Wir kennen sie aus Computerspielen, Romanen oder dem Fernsehen: Die japanische Mafia, auch Yakuza oder Boryokudan („gewaltsame Gruppen“) genannt. Wie einflussreich sind sie wirklich? Ein Einblick in die organisierte Kriminalität in Japan. Ist sie auch in Deutschland aktiv?
Die Straße, in die ich einbiege, wirkt klein und unbedeutend. Zu beiden Seiten reihen sich im typisch japanischen Stil errichtete, mit der Zeit aber heruntergekommene Häuser. Zerfetzte Werbebanner hängen in verstaubten Schaufensterläden. Weder Sake noch Kleider locken heutzutage Kundschaft in diese Ecke von Nishinari, einer Gegend nahe dem Hafenbezirk von Osaka. Der tristen Straße folgend, begegnen mir ausschließlich ältere Menschen. Misstrauisch werde ich beäugt in meinem grauen Hemd, der blauen Jeans und eine Spiegelreflexkamera über der Schulter.
Rechts vor mir ragt ein grau gekacheltes Gebäude zwischen den alten Läden empor. Drei Stockwerke hoch, die Fenster klein und getönt, gleicht der Bau einer Festung. Das Garagentor steht offen und gewährt den Blick auf ein teuer aussehendes Auto. Ich stelle mich seitlich zu den Fenstern und versuche unauffällig Fotos zu schießen: Die Straße dabei im Mittelpunkt, das Gebäude wie zufällig auf dem Bild. Ein vergoldetes Wappen über dem Türeingang, wie es auf älteren Aufnahmen zu sehen ist, wurde entfernt. Trotzdem bleibt das Gebäude unverkennbar. Das Office der Azuma-Gumi, einem Clan der Yakuza.
Falschspieler und Machtmenschen
Geschichtlich tauchen die Yakuza erstmals im 19. Jahrhundert als Bakuto auf, bezahlte Falschspieler die für Privatleute und Beamte verzockte Gehälter zurück erspielten. Aus diesem Geschäft leitete sich ihr heutiger Name ab: Die Zahlenkombination 8(ya)-9(ku)-3(za) gilt im traditionellen Kartenspiel Hanafuda als wertlos und war bezeichnend für den gesellschaftlichen Stellenwert der Falschspieler. Mit den antikommunistischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts sicherten sich die Yakuza – in einer Allianz mit staatlichen Behörden und rechtsradikalen Gruppierungen – als „Erhalter der öffentlichen Ordnung“ Macht und Einfluss, den sie unter der US-Besatzung der 1940er weiter ausbauten. Keine Ausnahme in dieser Kooperation bildete auch die Liberaldemokratische Partei (LDP), deren ranghöchste Mitglieder sich in den 1970er Jahren aufgrund enger Verbindungen zur organisierten Kriminalität verantworten mussten. Seit den 1990er Jahren verbannen Anti-Boryokudan-Gesetze die Yakuza aus der Öffentlichkeit, was weder ihrem lokapolitischen Einfluss noch ihren Geschäften im Wege stand; im ganzen Land stehen ihre Offices als lokale Dependancen. Regional übernehmen sie auch die Ersthilfe bei Erdbeben und Tsunamis.
Würfel, Pulver, leichte Mädchen
In der Geschäftswelt der Yakuza verschwimmen Legalität und Illegalität, je eingehender man sie betrachtet. Drei Beispiele: Das gängigste und legale Business sind die Casinos, wobei Pachinkoautomaten als besonders lukrativ gelten. Denn Japan ist eine der spielsüchtigsten Nationen auf der gesamten Welt. Entsprechend groß ist der Kundenkreis und entsprechend einfach gestaltet sich für die Yakuza die damit verbundene Geldwäsche. Gewinne aus den folgend genannten Geschäftsmodellen werden hier unauffällig mit legalen Einnahmen verrechnet.
Der Handel mit minderjährigen Mädchen, oft sogar japanischer Herkunft, baut auf die finanzielle Not der Opfer und fatale Gesetzeslücken in Japan. „Baitos“, – die gängige Ableitung des deutschen Wortes „Arbeit“ als Bezeichnung für Minijobs – sind zwar keine Gefahr für Jugendliche und in Japan weit verbreitet; jedoch sind die Übergänge als Austeilerin für Flyer zur bezahlten Gesprächspartnerin älterer Männer bis hin zur Zwangsprostitution fließend. Auch das Geschäft mit Katalogmädchen aus Drittweltstaaten ist den Yakuza nicht fremd. An Kunden mangelt es nicht. Japan erkrankt gewissermaßen an seinem Gegensatz von konservativer Verklemmtheit und unrealistischer sexueller Sehnsüchte. Hinzu kommt eine Kultur des Wegsehens aus Angst vor dem Gesichtsverlust. Betroffene Mädchen finden somit kaum Ansprechpartner, die ihnen aus dem Kreis des Missbrauchs und der Gewalt heraushelfen.
Auch am internationalen Drogenmarkt beteiligen sich Yakuza-Gruppen im großen Stil, wobei sich ihr Einfluss schon lange nicht mehr auf die japanischen Inseln beschränkt. Südostasiatische Länder wie Thailand, Burma und die Philippinen gelten als schier unerschöpfliche Quellen für Kokain, Heroin und Cannabis. Große ostasiatische Häfen wie Hong Kong, Singapur und Seoul sind ideale Dreh- und Angelpunkte für den internationalen Drogenmarkt. Manches Thaiboxstudio in Bangkok soll sogar offen mit der Ausbildung von Bandenmitgliedern als Bodyguards werben.
Die Konkurrenz
Die Expansion der japanischen Mafia ins Ausland blieb natürlich nicht unbemerkt. 2001 brannte mitten in Tokio das Casino eines Yakuza-Clans bis fast auf die Grundmauern nieder; noch vor Ort konnte die Feuerwehr Brandstiftung nachweisen. Ein von der Polizei abgehörter Anruf verschaffte Klarheit: Mitglieder der einflussreichen Triaden, der chinesischen Mafia, hatten ihre Märkte in Asien bedroht gesehen und der japanischen Konkurrenz eine eindeutige Warnung hinterlassen.
Vermehrt kommt es zu Interessenkonflikten mit anderen kriminellen Strukturen. Das führte bereits zu Spaltungen der Yakuza-Gruppen, so wie letztes Jahr die Yamaguchi-gumi, eine der mächtigsten überhaupt. Die dadurch wachsende Unsicherheit der Yakuza zeigt sich im absolut kompromisslosen Umgang mit Kritikern, wie dem 2004 ermordeten Journalisten Satoru Someya.
Yakuza unter uns?
Im Kampf gegen die fernöstliche organisierte Kriminalität in Deutschland schlagen selbst unsere Behörden die Hände über dem Kopf zusammen. Schon 1994 organisierte das BKA eine bundesweite Razzia in über 13.000 Chinagastronomien auf den konkreten Verdacht hin, Triaden würden einen Drogenmarkt etablieren und Schutzgelder von Restaurantbetreibern fordern. Zur selben Zeit wurde aktiv gegen die vietnamesische Zigarettenmafia ermittelt, deren Banden sich eine grausame Vendetta um den deutschen Schwarzmarkt lieferten. Ein schwerwiegendes Problem ist bis heute die kompromisslose Verschwiegenheit – aus Misstrauen vor staatlichen Behörden -, die man in vielen asiatischen Kulturen findet. Dass Yakuza in illegale Geschäfte hier in Deutschland verstrickt sind, mag wahrscheinlich sein, allerdings nicht im großen Ausmaß. Die japanische Community umfasste im Jahr 2015 knapp 35.000 Eingewanderte (zum Vergleich im selben Jahr: 120.000 Chinesisch- und 87.000 Vietnamesischstämmige in der BRD). Eine zu schwache Basis, um sich gegen die starke Konkurrenz arabischer Großfamilien, die Russenmafia und Biker-Gangs zu behaupten.
Nachwuchsmangel
Zurück in der kleinen Straße in Nishinari, Osaka. Die Azuma Gumi, Eigentümer des grauen Gebäudes vor mir, gehört zu den kleineren Yakuza-Gruppen und macht ihr Geld in Casinos. Rund 170 Mitglieder zählt sie laut Wikipedia, viele sind jedoch gar nicht mehr japanischer Herkunft. Der demographische Wandel nimmt in Japan bereits konkrete Formen an: Die Gesellschaft ist stark gealtert, oft mangelt es an einheimischen Nachwuchskräften. Die organisierte Kriminalität bildet da keine Ausnahme. Vermehrt sind es Koreaner und Chinesen, welche die freien Plätze in den Yakuza-Clans einnehmen.
Ich bleibe noch eine Weile vor dem festungsartigen Office der Azuma Gumi stehen. Offenbar ist keiner zuhause, zumindest niemand, dem ein fotografierender „Gaikokujin“, ein Westler, aufstoßen könnte. Goldenes Nachmittagslicht wirft lange Schatten auf den Asphalt. Etwas lässt mich noch einmal zu den getönten Fenstern blicken. Nanu? War da jemand? Nichts regt sich. Ich warte noch einige Minuten. Dann mache ich kehrt, das goldene Sonnenlicht im Rücken, den Schatten der Yakuza vor mir.
Die organisierte Kriminalität in Ostasien ist für viele ein unbeschriebenes Blatt. Wer sich näher mit dem Thema auseinandersetzen möchte, für den habe ich folgende Buchtipps:
East Asian Intelligence and Organized Crime vom Verlag Dr. Köster umfasst mehrere, sehr detaillierte Studien der kriminalistischen Fachwelt über das organisierte Verbrechen und nachrichtendienstliche Aktivitäten in Ostasien.
Ich, Tochter eines Yakuza von Shoko Tendo befasst sich zwar nicht mit der japanischen organisierten Kriminalität in ihrer Struktur, bietet jedoch als Autobiografie einen interessanten Einblick in das Lebensgefühl als Familienmitglied im Kreis der Yakuza. Es erzählt vom Absturz eines Mädchens, das aufgrund ihrer Herkunft von der „normalen“ Gesellschaft nie akzeptiert wurde.
Tokio Vice von Jake Adelstein handelte sich die Kritik ein, der Autor stelle sich selbst mehr in den Vordergrund als das eigentliche Thema. Dem zum Trotz kann man Herrn Adelstein, wegen seiner Recherchen selber von den Yakuza mit dem Tode bedroht, ein beeindruckendes Fachwissen über die japanische Unterwelt nicht absprechen.
Bangkok Noir von Roger Willemsen beschreibt sehr konkret die Präsenz der organisierten Kriminalität in Thailand. Unter anderem zitiert er den Leiter eines Thaiboxstudios, demzufolge Yakuza dort ausgebildet würden.
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