Sind es lange geschwungene Lippen und ein roter Kussmund, ein pralles Dekolleté und ein wohlgeformter Hintern? Bedeutet Weiblichkeit, so sexy auf High-Heels laufen zu können, dass sogar eine Frau einem hinterher schaut? Heißt es so attraktiv zu sein, dass einem kein Mann widerstehen kann und jede Frau sich Sorgen macht, ihr Mann könnte bei einem schwach werden? Bedeutet Weiblichkeit, eine perfekte Hausfrau und Mutter zu sein, die immer für alle da ist? Oder beinhaltet der Begriff am Ende etwas ganz anderes?
Die Frau auf dem Foto bin ich. Nachdem ich dieses Foto in Ganzkörperformat auf einer sozialen Plattform hochgeladen hatte, bekam ich mehrere Nachrichten, wie weiblich und feminin ich doch aussehen würde. Gerade per Zufall im Badezimmer vor einem großen Spiegel stehend, machte mich diese Aussage etwas stutzig. Die Frau, die mich aus dem Spiegel anschaute, sah nicht gerade so aus, wie die auf dem Foto. In einem Kuschelschlafanzug mit peinlichen Mustern bedruckt, auf die ich an dieser Stelle lieber nicht eingehen möchte, knallpinken Plüschschuhen, ungeschminkt und die Haare irgendwie zusammengewickelt, hatte ich wenig mit der Frau auf dem Bild gemein. Sind wir Frauen also nur weiblich, wenn wir Kleidung tragen, bei der wir Angst haben zu atmen oder vorher in einen Farbeimer aus Schminke gefallen sind?
Aufopfernde Ehefrau und Sexobjekt in einem
Laut verschiedener Literaturquellen bedeutet Weiblichkeit „kulturell und gesellschaftlich der Frau zugeschriebene Eigenschaften“. Wird wiederum diese Frage, also welche Eigenschaften typisch Frau sind, gegoogelt, fallen Begriffe wie „romantisch, abhängig, nachgiebig, bescheiden, empfindsam, selbstaufopfernd, herzlich“ und auf der anderen Seite Eigenschaften wie „sinnlich, verspielt, verführerisch“. Besonders heraus sticht, dass Attribute wie Stärke oder Willenskraft eindeutig nicht zu den oftmals aufgezählten Eigenschaften zählen. Im Gegenteil. Fast in jedem Artikel wird die Frau auf der einen Seite als sexuelles Objekt und auf der anderen Seite als treues, aufopferndes Wesen beschrieben, welches nur auf dieser Erde ist, um den Mann Rückendeckung zu bieten und für ihn da zu sein. Sind Frauen also nur weiblich, wenn sie sich in enge Kleider pressen, Lippenstift auftragen und den Mann kokett anlächeln und am besten noch dazu so tun, als wüssten sie gar nicht, worüber er redet und ein IQ von minus 100 haben? Denn wenn ja, dann bin ich offiziell unweiblich und nicht für diese Rolle gemacht.
Mogelpackung Push-Up-BH: Am besten Doppel-D
Natürlich sollte man bei der Aussage auch die kulturell unterschiedliche Bedeutung von Weiblichkeit mit einbeziehen. In verschiedenen Kulturen ist eine gewisse Körpermasse der Inbegriff von Weiblichkeit. In Europa wiederum geht der Trend eindeutig eher in Richtung Schlankheitswahn, auch wenn wir uns mittlerweile zum Glück wieder auf dem Weg in Richtung “gesündere Zukunft” befinden. Schlanker Bauch, trainierter Hintern und am besten eine große Oberweite: Laut Playboy in Deutschland der “Inbegriff von Weiblichkeit” für Männer. Tut mir Leid, dass ich diese Träume zerstören muss: Zumindest ein Großteil der schlanken Frauen hat keine große Oberweite, sondern bewegt sich statistisch gesehen zwischen Körbchengröße 75 A und 75 B.
Schönheitsideale „zwingen“ uns dann zu Push-Up-BHs, obwohl, sollte es zum Geschlechtsverkehr kommen, sowieso rauskommt, dass das Ganze eher eine Mogelpackung war. Werden alleine die Oktoberfestfotos verschiedenster junger Frauen mit anderen Fotos aus deren Alltag verglichen, fällt schnell ein Unterschied auf: Ich wette, dass zwischen diesen Bildern mindestens eine Körbchengröße liegt. Das ist keinesfalls eine Verurteilung, sondern nur eine Aufzählung der Tatsachen und unzähliger Shoppingtouren mit diversen Freundinnen.
Bringt der Begriff der Weiblichkeit also vor allem auch negative Folgen mit sich? Haben Frauen vielleicht so stark das Gefühl, diesem Ideal entsprechen zu müssen, dass wir zu körperverändernder Unterwäsche oder noch viel drastischer, Abführmitteln und Diätpillen, greifen, um diesem Bild entsprechen zu können? Und vor allem, ist die Aussage, als weiblich wahrgenommen zu werden, es wert, einem Schönheitsbild zu entsprechen, welches den eigenen, angeborenen genetischen Veranlagungen vielleicht gar nicht entspricht?
Zurück an den Herd!?
Neben dem äußerlichen Aspekt der Weiblichkeit wurde vor allem auch die Frau als unterwürfiges, dem Mann zur Seite gestelltes Wesen, dargestellt, die für sein Wohlergehen sorgt, herzlich und lieb ist. Im Zeitalter der Emanzipation, in dem Frauen wählen gehen und Führungspositionen ausfüllen, nehme ich solche Kommentare als primitiv und sexistisch war. Natürlich soll eine Frau ihren Partner unterstützen und genauso sollte sie ihn gut behandeln, für ihn da sein und sofern sie gerne kocht, gibt es keinen Grund, dies nicht zu tun. Genauso wichtig und gut ist meiner Meinung nach, zu Hause zu bleiben, solange die Kinder klein sind. Das bleibt aber jeder Frau selbst überlassen und ist eine individuelle Entscheidung. Genauso gut sollte auch jeder Mann sich exakt so seiner Frau gegenüber verhalten. Füreinander da zu sein, sich zu unterstützen und zu beschützen, sollte also keinesfalls die Definition von Weiblichkeit, sondern die eines anständigen Verhaltens sein.
Kann ich mein Weiblichkeitszertifikat abgeben?
Wenn Weiblichkeit also die Aussage bedeutet, sich absichtlich dümmer zu stellen, als man ist, oder so zu tun, als ob die Frau etwas nicht könnte, nur um den Mann in seiner Rolle als Mann zu bestärken? Dann möchte ich nicht weiblich sein. Nach diesen Eigenschaften bin ich das schlichte Gegenteil von Weiblichkeit und trotzdem gibt es Tage, an denen ich mich weiblich fühle. Vielleicht in einem engen Kleid, vielleicht auch in einer Jeans, aber ganz sicher nicht als eine Frau, die einem Mann nach dem Mund redet oder sich verstellt, um weiblicher zu wirken. Wenn ich plötzlich so tun muss, als wüsste ich nicht, wie man Parkett verlegt oder tapeziert, oder so tun soll, als würde ich vor Wespen Panik haben, oder vor Spinnen wegrennen, obwohl ich sie normalerweise mit der Hand raustrage, dann bin ich ab heute gerne unweiblich und gebe mein gedachtes Weiblichkeitszertifikat mit einem Lächeln auf dem Gesicht wieder ab.
Viele Frauen denken, sie müssten perfekt sein, um weiblich zu wirken. Perfekt sein, um den richtigen Mann abzubekommen und perfekt sein, um zu verstecken, dass auch sie einen schlechten Tag haben und nun mal alles andere sind als perfekt. Dabei sind Frauen so viel mehr, ob weiblich oder nicht.
Ja, ich bin die Frau oben im Titelbild, die vorher eine ganze Weile im Bad stand. Ich bin aber auch die Frau, die auf dem folgenden Bild, Würstchen essend komplett ungeschminkt abgelichtet wurde und dabei vielleicht nicht gerade weiblich aussieht, aber dafür glücklich. Zugegeben hätte ich dieses Foto vor einiger Zeit noch niemals veröffentlicht. Gerade weil ich es selber als nicht attraktiv empfinde. Doch genau das ist vielleicht ein Fehler in unserem Denken: Frauen müssen nicht immer schön, attraktiv oder sexy sein. Sondern vor allem sie selbst.
Weiblichkeit als Einstellung: Sich selbst treu bleiben!
Weiblichkeit ist mit Sicherheit auch, attraktive Unterwäsche zu tragen oder ein voller Kussmund. Vor allem aber ist es eine Einstellung. Es ist die Einstellung, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, ganz gleich, welche Zahl auf der Waage steht. Sich auch in einer Latzhose und einem weiten T-Shirt sexy fühlen zu können und vor allem, sich selbst treu zu bleiben und zu sich selbst zu stehen.
Diejenigen, die Weiblichkeit also mit einer Frau in hohen Schuhen assoziieren, die sich lasziv über die Lippen streift und sich dabei „per Zufall“, nach vorne beugt, die muss ich enttäuschen. Auch diese Dame wird zu einem anderen Zeitpunkt mit einer Chipstüte in der Hand und Pickelcreme auf dem Gesicht auf der Couch liegen und ganz sicher nicht immer so aussehen und diese Weiblichkeit repräsentieren.
Vielleicht ist Weiblich-Sein tatsächlich, auch mal den Mann stark wirken zu lassen, oder ein enges Kleid zu tragen. Vor allem aber ist es, die Frau zu sein, die man tief im Herzen ist. Ganz egal ob im Minirock und Strapsen, oder einer weiten Latzhose, charakterlich weich wie Butter und zahm wie ein Lämmchen, oder eine knallharte Geschäftsfrau. Vielleicht ist es auch die bewusste Entscheidung heute mal nicht gestylt sein zu müssen, sondern ein Foto öffentlich zu stellen, auf dem das Äußere nicht perfekt ist.
Dominik
Es täte vielen Leuten gut, sich von den Schönheitsidealen frei zu machen, die uns die Vorabendserien im Fernsehen vorgaukeln, denn sonst werden nur die Wenigsten wirklich glücklich werden.
Ona Booms
I love reading the articles from this young lady. I am from the US but, have many connections in Germany. Someday I would love to meet Nadine in person and talk about her writing skills.
Ona Booms
Lily Nordsee
Toller Text! Mir gefällt das untere Bild übrigens besser als das obere. 🙂
Nadine
Danke! Ich muss zugeben, dass mir das erste Bild trotz allem besser gefällt, aber es geht ja nicht nur um Optik:)
Claudida
Sehr schön geschrieben vielleicht regt der Text ja Frauen an nicht immer nur perfekt aussehen zu müssen sondern so Frau zu sein wie sie sein möchten ohne vorgegebene Schönheitsideale.
Übrigens finde ich dich im Schlafanzug und ungeschminkt auch hübsch
Lisa Hermanns
Hey Nadine,
schöner Artikel, der für Selbstbestimmtheit plädiert! Nachdem ich den etwas populistischen Anriss zu deinem Artikel gesehen habe, war ich jedenfalls positiv überrascht. Schade finde ich nur, dass du aus einer hetero-normativen Perspektive schreibst, die trotz starker Betonung weiblicher Selbstbestimmung nur einen Vorschlag für den (gesellschaftlich ohnehin am stärksten propagierten) Frauen vs. Männer-“Wettbewerb” macht. Die Binormativität, die den Attributen männlich und weiblich zugrunde liegt, ist meiner Meinung nach das grundsätzliche Problem, und weniger die Frage was genau weiblich und was männlich ist.
Charlotte Hopf
Danke Lisa, du fasst es toll in Worte!
Ich wollte grade einen ähnlichen Kommentar verfassen, habe dem deinen aber nichts hinzuzufügen.
Rebekka
Also als ich das untere Bild gesehen habe, war mein erster Gedanke: Wow! Ist die süß! 😀
Es gefällt mir sehr viel besser, als das obere! 😉
Ich finde ein ehrliches Lächeln/Lachen und Natürlichkeit viel weiblicher als Schminke und posierend 😉
Uschi
Liebe Nadine,
einen Artikel zu schreiben, der sich mit der Identifikation mit der Weiblichkeit beschäftigt, nur auf Grundlage eines Facebook/Instagram/Whatever-Posts und einer kurzen Google-Synomyme-Suche ist sicherlich nicht verboten, aber für eine angehende Journalistin doch etwas dürftig. Ein Vorschlag: Stell’ Dir doch mal vor, das erste Foto – mit Lippensift, Kleidchen, verträumtem Blick und hübsch zurecht gemachten Haaren – wäre ein Foto deines besten Freundes. Und stell’ Dir ebenso das zweite – wurstessend – vor. Falls Dein Freund keine Transe sein sollte: Welches der beiden Fotos würde Dich stutziger machen, einfach weil die Person auf dem Foto (Achtung, es wird biologisch:) nicht weiblich ist?
Erzähl’ Deine Feelgood-Ansicht der Welt doch mal einem Transsexuellen, der gerade für seine Brust-OP spart. Deinem Artikel nach ist der aber ohnehin nicht in der Lage, sich weiblich zu fühlen, denn: “Weiblichkeit ist […] Vor allem aber […] eine Einstellung. Es ist die Einstellung, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, ganz gleich, welche Zahl auf der Waage steht.” Wieso muss der Begriff weiblich denn eigentlich unbedingt positiv konnotiert sein? Ein Mann, der er “selbst” ist, sich “im eigenen Körper wohl” fühlt – ist der dann auch weiblich? Für Deine künftige journalistische Arbeit in diesem Bereich wäre ein Transsexueller vielleicht tatsächlich ein interessanterer Protagonist als ein Mädchen, dass sich in Schlafanzug und Wuschelfrisur gar nicht mehr so “sexy” fühlt.
Mein Vorschlag Nadine: Lass’ es doch mit dem Journalismus und versuch’ es in einer Werbeagentur: Dein Just-be-yourself-Resümee könne ich mir wunderbar in einer Frischkäse-Werbung vorstellen. Mit Deinem Aussehen könntest Du vielleicht sogar in dem Spot Modeln. Du würdest dann in einem weißen Kleid auf einer Wiese stehen, die Lippen ganz rot, damit sie einen schönen Kontrast zum weißen Frischkäse ergeben. Und dann lächelst Du in die Kamera und sagst: “[Weiblich sein heißt], die Frau zu sein, die man tief im Herzen ist.” Just be yourself.
Mir hat Dein Artikel jedenfalls keine neue Erkenntnis, keinen Denkanstoß gebracht. Und weißt Du was? Ich glaube, Dir auch nicht: Du wirst weiterhin oberflächlich bleiben und “Oktoberfestfotos verschiedenster junger Frauen” vergleichen, um festzustellen, dass ” zumindest ein Großteil der schlanken Frauen […] keine große Oberweite [hat], sondern […] sich statistisch gesehen zwischen Körbchengröße 75 A und 75 B [bewegt].” Dir wird weiterhin auffallen, dass andere Frauen sich “per Zufall” nach vorne beugen, um Arsch und Dekolleté zu präsentieren. Und Du wirst weiterhin der Internetwelt klarmachen, dass Du eine ganz kluge, selbstbewusste Frau bist – allein in diesem Artikelchen 5 Mal geschehen. Nadine, Nadine, Nadine, ein ernsthaftes Identifikationsproblem mit Deinem Gender wirst Du niemals haben, denn Du bist hübsch und zu allem Überfluss auch noch klug! Perfekt, perfekt, perfekt. Nur bitte, erzähl aus Deiner Warte nicht anderen, wie sie sich fühlen sollen, sofern Deine Erkenntnisse zu diesem Thema nicht tiefer gehen, als Frischkäsewerbeslogans. Meine Empfehlung: Weniger mit Freundinnen shoppen gehen und sich mit anderen Internet-Mädchen vergleichen. Weniger Bilder, ob geschminkt oder ungeschminkt, posten. Stattdessen: Mit interessanten Menschen reden und Simone de Beauvoir lesen. Dann werden die Artikel vielleicht vielschichtiger, anstößiger, lesenswerter.
Hochachtungsvoll
Eine Alters- und Geschlechtsgenossin