Wie Werbung einseitig das weibliche Schönheitsideal eines 90-60-90-Körpers zelebriert, wird schon seit vielen Jahren immer wieder in den Medien diskutiert. Gerade in der Dessous-Werbung kommen besonders stereotypische Models zum Einsatz. Während es bei den Frauen zum Glück mittlerweile auch eine Gegenbewegung gibt, ist Body Positivity in der Herren-Unterwäsche-Werbung immer noch ein Fremdwort. Wie lange eigentlich noch?

Sicherlich ist der Druck auf die Mädchen und Frauen in Punkto Schönheitsnormen besonders groß. Viele Studien belegen, dass sie häufiger auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduziert werden, selbst dann, wenn sie sich ausziehen. Deswegen gibt es Damenunterwäsche-Geschäfte in jeder Fußgängerzone und Lingerie-Marken profitieren schon seit Jahrzehnten von enormen Marketing-Budgets.
In den letzten Jahren werden die Stereotype zum Glück in Frage gestellt. Body Positivity hat auch in die Welt von Seide und Spitze Einzug gehalten. Darunter versteht man sowohl eine gesellschaftliche Bewegung als auch allgemein die Überzeugung, dass alle Menschen ihrem eigenen Körper und den Körpern anderer positiv gegenüberstehen sollten, egal wie diese Körper aussehen. Auf Instagram gibt es z. B. den Hashtag #bodypositive, der in erster Linie Frauen zeigt.
Die Victoria’s Secret Fashion Show, die häufig als Symbol für die klischee-behaftete Vermarktung des weiblichen Körpers angesehen wird, bekam im Jahre 2018 gehörig Gegenwind von Influencer*innen, die von diesem Unterwäsche-Label mehr Diversität bei den Models einforderten. Der Hashtag #ImNoAngel, in Anlehnung an die als Angel / Engel bezeichneten Models bei amerikanischen Marktführer, machte die Runde.
Die Aktie der Muttergesellschaft der Marke brach zuletzt ein und die Zuschauerzahlen der Live-Übertragung gehen schon seit Jahren zurück. Analysten vermuten als Ursache, dass das von der Marke gezeichnete Bild des weiblichen Körpers zu weit von der Lebenswirklichkeit der meisten Frauen entfernt ist. Rihanna dagegen wurde für die Einbeziehung diverser Körperformen in die Modenschau ihrer Unterwäsche-Linie gelobt. Das Label Aerie benutzt schon seit 2014 AerieREAL Role Models unterschiedlichen Körperformen in seinem Marketing und verzeichnet Wachstumsraten weit über dem Branchenmittel.
Im Gegensatz dazu hat die Männer-Unterwäsche-Werbung erheblichen Nachholbedarf, in jeglicher Hinsicht. Vielleicht auch aus Desinteresse. Bis vor kurzem wurden Slips, Trunks und Boxershorts von den meisten Marken weitestgehend vernachlässigt. Auf Käuferseite werden im klassischen Einzelhandel bis zu 60% der Herrenunterwäsche-Käufe von Frauen getätigt, im spezialisierten Online Shop für Unterhosen etwas weniger. Branchenkenner sagen, viele Männer interessieren sich einfach nicht dafür, welchen Unterhose sie morgens aus der Schublade holen.
Erst seit wenigen Jahren nehmen die Marken mehr Geld in die Hand und stellen Unterhosen-Models vor die Kamera, die man(n) kennt, wie z. B. Justin Bieber, David Beckham oder Usain Bolt. Und reproduzieren dabei ähnliche Body-Klischees wie bei der Damen-Unterwäsche. Mindestens 1,80 groß soll der ideale Mann sein, ordentlich Muckis und natürlich so wenig Körperfett haben, dass sich der Bauchmuskel-Sixpack schön über dem breiten Unterhosenbund mit ebenso großem Markennamen abzeichnet.
Kleine Männer, hagere Männer oder Männer mit Bauch? Fehlanzeige! Dabei sind auch Jungs und Männer sozialem Druck ausgesetzt und leiden häufig unter Körpern, die nicht dem durch die Werbung vermittelten Schönheitsideal entsprechen. Experten sehen darin sogar einen Grund für die bei Männern überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate. Die Kampagne „Underwear for Perfect Men / Unterwäsche für Perfekte Männer“ von Dressman aus dem Jahre 2015 war wohl ihrer Zeit zu weit voraus, denn heute findet sich auf der Website der Marke keine Spur mehr davon.
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Die Positionierung des britischen Labels Surge, das im Sommer 2018 elf „everyday guys“ als Symbol seines Slogans „Underwear vor every body“ ablichten ließ, darf gerne als Schritt in die Richtung gefeiert werden. Dabei kommen nicht nur verschiedene Gewichtsklassen, sondern auch unterschiedliche Haut- und Haarfarben sowie Körperbehaarungen zum Einsatz. Auch wenn auf den Shop-Seiten des Unternehmens dann doch meist die muskulöseren Mustermänner zum Kauf animieren sollen. Wann traut sich also auch mal in Deutschland eine Marke normale Männer in den Mittelpunkt zu stellen?
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit unserem externen Redakteur Alexander Lehmann.
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