Deutschland entzieht sich der Flüchtlingsproblematik keinesfalls – zumindest nicht beim Blick auf aktuelle Zahlen. Bei einem Ranking der zehn Länder mit den meist aufgenommenen Flüchtlingen stehen wir auf dem dritten Platz. Mit etwa 590.000 aufgenommenen Flüchtlingen im Jahr 2012 hinter Pakistan (über 1,5 Mio.) und dem Iran (etwa 870.000). Die Hilfe soll zunehmend ausgeweitet werden, denn Italiens Forderung nach Beistand innerhalb der EU wurden erhört. Die Insel Lampedusa, gelegen an der italienischen Küste, ist auf Grund der geografischen Lage ein beliebtes Ziel für viele Flüchtlinge. Zu viele, wie es scheint. Denn die Kapazitäten der Insel und des Landes sind erschöpft.
Die Menschen erfahren nach einer langen Überfahrt, bei der sie ihr Leben aufs Spiel setzen, häufig Abweisungen. Und gemäß der italienischen Gesetzeslage haben die Flüchtlinge im Falle eines Unglücks keinen Anspruch auf Hilfe oder Rettung von der italienischen Bevölkerung. Diesem europarechts- und völkerrechtswidrigen Verhalten vieler EU-Mitgliedsstaaten wirkt Deutschland nun entgegen. In einigen Großstädten sind moderne Wohncontainer als Unterkunft für Asylbewerber in Planung. Kein Problem für eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung, doch die kritischen Stimmen werden lauter. In einem kürzlich ausgestrahlten TV-Beitrag entrüstete sich ein Vater aus Dortmund darüber, dass ein Asylheim gegenüber der Grundschule seiner Tochter gebaut wurde. In einer Talkrunde konnte der Familienvater keine stichfesten Gründe für seine Position nennen, druckste herum. Zu groß war scheinbar die Angst, auszusprechen was (vielleicht) viele denken.
Die Asyl-/Flüchtlingsdebatte bietet darüber hinaus verstärkt einen Nährboden für rechtsextremes Gedankengut. Auch in Greiz, einer Stadt im Südosten von Thüringen, wurde ein Asylheim gebaut. Nun gründete sich eine Bürgerinitiative, welche mit 1.700 „Anhängern“ auch auf Facebook vertreten ist. Die Seite mit dem Titel "Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylheim ‚am Zaschberg‘" beruft sich auf Armut, Arbeitslosigkeit und Geldknappheit, welche durch die Aufnahme von Flüchtlingen nur noch verstärkt würden. Verweise auf Inhalte der NPD werden propagiert mit der Aufforderung an „die letzten mutigen Bürger von Greiz“ für das Räumen des Asylheims zu stimmen.
Auf der Flucht – Eine Dokumentation mit (bitterem) Beigeschmack
Ein dermaßen polarisierendes Thema macht natürlich nicht vor den privaten rechtlichen Sendern halt. So entschloss sich beispielsweise ZDFneo im Oktober 2013 eine vierteilige Dokumentation auszustrahlen, um nach eigenen Angaben eine Asyldebatte anzustoßen. Um eine möglichst große Zuschauerzahl zu erreichen, wurden sechs Prominente im wahrsten Sinne des Wortes, ins Boot geholt. Aufgeteilt in zwei Teams, sollen Mirja du Mont, Nazi-Aussteiger Kevin Müller, Streetworkerin Songül Centinkaya (Team Afrika) sowie Stephan Weidner (Ex Böhse Onkelz-Mitglied), Autorin Katrin Weiland und Ex-Bundeswehrsoldat Johannes Clair (Team Irak), verschiedene Kontinente bereisen. Ziel ist es, sich selbst und vor allem auch den Zuschauern die Situation der Flüchtlinge vor Augen zu führen. Ein Versuch, der auf Grund des überwiegenden Reality-Charakters der Doku von Episode zu Episode scheitert. Die drei Mitglieder des Team Afrika wollen sich selbst den realistischen Bedingungen aussetzen, die eine Person „auf der Flucht“ erfährt.
Zunächst führt sie ihre Route nach Tunesien, wo ein einheimischer Journalist ein Treffen mit einem Menschen-Schmuggler organisiert hat. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass die Flüchtlingsproblematik komplex ist. Der Menschenhandel, so sagt der Informant, ist für viele junge Tunesier eine Geldquelle. Dass dabei das Leben verzweifelter Menschen auf dem Spiel steht, ist dabei Nebensache. Von Tunesien geht es weiter nach Lampedusa. Mirja, Kevin und Songül werden diese Strecke auf einem alten Kutter bewältigen, klein und instabil, um der beabsichtigten Illusion der Sendung gerecht zu werden. Nach kurzer Zeit wird Kevin, übel – die Überfahrt mit dem Boot wird abgebrochen. Die Dokumentation erreicht einen Punkt, an dem das Experiment einen heuchlerischen Charakter annimmt. In der Realität brechen Flüchtlinge keine Überfahrt ab, weil sie seekrank sind. Der Kutter ist überfüllt und schippert nicht nur mit drei Promis an Bord übers Meer. Fest steht: So sieht das Leben auf der Flucht sicher nicht aus.
Trotzdem beweist das Team Irak, dass in Sachen Absurdität noch Luft nach oben ist: Katrin, Johannes und Stephan machen auf ihrer Reise Halt in Athen. Der Besuch in einem Flüchtlingslager schafft es aber auch nicht dem Format die abhanden gekommene Seriosität zurückzuverleihen. Flüchtlinge stehen auf dem Präsentierteller. Ihr Schicksal wird vermarktet. Das endgültige Fiasko ereignet sich in Istanbul, oder besser gesagt in einem LKW in der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei. Die Mitglieder des Team Irak werden in einen mit Kisten vollgestellten LKW verfrachtet, so soll der Platzmangel simuliert werden, dem Flüchtlinge ausgesetzt sind. Einige Stunden fährt ein Fahrer die drei durch die Gegend. Das Fazit der drei nach der Tour: „Es kam schon so`nen mulmiges Gefühl auf. Da reichte auf jeden Fall die Vorstellungskraft.“
Ein Denkanstoß, wenn auch ein geschmackloser
Inwiefern die vierteilige Dokumentationsreihe ihrem Ziel gerecht geworden ist, ist zweifelhaft. ZDFneo ist es zumindest gelungen, exklusive Interviewausschnitte mit Menschen zu ergattern, die die Flüchtlingsproblematik hautnah miterleben und ein Teil davon sind. Ob Menschenschmuggler in Tunesien oder Familien, die ihre Geschichte vom Leben auf der Flucht authentisch schildern – die Bilder geben Einblicke. Was hingegen eher geschmacklos wirkt, ist der dominierende Reality-Charakter von „Auf der Flucht“. Die Streitigkeiten zwischen den „Promis“ sollen wohl für Spannung und Authentizität sorgen – nehmen aber in Verbindung mit dem Flüchtlingsproblem, was eigentlich als zentrales Thema angepriesen wird, zu viel Platz ein.
Die Einblendung von Ex-Nazi Kevin Müller zum Beispiel, auf dem Boden sitzend, wie er laut sagt „Ich breche das hier morgen früh ab“, stellen viel mehr die Krisen der „Abenteurer“ dar, anstatt die der Flüchtlinge zu beleuchten. ZDFneo beeinflusst dies maßgeblich durch Einblendungen, die dem Zuschauer zeigen sollen, was nach der Werbung folgt und spielt dabei provokativ mit den unterschiedlichen politischen Ausrichtungen der Kandidaten. Dass Kevin in einer Einblendung äußert, die NPD sei ihm irgendwann einfach zu demokratisch gewesen, und später in einem eritreischen Flüchtlingslager steht, erscheint vollkommend paradox. Und trotz oder gerade wegen dieser Mischung aus Dokumentation und Trash-TV hat das Format eines geschafft: Die Asyldebatte wurde kräftig angekurbelt.
Schreibe einen Kommentar