Am Valentinstag denken wir an unsere Lieben. Ein Mann aus Japan denkt noch viel größer. Darüber, wie Menschen krebskranken Kriegskindern am Valentinstag helfen.
Den Vater der „Blumen des Lebens“ treffe ich in einer Galerie, irgendwo im Distrikt Chiyoda in Tokio. Der Valentinstag steht an. Viele Pärchen tragen offen, den sonst konservativen Normen zum Trotz, ihr Liebesglück zur Schau, lachen und halten Händchen. Wer sich dieser Tage seinen Glücksgefühlen hingibt, ohne den Kopf zu wenden, dem entgeht die weit offene Tür der Galerie. Ein schmaler Gang führt hinein in einen kleinen Raum. Auf mehreren Tischen liegen Flyer ausgebreitet. Ein Japaner mittleren Alters steht lächelnd daneben. Er trägt eine rote Jacke und dunkle Jeans, die Haare mittellang und ungekämmt.
„Wir schließen gleich“, teilt er mir direkt mit, aber: „Sie können gerne einen Blick in unsere Galerie werfen.“ Er deutet auf eine Treppe. „Herr Sato?“, erkundige ich mich. Nicken. „Mein Name ist…“ „Ich weiß“, unterbricht er mich freundlich. „Schauen Sie sich erst in der Galerie um. Danach können wir gerne reden“. Ich folge seiner Aufforderung und gehe zur Treppe. Auf den obersten Stufen angelangt, blicke ich in das fotografierte Gesicht eines jungen, arabisch aussehenden Mädchens. In ihrer rechten Hand hält sie einen Zeichenstift, vor ihr liegen ein Blatt Papier und eine Rose. Dunkle, mandelförmige Augen schauen mich herausfordernd an. Ich schaue zur linken Wand. Gerahmte Zeichnungen, mit Buntstiften und Kreide gemalt, zieren diese. Eine menschenähnliche Figur zieht meinen Blick an. Der offenbar noch sehr junge Zeichner hatte ihr goldene Flügel verliehen. Ein Strick spannt sich vom Genick der Figur bis zum oberen Bildrand. Ein erhängter Engel. „Wir schließen jetzt.“ Herr Sato schaut mich aus wachsamen Augen an. „Lassen Sie uns einen Kaffee trinken“, schlagt er beim Verlassen der Galerie vor.
Der Verkehr lärmt und ein Strom Passanten strebt neben uns in eine U-Bahn Station. Festen Schrittes führt Sato mich über den breiten Gehsteig. Wir halten vor einem Cafe und setzen uns kurze Zeit später mit Ausblick auf das abendliche Tokio gegenüber. „Wann haben Sie sich entschieden, in der Entwicklungshilfe zu arbeiten?“ frage ich. „Während des Golfkrieges 1991. Als ich die Not der Menschen im Fernsehen sah, wusste ich, dass ich helfen muss.“ Mit leiser, fester Stimme erzählt Sato von seiner Zeit als Bildungshelfer in Palästina. Ein Ellenbogen auf dem Tisch gestützt, seine Augen fixieren meine. „2004 gründeten wir Jim Net, um an Krebs und Leukämie erkrankten Kindern im Irak zu helfen. Ein einheimischer Lehrer kam eines Tages mit diesen Kinderzeichnungen zu mir. Besonders eine war so wunderbar fröhlich. Nichts Konkretes. Aber farbenfroh. Sie stammte von Fatima*“; dem kecken Mädchen auf dem Foto in der Galerie. „Viele Bilder zeigten Herzen und Sprüche wie ´I love you´.“ So sei ihm die Idee gekommen, diese zu vervielfältigen und den Schokoladenschachteln zum Valentinstag beizufügen.
„Wir Japaner sind ein sehr fröhliches Volk“, betont Sato: „Aber wir vergessen oft, was in der Welt passiert. Ich erinnere mich an ein Neujahr im Irak. Happy New Year schrieb ich meiner Familie in Japan und dachte: Was soll daran fröhlich sein? Mit den Bildern zur Schokolade erinnern wir die Menschen daran, dass es schön und richtig ist, das Leben zu genießen; aber man darf nicht vergessen, dass andere es schwer haben.“ Fatima starb 2009 an Krebs. Sie habe trotz großer Leiden bis zum Schluss für das Projekt gezeichnet. „Sie ist mein Idol“, gesteht Sato, den Blick gedankenverloren zwischen unseren Kaffeebechern. Jim Nets jüngste Ausstellung ´Inochi no hana´ (dt. Blumen des Lebens) stellt Kinderzeichnungen und Fotografien aus dem Nahen Osten aus. Was der Titel denn bedeute? Sato lächelt. „Die Kinder sind das Leben. Über Blumen haben sie sich immer gefreut. Sie gaben ihnen Ruhe und Kraft.“ Das Gespräch neigt sich dem Ende zu. Mit einer Verbeugung verabschieden wir uns. Ich blicke in Satos Becher: Halb leer, denke ich. Und muss lächeln. Nein. Für den Vater der „Blumen des Lebens“ ist dieser Becher sicher noch immer halb voll.
*Name geändert
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