Die Glaubwürdigkeit des journalistischen Berufsstands war bereits vor dem Fälschungsskandal von Spiegel-Reporter Claas Relotius angeschlagen. Die Branche steht vor der Frage, wie sie sich wandeln und Vertrauen zurückgewinnen kann. Das Genre des Konstruktiven Journalismus bietet dafür einen eigenen Ansatz, der sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Doch er hat auch offene Flanken.

Medien wirken. Wie sie dies tun, ergründet die Medienwirkungsforschung. Diese kommt in unterschiedlichen Studien zu dem Ergebnis, dass sich der Fokus auf überwiegend negative Themen wie Katastrophen und Skandale destruktiv auf das Vertrauen der Menschen in die Demokratie auswirken kann. Die Maxime „Only bad news are good news“ verschafft anscheinend trotzdem immer noch mehr vom hohem Gut der Aufmerksamkeit und der Gunst des Publikums. Von diesem Grundsatz versprechen sich viele Journalisten noch immer mehr Aufmerksamkeit, mehr Leser, mehr Absatz.
Die Güte und Glaubwürdigkeit der Information durch journalistische Medien ist aber essenziell für das Vertrauen in den Journalismus sowie für die Motivation der Bürger zur Beteiligung an der Demokratie. Sie ist es letztlich auch für das Bild, das sich der Medienrezipient von Welt und Gesellschaft macht. Wie unerlässlich es für Journalisten und ihre Glaubwürdigkeit ist, sich an ihrer Professionsethik und an Fakten zu orientieren, spiegelt sich in den Debatten der letzten Jahre über das Phänomen der Fake News. Zuletzt zeigte sich dies aber besonders dramatisch an der Betrugsaffäre von Claas Relotius, der in vielen, teilweise auch preisgekrönten Reportagen im Spiegel und in anderen Medien bewusst Fälschungen und Fiktion eingebaut hatte, um die jeweiligen Geschichten attraktiver zu machen, wobei er zu lange unbehelligt blieb. Das also ist der Problemhorizont für die folgenden Gedanken zum Genre des Konstruktiven Journalismus.
Was will Konstruktiver Journalismus?
Der Anspruch des Konstruktiven Journalismus ist es, darauf zu achten, wie journalistische Inhalte und ihre stilistische Darstellung auf das Publikum wirken und was sie mit diesem machen. Vordenker dieses Konzepts sind der dänische Journalist Ulrik Haagerup und seine Kollegin Cathrine Gyldensted. Ihre Kritik am klassischen Journalismus mit seinem „negative bias“ ist angesichts besagter Forschungen durchaus berechtigt und wird seit schon einigen Jahren in der Branche kontrovers diskutiert.
„If it bleeds, it leads“ sei nach Haagerup das gängige Motto nicht nur des Boulevardsegments, sondern auch der seriösen Medien nicht nur in Dänemark, sondern weltweit. Diese Form des Journalismus sei jedoch in eine Krise gekommen, da immer mehr Menschen gemäß aktuellen Studien und Umfragen zufolge die negative Einseitigkeit der Medien kritisieren und sich von den etablierten Medien und dem klassischen Journalismus abwenden würden. Die destruktive Problemfixierung der Medien gefährde daher die Beteiligung am politischen Prozess und an der Demokratie, so Haagerups These. Dies hemme die Weiterentwicklung einer Gesellschaft und die Suche nach Lösungen für bestehende Probleme.
Haagerups erklärtes Ziel ist es daher, mit seinem Konzept auf mehr Ausgewogenheit und weniger Einseitigkeit in der Medienberichterstattung hinzuwirken. Konstruktiver Journalismus erweitert dafür die Perspektive und fügt den klassischen journalistischen W-Fragen Wer?, Was?, Wann?, Wo?, Warum?, Wie? und Wozu? die Frage nach dem Was jetzt? hinzu.
Lösungsjournalismus als nachhaltiger Branchentrend
Es gibt weltweit eine immer größer werdende Anzahl an Medien, in denen das Konzept des Konstruktiven Journalismus in unterschiedlicher Variation und Interpretation eingesetzt wird; Beispiele sind die New York Times, die Washington Post, Sparknews in Paris oder in Deutschland „Die Zeit“ oder der NDR. Weitere Medien begehen zudem weltweit seit 2013 den Impact Journalism Day, an dem sie ausschließlich Nachrichten mit funktionierenden Lösungen für unterschiedliche Probleme darstellen.
Die Medien, die den Konstruktiven Journalismus getestet haben, berichten überwiegend von Erfolgsmeldungen hinsichtlich der Beliebtheit konstruktiv-journalistischer Formate. Es handelt sich bei diesem neuen Berichterstattungsmuster damit keineswegs um einen bloßen Hype, sondern um einen nachhaltigen und womöglich zukunftsträchtigen Trend in der Branche.
Schönfärberei: Die Urversuchung des Konstruktiven Journalismus
Dieser Lösungsjournalismus hat aber auch seine Grenzen und Schattenseiten, etwa wenn er zu PR-abhängig, schönfärbend und weltverbesserisch daherkommt. Es darf nicht um einen Ersatz des medialen „negative bias“ durch einen „positive bias“ gehen, sondern um eine notwendige Ergänzung. Sonst gibt es keinen Unterschied mehr zum sogenannten „Positiven Journalismus“. Dieser ist ebenfalls ein neues journalistisches Genre, das ausdrücklich mehr über Gutes berichten will. Solcher Journalismus will aber gar nicht unbedingt nach Lösungen für bestehende Missstände suchen, da er diese eher ausblendet. Als Beispielmedium wird meist die Zeitschrift „Landlust“ genannt.
Hurra, die Hitze killt?
Wie jedoch auch Konstruktiver Journalismus der Schönfärberei als seiner größten Versuchung erliegen kann, veranschaulicht ein Beitrag aus dem ansonsten sehr vorbildlichen dezidiert konstruktiv-journalistischen Online-Medium Perspective Daily vom 27. Juli 2018 unter dem Titel „Endlich leidet Deutschland unter der Hitze. Jetzt bekommen wir den Klimawandel zu spüren“. Darin heißt es: „Endlich ist Klimawandel nicht mehr Eisbär und Scholle am anderen Ende der Welt. Sondern vertrocknete Felder vor der Haustür und Kreislaufkollaps im Büro.“ Der Beitrag berichtet über die teils tödlichen Folgen der Hitzewelle des vergangenen Sommers. Dabei erklärt er das psychologische Phänomen, dass Menschen den Klimawandel dann für wahrscheinlicher halten, wenn sie selbst höhere Temperaturen erleben.
Der „Backofen-Sommer“ wird hier deshalb begrüßt, da insbesondere die Menschen in den schlimmsten Klimasündenstaaten nun die Folgen ihres Handelns zu spüren bekommen. Trotz der Hitze sollen sie aber „einen kühlen Kopf bewahren“ und ihr Handeln im Sinne des Klimaschutzes ändern, so die normative Botschaft des Beitrags. Die Hitze und ihre Opfer werden auf diese Weise als etwas Positives und als Teil der Lösung für das Klimawandelproblem gedeutet. Das eigentlich hoffnungsvoll gemeinte „Endlich leidet Deutschland unter der Hitze“ mutet daher entgegen der ausdrücklichen Intention des Autorenpaars zynisch an.
Die Positive Psychologie als umstrittener Impulsgeber
Die Gefahr der positiven Einfärbung um jeden Preis kommt daher, dass der Konstruktive Journalismus unter anderem auf der Positiven Psychologie gründet. Deren Kernanliegen ist die Vermehrung menschlichen Wohlbefindens und Glücks. Kritiker werfen der Disziplin jedoch vor, Negatives dadurch auszublenden und bloße „Happyologie“ zu betreiben. Als Beispiel für die Zweischneidigkeit einer darauf gründenden Berichterstattung dient die positiv-psychologische Studie über die Wirkung negativer Berichterstattung von Cathrine Gyldensted:
Sie legte den Teilnehmern nacheinander journalistische Artikel in sechs Varianten vor, die erste in negativem, die weiteren in positivem Stil. Ergebnis war, dass negative Berichterstattung einen derart negativen Einfluss auf den Gemütszustand habe, dass es mehr als einer konstruktiven Variante derselben Nachricht brauche, um die eigene Stimmung wieder auszugleichen. Allerdings wurden die positiv gefärbten Beiträge von manchen Teilnehmern auch als manipulierend kritisiert.
Zu dieser Gefahr, einen „Wohlfühl-Journalismus“ zu schaffen, gesellt sich jene, abhängig von PR zu werden. Konstruktive Journalisten sollten aus Gründen der Glaubwürdigkeit daher sorgfältig darauf achten, nicht unkritisch und distanzlos nur einen Akteur, der die Lösung für ein bestimmtes Problem zu haben glaubt, heranzuziehen, ohne Alternativen in Betracht zu ziehen oder mögliche Schwachstellen sowie Bedingungen zu nennen, unter denen die Lösung eventuell nicht greift.
Konstruktiver Journalismus im und für mehr Diskurs
Der Journalist Christian Sauer betont angesichts der bisherigen Diskussionen, dass Konstruktiver Journalismus den klassisch-investigativen Journalismus nicht ersetzen, wohl aber ergänzen kann. Dabei wäre es die vornehmste Aufgabe des Konstruktiven Journalismus, das Publikum mit Blick auf potenzielle Lösungen für bestehende Probleme diskursfähiger und diskursfreudiger zu machen. Auch der hier vorgestellte Diskurs darüber, ob der Lösungsjournalismus einen Paradigmenwechsel im Journalismus hervorrufen kann und soll, oder ob es dabei um nicht mehr als eine Erinnerung an vernachlässigte Aspekte guten journalistischen Handwerks geht, muss weitergehen.
Quellen und weiterführende Literatur:
Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hg.): Positiver Journalismus, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz/München 2015.
Grüner, Ulf/Sauer, Christian (Hgg.): Kritisch-konstruktiver Journalismus: Impulse für Redaktionen, Norderstedt 2017
Gyldensted, Cathrine: Innovating News Journalism Through Positive Psychology, Univ., Master-Arb., Pennsylvania 2011, https://repository.upenn.edu/mapp_capstone/20/.
Haagerup, Ulrik: Construktive News. Warum „bad news“ die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren, Salzburg 2015.
Hartmann, Kathrin: Erlösungsjournalismus. Eine Kritik am Solution Journalism, in: Message Heft 1 (2014), 26–27.
Krüger, Uwe: Solutions Journalism (Lösungsorientierter Journalismus), in: Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hg.), Journalistische Genres, Köln 2017, 95–116.
Schäfers, Lars/Sautermeister, Jochen: Konstruktiver Journalismus. Theologisch-medienethische Annäherungen an ein neues Berichterstattungsmuster (Kirche und Gesellschaft Nr. 452), Bachem, Köln 2018.
Urner, Maren/Austen, Felix: Endlich leidet Deutschland unter der Hitze. Jetzt bekommen wir den Klimawandel zu spüren, Beitrag im Online-Magazin Perspective Daily vom 27.7.2018, https://perspective-daily.de/article/581/0atQOSz8.
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