eingeführt hatte. Nahrungsmittelknappheit im eigenen Haushalt zwang die Menschen auf den Straßen nach Vorräten zu suchen, während sie das Risiko eingingen, verhaftet zu werden.
Dieses schreckliche Phänomen tritt auch in anderen Ländern wie Panama, Brasilien, Argentinien und Mexiko auf. Laut der renommierten spanischen Zeitung, El País, haben die Beschränkungen aufgrund des Corona-Virus Plünderungen in Mexiko ausgelöst. Viele Social-Media-Gruppen wurden erstellt, um Raubüberfälle in verschiedenen Lebensmittelgeschäften und Kaufhäusern in der Hauptstadt zu planen.
Diese Personen haben (fast) keinen Zugriff auf Versorgungsgüter. Niemand sollte dazu gedrängt werden, zu verhungern, um das Virus zu bekämpfen, oder im Gegenteil, sein Leben riskieren müssen, um Hunger zu vermeiden. Darüber hinaus wird die Panik durch die meist schlecht ausgestatteten und wenig belastbaren Gesundheitssysteme in ärmeren Länder zusätzlich verstärkt.
Kannst Du dir vorstellen, dass es nur einen Arzt pro 10.000 Menschen gibt, so wie es in Sambia der Fall ist? Oder dass es nur drei Beatmungsgeräte pro Million Menschen gibt, so wie in Mali? Laut Untersuchungen des Weltwirtschaftsforums ist dies für viele Länder die Realität.
Wir dürfen die Augen nicht verschließen, trotz Angst
Die Tatsache, dass fast niemand darüber spricht, macht mich sehr wütend. Natürlich sind die sozioökonomischen Auswirkungen in Ländern der Ersten Welt von großer Bedeutung, da diese Länder wichtige wirtschaftliche Treiber sind, aber auch das Leben in Entwicklungsländern ist gefährdet. Jedes Leben zählt.
Wir sollten uns auch darüber informieren, welche sozioökonomischen Auswirkungen die Coronakrise in Ländern der Dritten Welt hat, nicht nur in den USA, Deutschland, Spanien oder China. Meiner Meinung nach sollten die Regierungen ein besseres Liefersystem einführen, um diejenigen zu erreichen, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind.
Wir bekämpfen gerade ein Virus, das unser Leben bedroht, und es ist deshalb normal Angst zu haben. Wenn wir jedoch zusammenarbeiten und das Bewusstsein dafür schärfen, was in Entwicklungsländern vor sich geht, können wir die Regierungen auffordern, bessere Maßnahmen zu ergreifen. Auf diese Weise hätten wir alle die Möglichkeit, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und Angst zu vermeiden. Denn das geht nur gemeinsam.
„Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen. Jetzt ist die Zeit da, um mehr zu verstehen, so dass wir uns weniger fürchten müssen.“ — Marie Curie.
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