Anfang 2025 hat die Aktion Mensch auf die Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt aufmerksam gemacht. In einem Werkstattgespräch im Fraktionssaal der CDU wurde diskutiert, wie Barrieren auf dem Arbeitsmarkt überwunden werden können.

Lest Euch hier das Inklusionsbarometer Arbeit von 2024 durch!
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX)
Grundlage für die Integration auf dem freien Arbeitsmarkt Behinderter Menschen ist in Deutschland das SGB IX. Es trat am 01. Juli 2001 in Kraft. Die folgende Fassung ist für Betroffene, Arbeitgeber und Integrationsämter Anlass zur Freude und auch zum Nachdenken.
§ 154 Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
- Private und öffentliche Arbeitgeber (Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne des § 156) haben auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen. Abweichend von Satz 1 haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat einen schwerbehinderten Menschen, Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als 60 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat zwei schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.
§ 160 Ausgleichsabgabe
- Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, entrichten sie für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen eine Ausgleichsabgabe. Die Zahlung der Ausgleichsabgabe hebt die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht auf. Die Ausgleichsabgabe wird auf der Grundlage einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote ermittelt.
- Die Ausgleichsabgabe beträgt je unbesetztem Arbeitsplatz
- 125,00€ bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 3 Prozent bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz,
- 220,00€ bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 2 Prozent bis weniger als 3 Prozent,
- 320,00 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von weniger als 2 Prozent.
Der realistische Blick
Doch zeigt das Inklusionsbarometer, dass die aktuelle Beschäftigungsquote der Schwerbehinderter lediglich bei 4,44% liegt, die Zahl der Arbeitslosen liegt bei 165,725 Personen. Unter allen Arbeitslosen beträgt demnach der Anteil Schwerbehinderter etwa 44,59%. Insgesamt beträgt die Arbeitslosigkeit unter Behinderten 11%.
Dennoch müssen auch positive Beispiele genannt werden. So war der Filialleiter von REWE in Düsseldorf Eller anwesend. Er erzählte, er habe einem Rollstuhlfahrer, einem Taubstummen und einem Autisten eine Arbeitsmöglichkeit verschafft. Auch gibt es bei ihm einmal wöchentlich für Menschen mit sensorischen Einschränkungen die Möglichkeit des Einkaufs. Dann wird das Licht gedimmt, die Musik und das Klingeln der Kasse abgestellt sowie um Ruhe gebeten.
Positivbeispiel: REWE in Düsseldorf Eller
Der Filialleiter erzählte, dass sich hierdurch auch unter den Kunden die Atmosphäre verändert habe. So würden sich die Kunden während der stillen Stunden tatsächlich ausschließlich im Flüsterton unterhalten und das Interesse an Einschränkungen wie Gehörlosigkeit sei merklich gewachsen. Auch die Kinos der UCI-Gruppe zeigen seitdem Welt-Autismus-Tag 2024 inklusive Vorstellungen. Hierbei können sich Besucher bei gedimmtem Licht und Zimmerlautstärke trotz Sitzplatzbuchungen frei im Saal bewegen. Dennoch würde ich mir wünschen, die Kinobetreiber würden allgemein bei allen Vorstellungen Rücksicht auf Hörgeschädigte Kinobesucher nehmen und beispielsweise einen Untertitel einblenden.
Rechtliche und soziale Hürden der Neueinstellung
Doch trotz dieser positiven Beispiele scheuen sich noch immer viele Arbeitgeber, Behinderten eine Möglichkeit zu bieten. Entsprechend der aktuellen Rechtsprechung ist ein Handelsgewerbe auf die Erzielung eines Gewinns abgerichtet. Einschränkungen, gleichgültig in welcher Weise sie sich äußern, werden noch immer als deutliches ökonomisches Hemmnis der Gewinnerwirtschaftung wahrgenommen. Die oben genannten § 154 SGB IX und § 160 SGB IX werden daher wohl von vielen Kaufleuten als staatlicher Eingriff in die gewerbliche Selbstbestimmung empfunden. Doch auch hier hat das Sozialgesetzbuch Neun eine rechtliche Lücke, die viele Kaufleute wohl gerne ausnutzen, eingefügt.
§ 223 Anrechnung von Aufträgen auf die Ausgleichabgabe
- Arbeitgeber, die durch Aufträge an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen zur Beschäftigung behinderter Menschen beitragen, können 50 Prozent des auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfallenden Rechnungsbetrages solcher Aufträge (Gesamtrechnungsbetrag abzüglich Materialkosten) auf die Ausgleichsabgabe anrechnen.
Diese Fassung gibt Unternehmen die Möglichkeit, sich mit dem Begriff „inklusiv“ zu schmücken, ohne Behinderten eine gerechte Möglichkeit zu geben. Auch nutzen viele Arbeitgeber ferner die ungerechte Möglichkeit die Ausgleichsabgabe, als Betriebsausgabe steuerlich abzusetzen. Der Gesetzgeber plant derzeit nicht, diese als Bußgeld anzulegen. Somit darf ein Gewerbe straffrei Behinderte Menschen weiterhin ausgrenzen. Offiziell dienen die oben genannten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen dazu, Behinderten eine Beschäftigungsmöglichkeit zu geben. Doch beruht diese Art der Beschäftigung in diesem Fall auf der ungerechten Ausbeutung von Behinderten Menschen. Die Grundlage hierzu bietet auch wieder das SGB IX.
§ 59 Arbeitsförderungsgeld
- Die Werkstätten für behinderte Menschen erhalten von dem zuständigen Rehabilitationsträger zur Auszahlung an die im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen mit Behinderungen zusätzlich zu den Vergütungen nach § 58 Absatz 3 ein Arbeitsförderungsgeld. Das Arbeitsförderungsgeld beträgt monatlich 52,00€ für jeden im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen mit Behinderungen, dessen Arbeitsentgelt zusammen mit dem Arbeitsförderungsgeld den Betrag von 351,00€ nicht übersteigt. Ist das Arbeitsentgelt höher als 299,00€, beträgt das Arbeitsförderungsgeld monatlich den Differenzbetrag zwischen dem Arbeitsentgelt und 351,00€.
Somit hat die Ausgrenzung von Behinderten für Unternehmen keinerlei rechtliche Konsequenzen. Die Tatsache, dass die Entlohnung Behinderter in Werkstätten so gering ist, offenbart deren zusätzliche Ausbeutung. Auf direkte Nachfrage gestern im Landtag erwiderte ein Landesrat für Soziales, welcher zugleich in der Verwaltung für Soziales in der Christopherus-Gemeinschaft den Paritätischen Wohlstandsverband unterstützt und Träger von Werkstätten ist: „Wir brauchen diese Werkstätten und wir müssen schauen, welche Unternehmen wirklich gar keine behinderten Menschen einstellen.“
Derartige Aussagen werden jedoch häufig als Argument genutzt, um Behinderte weiter auszugrenzen. Jeder Mensch kann auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten, sofern er sichtbar ist. Die Gastronomie und der Einzelhandel würden beispielsweise sehr von Menschen mit Trisomie 21 profitieren. Es ist die menschliche Unbeholfenheit, die ihnen hier den Zugang zu einem normalen Arbeitsplatz verwehrt. Solche Aussagen entlarven weiterhin die Tatsache, dass die SPD, welcher der Landesrat angehört, bemüht ist, Lobbyarbeit zu betreiben, anstatt mit ihrer Politik ausgegrenzten zu dienen.
Behinderter Lebenslauf und Maßnahmen zur Sichtbarkeit
Abschreckend für viele Arbeitgeber wirkt außerdem weiterhin die Tatsache, wenn Bewerber auf ihrem Lebenslauf den Besuch einer Sonderschule angeben. Sie gelten als weniger leistungsfähig. Dies führt dazu, dass Behinderte häufig von einer Behinderteneinrichtung in die Nächste weitergegeben werden. Auf diese Weise bleiben sie immer Teil einer alternativen Parallelstruktur. Häufig folgt nach Abschluss der Sonderschule eine sogenannte berufsfördernde Maßnahme an einem Berufsbildungswerk. Diese sollen der Berufsausbildung körperlich, seelisch oder psychisch beeinträchtigter Menschen dienen.
Doch lernen Betroffene dort keinesfalls den Umgang mit vielen Vorgesetzten bzw. Menschen ohne Einschränkungen. Sie lernen dort nicht, dass sie sich bei Problemen gegebenenfalls selbst helfen müssen. Selbstständiges Lernen ist dort fast nicht möglich. Bei Problemen steht zu jederzeit eine Hilfestellung zur Verfügung. Grundlage für diese Einrichtungen bietet auch das SGB IX:
§ 51 Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation
- Leistungen werden durch Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke und vergleichbare Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ausgeführt, wenn Art oder Schwere der Behinderung der Leistungsberechtigten oder die Sicherung des Erfolges die besonderen Hilfen dieser Einrichtungen erforderlich machen.
Doch führen diese Maßnahmen nicht zu mehr Sichtbarkeit. Maßnahmen die zu mehr Sichtbarkeit führen können, sind solche wie sie die oben bereits erwähnte REWE-Filiale in Düsseldorf Eller oder die Kinos der UCI-Kette durchführen. Daran sollten sich viele Betriebe wirklich ein Vorbild nehmen.
Schreibe einen Kommentar