Wo sind sie geblieben – die klaren Statements von Spielern, Trainern und Fußballkommentatoren? Wo ist der öffentliche Kritikhagel an offensichtlichen Fehlentscheidungen? Wann sagen unsere Medienhäuser wirklich, was journalistisch aufgearbeitet werden konnte und nicht, was dem Produkt Fußball strategisch guttut? Eine Analyse.
Wir erinnern uns doch alle an die Schlagzeilen aus den „guten alten Zeilen“. „Der Elfer-Betrug“, „Torklau“ und „Skandal auf der FIFA-PK“… Eigentlich sind wir es von Seiten der Medien gewohnt, dass ohne Rücksicht auf Verluste Schlagzeilen gedruckt werden, es vor Kritik und Skandalisierung nur so regnet und dass alles, was auf der Welt passiert hinterfragt und bewertet wird – dies sogar oftmals über die ethisch verantwortungsvollen Grenzen hinaus.
Enttäuschende Berichterstattung
Im Fußball beobachten wir seit einiger Zeit, dass sich das in gewissen Bereichen ändert. Immer öfter sitzt man als Fan vor dem Fernsehgerät und versteht die Welt nicht mehr: Eine gravierende Fehlentscheidung, grob unsportliches Verhalten, auffällige und vermeintlich spielentscheidende Szenen – und der Kommentator schweigt. Auch in der Nachberichterstattung wartet man vergebens auf ein klares Statement von Opdenhövel, Hellmann und Co., die den Zuschauern zwischendurch lediglich die immer gleich plattgebügelten Interviews einspielen. Die nächste Enttäuschung folgt am darauffolgenden Morgen in der Zeitung, wo ebenfalls kein Wort darüber verloren wird, worüber sich am Abend zuvor in der Whatsapp-Gruppe alle einig waren.
Was sich verändert hat:
Szenarien wie diese können im Rahmen medialer Verarbeitung von Fußballinhalten die verschiedensten Gründe haben:
Da wäre zum Beispiel das Thema „Schiedsrichter-Entscheidungen“: Während Kommentatoren und Reporter früher einmal angehalten waren, Entscheidungen offen anzuzweifeln und auch in kritischen bzw. diskussionswürdigen Fällen klar Position zu beziehen, wird heutzutage anscheinend eine andere Linie gefahren. Solange auch nur ansatzweise die Möglichkeit besteht, der Schiedsrichter habe regelkonform gehandelt, wird versucht einer Debatte aus dem Weg zu gehen und die Situation „runterzukochen“. Relativierend fallen Aussagen wie „Das kann man so sehen“ oder „Er wird seine Gründe gehabt haben“. Klare Kante zeigen? Fehlanzeige!
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der relativ neu eingeführte Videobeweis im Speziellen und die etlichen Regeländerungen der vergangenen Jahre im Allgemeinen. Ständig versuchen FIFA, UEFA, DFB und Co. das Spiel aufgrund internationaler Vermarktung, Zeitmäßigkeit und vermeintlicher Fairness umzugestalten. Aktive vs. passive Ballaktion, Wechselkontingente, Handhabung der gelben Karten… Da brauchen wir mit der Handspielregel, bei der selbst die fachkundigsten Experten den Überblick verloren haben, gar nicht erst anzufangen. Es gäbe also genug zu kritisieren. Der Diskussionsstoff wird den Medien von Seiten der FIFA praktisch auf dem Silbertablett serviert.
Kritische Analyse? Fehlanzeige!
Was passiert stattdessen? Gefühlt gar nichts. Statt verurteilenden Kommentaren, ausflippenden Experten und attackierenden Schlagzeilen entfacht eine hitzige Debatte lediglich in den sozialen Netzwerken oder unter Freunden. Eine kritische Aufarbeitung der Medien erfolgt oftmals höchstens als Reaktion auf den Aufschrei der Online-Community. Und selbst dann wird nur selten klare und nicht relativierte Kritik geäußert.
In Bezug auf den Videobeweis etwa wird nach großem Aufschrei lediglich versucht um tausend Ecken und Kanten eine Argumentation auf die Reihe zu stellen, wieso die Verantwortlichen sich eben doch nichts zu Schulden haben kommen lassen. „Warum der Schiedsrichter richtig gehandelt hat“ lauten hier die Überschriften. Was überhaupt nicht hinterfragt wird: Wenn sich tausende Menschen einig sind, dass eine Situation anders hätte entschieden werden müssen – ist dann die Legitimation der Regel nicht viel unwichtiger als ihre Anzweiflung? Warum wird die öffentliche Diskussion nicht darauf gelenkt, dass nicht die Masse uninformiert, sondern die Regel unfair und verbesserungswürdig ist?
Kann Fußball-Journalismus noch unabhängig sein?
Wir könnten in diesem Rahmen noch ganz andere Fässer aufmachen. So werden zum Beispiel auch handfeste Skandale wie die Winterweltmeisterschaft im aus menschenrechtlicher Sicht äußerst zweifelhaften Wüstenstaat Katar nur bedingt in der Medienlandschaft kritisch verarbeitet. All das geschieht letztendlich aber nur aus ein und demselben Grund: Die Medien berichten nicht nur über den Profifußball, sie sind ein Teil von ihm. Sie gehen eine Wechselwirkung ein, begeben sich also in eine Win-Win-Situation, in der beide Seiten voneinander profitieren. Diese millionenschwere „Bubble“ ist zu groß, zu wertvoll, zu profitbringend, als dass man durch eine dauerhaft kritische Haltung und eine Skandalisierung gewisser Missstände dem Glanz dieses Produktes schaden wollen würde. Medienhäuser verzichten auf all das, wonach sie normalerweise streben und wofür sie oftmals zurecht kritisiert und angezweifelt werden.
Das Bedauernswerte daran: Die verflachte Kritik am Fußball hilft ihm nicht, sie schadet ihm! Ein Produkt, das von Seiten der Medienöffentlichkeit nicht mehr in gleichem Maße frei hinterfragt wird wie Politik, Unterhaltung oder schlicht andere Sportarten, schadet unserem gesellschaftlich allgemeinen Umgang mit Problemen und in letzter Konsequenz auch der Sportart an sich. Ohne Kritik – keine Verbesserung! Ohne Verbesserung wiederum droht dem Fußball eine weitere Entfernung von der „Basis“ und eine Entfremdung vieler Fans und Interessenten. Denn eins ist klar: Ohne klaffende Medienkritik erreichen Wünsche und Anregungen aus der Gesellschaft niemals das Büro eines DFB-, UEFA- oder FIFA-Funktionärs. Wollen wir hoffen, dass wir bald wieder anfangen können auch das Hochglanzprodukt „Fußball“ offen zu hinterfragen und dass Medien wieder proaktiv Position beziehen, anstatt Funktionären und Organisatoren den Hof zu machen.
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