Er drückt die großen, dunkelbraunen Bärenaugen fest zusammen, runzelt die Stirn und zieht seinen Schal bis zu seiner breiten Nase hoch. Es ist Dienstagmorgen um acht und schon steht Augustine am hinteren Eingang des Mercados. Die kalte Luft bläst unverschämt gegen seinen starken Körper – aber er muss hier stehen. Sein Atem scheint in der Kälte einzufrieren und eine Sekunde zu verharren, bevor die kleinen weißen Wölkchen verschwinden. Dann rutscht ihm der raue, grün-schwarz gestreifte Schal hinunter und ein breites Grinsen kommt zum Vorschein. Augustine trägt einen symmetrisch getrimmten Bart, der gepflegter zu sein scheint als seine karamellfarbenen Zähne.
Der 1,80 Meter große Mann ist 29 Jahre alt. Er kommt seit einigen Jahren jeden Tag außer freitags und samstags zum Hintereingang des kleinen Mercados in Vicálvaro, einem ebenso kleinen Ort süd-östlich vom Stadtzentrum Madrids. Es ist ungewöhnlich kalt hier an diesem Morgen, besonders für Ende März, weshalb Augustine versucht, durch leichtes Hopsen warm zu bleiben. Dabei schwingt er ein Mäppchen, das er nie aus der Hand gibt, hin und her. Im Mäppchen befindet sich die religiöse Zeitung La Farola, die er für jemanden verkauft. Sie sei viel Wert, erklärt er. Sein Grinsen bleibt breit auf seinem glatten Gesicht stehen, auch wenn es unbequem ist hier zu warten. Er ist ein zufriedener Mensch.
Der Mercado macht erst in einer Stunde auf. Augustine will sich allerdings einige kostenlose 20 Minutos Zeitungen sichern, die er später an bestimmte Stammgäste verteilt, und muss deshalb schon früher herkommen. Der Nigerianer trägt eine schwarze Wollmütze, die er bis über die Ohrläppchen zieht sowie eine graue, gealterte Windjacke. Seine schwarzen, ausgelaufenen Adidas Schuhe sind ebenfalls alt. Sie weisen Narben auf; lange Läufe durch Wind und Wetter, langes Stehen im Regen. Die Jeans hingegen sehen relativ neu aus. Das blau ist kaum verwaschen, der goldene Knopf blitzt unter der Jacke hervor. „Die Hose habe ich geschenkt bekommen“, kommentiert er zufrieden. Er zupft leicht an seiner Hosentasche und zaubert ein Handy hervor. Ein altes Sony Ericsson, ebenfalls ein Geschenk. Während seiner Arbeitszeit, erklärt er, nehme er das Handy nie raus. Das gäbe einen falschen Eindruck; als habe er Geld. Mittags gehe er immer in ein nahegelegenes Café, wo er bei Facebook reinschaue und Anrufe tätige. „Der Besitzer ist mein Freund, er gibt mir immer etwas zu essen.“, verrät er.
Augustine hat dicke, spröde, rote Lippen, die wackeln wenn er redet. Seine Augen zieren lange Wimpern, die seinem Gesicht einen starken Ausdruck geben. Dagegen fallen seine dezenten Augenbrauen kaum auf, die unter der Mütze versteckt sind. Der große, dunkelhäutige Mann steht den ganzen Tag da und begrüßt Passanten. Er lebt von dem Geld, das sie ihm geben. „Die meisten Menschen hier sind pensioniert“, erklärt Augustine, „und sie haben mehr Geld als ich.“
Eigentlich würde Augustine gerne arbeiten. In Nigeria hat er als Friseur in seinem eigenen Salon gearbeitet. „Ich bin gut in dem was ich mache. Sprachen sind nicht meine Stärke“, fügt er in einem brüchigen Englisch hinzu. Vor seiner Zeit als Friseur ist er zur Schule gegangen und hat auf seine Mutter aufgepasst. Sein Vater starb als Augustine gerade mal vier Monate alt war, seine Mutter dann als er zwanzig wurde. Sie war krank aber hatte kein Geld, um ins Krankenhaus zu gehen, erzählt der plötzlich zerbrechlich wirkende junge Mann mit einem kühlen Blick. Dann wendet er sich ab und sagt laut, als wolle er sich selbst davon überzeugen: „Aber in Spanien ist mein Leben besser.“ Seine Schwester lebe noch in Nigeria, erzählt er und jongliert gleichzeitig nervös mit seiner Mappe. Sie sei verheiratet und habe drei Kinder, die er alle nicht kenne. Nach dem Tod seiner Mutter habe er das letzte Geld, welches er auf ihrem Konto fand, genommen, um sein Ticket nach Europa zu bezahlen. Seitdem ist er nicht mehr in Nigeria gewesen und hat es derzeit auch nicht vor. „Dort ist kein Geld zu machen – dort gibt es keine Arbeit.“, brummt er entschlossen.
Freitags und samstags arbeitet Augustine in einem Friseursalon. Illegal. Von dem eingenommenen Geld erhält er knapp die Hälfte, den Rest behält der Besitzer. Das sind etwa fünfzig Euro pro Tag, womit er seine Miete bezahlt. Er wartet seit Jahren auf seine Papiere, die ihm der Staat nicht ausstellt. Aber er hat die Hoffnung, dass es bald klappen wird – seine beiden Mitbewohner haben schließlich auch welche bekommen. Der Nigerianer lebt vierzig Minuten entfernt von Vicálvaro, in einer kleinen Wohnung mit zwei anderen Afrikanern. Sie können dank Papieren offiziell arbeiten, was für ihn unmöglich ist. Er hasst betteln, aber ohne das Geld kann er nicht überleben. Er wartet und wartet auf die Papiere. Augustine erklärt mit großen Augen, dass er versuche leise zu sein. Solange er keine Aufmerksamkeit errege, tue ihm die Polizei nichts. Bis auf einen Vorfall im letzten Februar, als er per Zufall in eine Razzia am Bahnhof von Atocha geriet, hatte er noch nie Probleme mit la Policía. Damals wurde er anderthalb Monate in eine Art Massenlager für Asylbeantragende gesperrt. „Sie wollten mich deportieren. Dort gab es nur trockenes Brot und Wasser und sie haben uns angeschrien.“, eröffnet er leise – wie er wieder freigekommen ist, sei kompliziert. Darüber möchte er nicht sprechen, nicht vor den anderen Menschen. Die alten Herrschaften aus Vicálvarodachten, er sei im Krankenhaus gewesen.
Der sympathische Mann ist zuversichtlich: „Es wird sowieso nicht immer so bleiben. Irgendwann werde ich heiraten und Papiere bekommen, oder umgekehrt. Auf jeden Fall wird es mir irgendwann gut gehen!“ Voller Überzeugung erzählt Augustine von seinen Plänen, zwei Jungs und zwei Mädchen auf die Welt zu bringen. Er hätte lieber drei Jungs als drei Mädchen, weil letztere immer heiraten und die Familie verlassen. Allerdings fehlt ihm im Moment die Freundin: „Ich möchte eine intelligente Spanierin kennenlernen, weiß aber nicht wo.“ Von einer vorbeilaufenden älteren Dame bekommt er einen Euro in die etwas verschmutzte, grobe Pfote gedrückt. Neben ihrer kleinen, delikaten Hand sieht seine sehr groß aus. Er bedankt sich und lächelt. Dann schickt er ihr einen lieben Gruß an den Ehemann mit. Manchmal hilft er ihr mit den Einkäufen.
„Der Schein ist mir wichtig.“, erklärt er, nachdem die Dame hinter der Ecke verschwindet, „denn die Menschen hier geben mir nur etwas, weil ich freundlich und sauber bin.“ Wüssten sie beispielsweise von seiner Festnahme, würden sie sofort Angst bekommen. Das wäre dann sein Ende. Obwohl er es in Spanien nicht immer einfach habe, möchte er hier bleiben: „In Nigeria ist alles korrupt – die Politiker haben alles aber geben uns nichts“, stöhnt der sonst so glückliche Augustine. Aber jetzt ist er hier, und er wird hier bleiben. Zumindest plant er es – solange wie sein Leben vorherzusehen ist. Wieder drückt er seine großen Bärenaugen zusammen. Als er sie öffnet glänzen sie voller Lebensfreude. Morgen wird es schon wärmer sein.
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