Sommer 1941 in Deutschland: Jedem, der das Naziregime öffentlich ablehnt, droht Schikane und Ausgrenzung bis hin zur Internierung in ein Konzentrationslager. Da wagt es der Bischof von Münster, Clemens August von Galen in mehreren Predigten den Nationalsozialismus scharf anzugreifen. Wer war dieser Mann, der auf Grund seines Mutes den Nazis die Stirn zu bieten, auch „Löwe von Münster“ genannt wird? Eine Spurensuche.
Familie, Kindheit und die ersten Priesterjahre
Am 16. März 1878 erblickt Clemens August von Galen auf der Burg Dinklage in Westfalen das Licht der Welt. Die religiöse Prägung, die er in der Familie und später in einer Jesuitenschule erfährt, mündet in den Entschluss, Priester zu werden. Zunächst als Domvikar in Münster tätig, wird er 1906 als Priester nach Berlin gesandt. Dort kommt seine soziale Ader zur Entfaltung. Er spendet aus seinem Erbteil rund 80.000 Goldmark für den Bau eines Krankenhauses, eines Gesellenhauses mit Wohnraum für 200 Leute und einer Kirche. Besonders am Herz liegt ihm die Seelsorge für die Armen und Kranken.
Machtergreifung Hitlers und Bischofsweihe
1929 kommt von Galen wieder nach Münster zurück und übernimmt dort eine Pfarrei. Vier Jahre später im Jahr 1933 ergreift Hitler die Macht. Noch im selben Jahr wird von Galen im Oktober überraschend zum Bischof ernannt und geweiht. Zuvor hatten zwei Kandidaten abgelehnt, der eine aus gesundheitlichen, der zweite aus politischen Gründen. Für Nichteingeweihte schien daher die Wahl des konservativen Adeligen von Galen zum Bischof unter dem Einfluss der NSDAP zu stehen.
Der Ruf des Nazis
Wie der Münsteraner Zeitgenosse und Philosoph Josef Pieper anmerkt, witterte man in von Galen nicht so gleich den großen Antipoden gegen die Gewaltherrschaft, eher gilt er bei manchen seiner geistlichen Mitbrüder sogar als „Nazi“. Dies lag wohl an seiner patriotischen Einstellung, seiner zum Teil aristokratischen Weltsicht und seiner Forderung im Juni 1933, die neue politische Bewegung gerecht und sachlich zu bewerten.
Obwohl er selber die Zentrumspartei unterstützt und dabei Koalitionsgespräche mit der NSDAP entschieden abgelehnt hatte, machen sich einige NSDAP-Angehörige die Hoffnung, dass er als Mann von „rechts“ ihrer Sache dienlich sein könnte. Nur Wenige erkennen damals schon, dass er wohl ein entschiedener Gegner der NSDAP werden könnte. Zu dieser Einschätzung kommt der Münsteraner Rechtsanwalt und Nationalsozialist Adolf ten Hompel. Kurz vor der Bischofsweihe bittet er einen Freund, Hitler folgende Botschaft zu überbringen: „Hier (in Münster) reiben sich die Kapitulare und Jesuiten die Hände über diesen unerhörten Sieg wider Hitler.“
Einsprüche, Briefe, Gegenschrift – schriftlicher Widerstand
Gestützt auf das Reichskonkordat, welches im September 1933 zwischen Kirche und deutschem Staat geschlossen wird, übt sich von Galen zunächst im Optimismus und hegt die Hoffnung, dass die Nationalsozialisten nicht vertragsbrüchig werden. Doch noch im November 1933 reicht er seine erste Beschwerde beim Stadtschulrat ein. Es geht um den Religionsunterricht und die darin behandelte Rolle Israels, die die Nazis entsprechend ihrer Ideologie fälschen wollten. Im Laufe der Jahre folgen viele schriftliche Einsprüche an die Behörden und mehrere Briefe an Hitler selbst.
1934 lässt von Galen zusammen mit zwei Autoren eine Gegenschrift zu der Naziideologie „Mythus des 20. Jahrhunderts“ ausarbeiten und in der ganzen Diözese verbreiten. Als Rosenberg zu einer Veranstaltung nach Münster geladen wird, wagt es der Bischof sogar beim Oberpräsident von Westfalen schriftlich Protest einzulegen, um den Auftritt von Rosenberg zu verhindern.
Mit brennender Sorge – Mitwirken an der Enzyklika
Schon bald sieht von Galen ein, dass seine schriftlichen, unveröffentlichten Eingaben nicht den gewünschten Erfolg bringen. Das Hervortreten an die Öffentlichkeit ist nun mehr und mehr die Devise. Zusammen mit drei Kardinälen und einem weiteren Bischof reist er im Januar 1937 nach Rom, um den Papst Bericht über die Lage in Deutschland zu geben.
Das Ergebnis der Reise ist die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die erstmals nicht auf Latein, sondern in einer Landessprache verfasst wird. Unter höchster Geheimhaltung wird das päpstliche Schreiben nach Deutschland gebracht, dort heimlich vervielfältigt und am 21. März 1937 in allen Messen verlesen. Die Reaktion der Nazis lässt nicht auf sich warten: Schon am Tag darauf werden Exemplare der Enzyklika beschlagnahmt und Mitarbeiter beteiligter Druckereien verhaftet.
Offener Kampf gegen die NSDAP
Von Galen wagt sich immer weiter vor. In einer Predigt im November 1937 spricht er davon, dass die nationalsozialistische Weltanschauung abzulehnen sei. In mehreren Briefen an Hitler selbst geißelt er „in voller Offenheit und ohne Rücksicht auf persönliche Verfolgung“ die „Vergewaltigung der Gewissensfreiheit“ und das Vorgehen der Gestapo als Schaden für die Bevölkerung.
Höhepunkt seines Widerstandes ist der Juli 1941, als er in drei Predigten seinem Spitznamen „Löwe von Münster“ alle Ehre macht und die Nationalsozialisten und deren Ideologie verurteilt: Jeder Staatsbürger sei gegenüber der physischen Übermacht der Gestapo völlig schutzlos und wehrlos, auch wenn er dabei völlig schuldlos sei.
Als er erfährt, dass mehrere Behinderte abtransportiert und getötet werden sollen und seine Anzeige beim Polizeipräsidenten und beim Staatsanwalt keine Wirkung haben, prangert er dies offen in einer Predigt an: „Der erste Transport der schuldlos zu Tode Verurteilten ist von Marienthal abgegangen.“
Hans Scholl: Endlich hat einer Mut zu sprechen
Die Predigten bleiben nicht ohne Wirkung. Abschriften davon werden vervielfältigt und verbreiten sich schnell in Deutschland und Europa. Die Alliierten werfen Kopien als Flugblätter aus den Flugzeugen über Deutschland ab. Als der Widerstandskämpfer Hans Scholl einen Abzug der Predigten im Briefkasten vorfindet, kommentiert er diese mit den Worten: „Endlich hat einer den Mut zu sprechen“ und fügt hinzu: „Man sollte einen Vervielfältigungsapparat haben.“
Aber nicht nur der Widerstand wird zum Handeln ermutigt. Das Naziregime sieht sich gezwungen, das Euthanasieprogramm für Menschen mit Behinderung sofort zu stoppen – Dies ist einer der größten Erfolge des Bischofs von Münster, auch wenn das Töten später wieder aufgenommen wird.
Von Verhaftung und Hinrichtung verschont
Nach der scharfen und offenen Kritik am Regime stellt sich die Frage, warum von Galen nicht gefangen genommen und hingerichtet worden ist. Tatsächlich hat der Bischof bereits 1935 die Befürchtung, dass er bald verhaftet werden könnte und gibt Anweisungen, was in diesem Falle zu tun sei. Vor der ersten großen Predigt 1941 gibt er seinem Sekretär die lapidare Anweisung, seine Wäsche dann bitte ins Gefängnis zu bringen.
Doch eine Verhaftung bleibt aufgrund eines taktischen Machtkalküls des Regimes aus. Zu beliebt ist der Bischof bei der Bevölkerung und einen Aufruhr während des Krieges kann man nicht gutheißen. Martin Bormann, Chef der Reichskanzlei bemerkt: „Sicherlich wäre die Todesstrafe angebracht, mit Rücksicht auf die Kriegsumstände wird der Führer diese Maßnahme wohl kaum anordnen.“ Von Galen hingegen leidet sehr unter der paradoxen Situation, dass er selbst verschont bleibt, aber Priester, die seine Predigten verbreiten, hingerichtet werden.
Kardinalsweihe, Tod und Seligsprechung
Die Predigten im Jahre 1941 bildeten den Höhepunkt des öffentlichen Widerstands von Galens gegen das Regime. In den hereinbrechenden Kriegswirren, bei denen er beinahe selbst Opfer eines Luftangriffs geworden wäre, gibt es keine so offensive Kritik. Vereinzelten Quellen zufolge könnte von Galen auch Kontakte zu dem Widerstandskreis um Carl Friedrich Goerdeler gehabt haben, andere Beobachter halten dies wiederum für unwahrscheinlich.
Bei Kriegsende und der Besiegelung der Niederlage Deutschlands spricht er den Gläubigen Mut zu.
Noch im Dezember 1945 wird bekannt, dass von Galen zum Kardinal ernannt werden soll und am 18. Februar 1946 wird ihm diese Auszeichnung schließlich verliehen. Nur einen Monat später stirbt von Galen am 22. März an den Folgen einer Blinddarmdurchbruchs und wird am 28. März unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigt.
Am 9. Oktober 2005 wird Kardinal von Galen von Johannes Paul II. selig gesprochen.
Kritik
Kritiker führen häufig ins Feld, dass von Galen national eingestellt und kein Freund der Weimarer Verfassung war. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man seine adelige Herkunft betrachtet und auch er sich dem damaligen Zeitgeist nicht ganz entziehen konnte. Anfangs mag der Vorwurf der Obrigkeitshörigkeit zugetroffen haben, dafür bekämpfte von Galen später das Regime umso entschiedener.
Von Galen äußerte sich nicht öffentlich zur Verfolgung und Tötung der Juden. Allerdings bot er dem Münsteraner Rabbiner nach der Reichspogromnacht über einen Boten Hilfe an. Von Galen befürwortete zunächst den Krieg als Kampf gegen den Bolschewismus, verurteilte später aber Bombenangriffe, die als Rache- und Vergeltungsschläge durchgeführt wurden, als unchristlich.
Vorbild trotz mancher falscher Einschätzungen
Trotz seiner sicher nicht vollkommenen Kritik am Regime war sein Widerstand vorbildhaft. Allein die lebensrettende Unterbrechung des Euthanasieprogramms und der positive Einfluss auf Hans Scholl sind hier zu nennen.Von Galen handelte dabei in erster Linie als ein leidenschaftlicher Verfechter des christlichen Menschenbildes. Daraus ergab sich für ihn der Widerstand gegen den Nationalsozialismus als eine Ideologie, die mit dem Christentum unvereinbar ist. Der Historiker Götz Aly fasst zusammen: „Die Motive für Galens Widerstand sind uns Heutigen fremd, und dennoch verdient Galens singulärer, mutiger Widerstand Hochachtung.“
Dieser Beitrag wurde finanziell möglich gemacht durch das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg. Schaut Euch auch die Homepage an: http://institut-walberberg.de/index.php?cID=1
Thomas G. Kortenkamp
***** Originalpredigt Bischofs Graf von Galen *****
Mönche und gefolgstreue Bürger des Bischofs Graf von Galen vervielfältigten auf Schreibmaschine oder Vervielfältigungsapparat seine Predigten. Eine Originalpredigt, vom 3. August 1941 wird hier auf sieben DINA-A4 Seiten gezeigt. Es ist jene Predigt über die Euthanasie. Die gut erhaltenes Predigt wurde per Schreibmaschinenanschlag mittels Durchschlagpapier gefertigt. Von wem die Predigt einmal vervielfältigt wurde ist unbekannt. Sie bleibt der Nachwelt erhalten. Es ist ein wichtiges Zeitdokument.
http://www.qsl.net/dl8gbk/weisserose/bischof_Graf_von_Galen_leaflet.htm
Thomas G. Kortenkamp
***** Bischof Graf von Galen und die Weisse Rose *****
Die Dissertation der promovierten Zahnmedizinerin Anna Plezko führte mit ihrem wissenschaftlichen Thema, “Handlungsspielräume und Zwänge in der Medizin im Nationalsozialismus: Das Leben und Werk des Psychiaters Dr. Hans Roemer”, zum Ursprung der Weisse Rose.
Die promovierten Mediziner aus dem neurologisch-, psychiatrischen Umfeld Hans Roemer, Karsten Jaspersen und Gottfried Ewald gehörten zu den wenigen, die sich dem Euthanasieprogramm widersetzten. Karsten Jaspersen informierte im Juli / August 1940 in Münster den Bischof Graf von Galen über die Euthanasie. Der Bischof informierte die Kirchenleitung, diese reagierte jedoch nicht. Am 3. August 1941 predigte der Bischof in der St. Lambertikirche als erste Person öffentlich über die Euthanasie. Bürgertreue des Bischofs und Mönche vervielfältigten die Euthanasie-Predigt und verbreiteten sie. Wegen Bürgertumulte wurde das Euthanasie-Programm noch im August kurzfristig unterbrochen und alsbald unauffälliger fortgeführt. Flugschriften über die Predigten des Bischoffs erreichten auch Pater Alfred Eisele in Ulm. Er pflegte einen besonderen Kontakt zu einer Schülergruppe, die gegen die Nationalsozialisten eingestellt war. Heinz Brenner aus der Gruppe vervielfältigte die Predigten des Bischofs. Auch Hans Scholl bekam unwissentlich die Abschrift im Oktober 1941 über die Euthanasie von Heinz Brenner zu lesen. Wie Hans Scholl auf den Erhalt der Flugschrift reagierte, existieren keine zeitgenössischen Belege. Wenige Monate später vervielfältigen Hans Scholl und Alexander Schmorell im Juni / Juli 1942 ihre eigenen ersten vier Flugblätter. Alle Details und Quellennachweise sind bitte unter
http://www.qsl.net/dl8gbk/weisserose
Menü: Vorgeschichte Weisse Rose München
zu entnehmen. Dort befinden sich auch zwei Videos, die letzte Dankrede des Kardinals von Galen. Wenige Tage später verstarb der Kardinal.
Stefan Matthaei
Vielen Dank Herr Kortenkamp für die zusätzlichen Infos und die weiteren Quellen.
Bzgl. der Reaktion von Hans Scholl auf die Predigten beziehe ich mich auf die Aussage des Biographen Markus Trautmann, in seinem Buchh über von Galen “Clemens August von Galen, Ich erhebe meine Stimme”:
“Im Frühjahr 1942″, so erinnert sich später die Schwester der Getöteten, Inge Scholl, “fanden wir wiederholt hektographierte Briefe ohne Absender in unserem Briefkasten. Sie enthielten Auszüge aus Predigten des Bischofs von Münster, Graf Galen, und sie verbreiteten Mut und Aufrichtigkeit. … Hans ist tief erregt, nachdem er diese Blätter gelesen hat. “Endlich hat einer den Mut zu sprechen.” Eine zeitlang betrachtet er nachdenklich die Drucksachen und sagt schließlich: ” Man sollte einen Vervielfältigungsapparat haben.”
Genaue Quelle:
Markus Trautmann; Clemens August von Galen, Ich erhebe meine Stimme
2005 Verlagsgemeinschaft Topos plus, Kevelaer
Seite 106