Auf der Welt gibt es 10 Millionen Menschen, die zwar leben, aber unsichtbar sind. Sie besitzen keine offizielle Identität, sie haben keine Rechte, sie sind staatenlos. Was führt Menschen in die Staatenlosigkeit und wie kann man ihnen ein offizielles Leben zurückgeben? Ein Kommentar.

Laut UNO-Angaben wird alle 10 Minuten ein Kind ohne Nationalität auf der Welt geboren.
Ein Staatenloser ist eine Person, die von keinem Staat als Staatsangehöriger angesehen wird. Derzeit gibt es weltweit schätzungsweise 10 Millionen Staatenlose. Das ist ein großes Problem für sie, da kein Staat ihnen Rechte gewährleistet. Diese Menschen haben nicht die Möglichkeit, in ein anderes Land zu reisen, ein Bankkonto zu eröffnen, ein Eigentum zu besitzen oder gar eine Sim-Karte zu kaufen. In vielen Fällen haben sie nicht einmal Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung.
Oft ist die Person von Geburt an staatenlos, dies kann aber auch zu Lebzeiten geschehen. Die Ursachen hierfür sind sehr vielfältig und gehen von Diskriminierung bis hin zu Schwächen im Verfassungsgesetz. Sie können auftreten, da Länder meist unterschiedliche Voraussetzungen haben, um ihre Staatsangehörigkeit zu verleihen.
Drei Wege zur Staatsbürgerschaft
Es gibt drei Hauptströmungen für die Verleihung einer Nationalität und sie hängt von der Verfassung des jeweiligen Landes ab. Einerseits das sogenannten “IUS SANGUINIS”: In diesem Fall geben die Eltern die Nationalität an ihre Kinder weiter (biologisch oder adoptiv). Auch wenn der Geburtsort des Kindes in einem unterschiedlichen Land als dem seiner Eltern liegt. Andererseits gibt es das so genannte “IUS SOLI”, in diesem Fall erwirbt die Person die Staatsangehörigkeit des Landes, wenn sie in dessen Gebiet geboren wurde. Schließlich ist es auch möglich, eine Staatsbürgerschaft nach dem IUS DOMICILII-Prinzip zu erlangen. Nach der Regel kann eine Person die Staatsbürgerschaft erlangen, nachdem sie sich für eine bestimmte Zeit legal in einem Gebiet aufgehalten hat.
Es gibt auch Fälle, in denen nur der Vater seinen Kindern die Staatsbürgerschaft verleihen kann. Derzeit ist es in 27 Ländern verboten, dass Frauen ihren Kindern die Staatsbürgerschaft übertragen. Wenn der Vater der Kinder also unbekannt oder tot ist, haben die Kinder kein Recht auf eine Staatsbürgerschaft. Einige dieser Länder sind zum Beispiel Bahrain, Irak, Jordanien, Libanon, Burundi, Malaysia, Nepal, Barbados, Bahamas, Oman und Saudi-Arabien.
Maha Mamo – ein langer Weg zur Staatsbürgerschaft
Ein interessante Situation, um die Realität der Staatenlosen zu verstehen, ist die Geschichte von Maha Mamo. Ihre Eltern sind Syrer – ihr Vater ist Christ und ihre Mutter Muslima. Da interreligiöse Ehen in Syrien nicht erlaubt sind, haben ihre Eltern beschlossen, in den Libanon zu ziehen. Maha wurde dort geboren, die libanesische Verfassung gibt jedoch nur libanesischen Kindern die Staatsbürgerschaft, sodass sie ohne Nationalität aufwuchs. Als sie später in ein anderes Land reisen wollte, war dies nicht möglich, weil sie keine Dokumente hatte. Sie versuchte von anderen Staaten Hilfe zu erhalten und hatte schließlich in Brasilien Erfolg. 2016 erhielt sie endlich ihre ersten Dokumente. Seither lebt sie dort, hat einen brasilianischen Reisepass und verfügt über Rechte als Einwohnerin.
Die Rohingya – eine ganze Gemeinde ohne Staatsbürgergeschaft und Rechte
Eine der größten staatenlosen Gemeinschaften der Welt sind die Rohingya, eine muslimische Volksgruppe, die laut UNO Opfer einer sogenannten “ethnischen Säuberung” in Myanmar sind. Obwohl sie seit Generationen in Myanmar leben, sind sie offiziell staatenlos und ohne Grundrechte. Die Rohingya-Gemeinde in Myanmar ist seit mehr als fünf Jahrzehnten aufgrund ihrer Religion auf der Flucht. Sie leiden unter Verfolgung, Vergewaltigungen und der mutwillen Zerstörung ihrer religiösen Stätte und ihres Privatbesitzes. Die Aktionen hinterließen rund 725.000 durch die Gewalt vertriebene Menschen und mindestens 25.000 Tote. Aufgrund dieser Ereignisse gelten die Rohingya zu der am meisten verfolgten, ethnischen und religiösen Minderheit der Welt. Viele sind ins Nachbarland Bangladesch geflohen, aber auch dort waren sie nicht willkommen. Da beide Länder sie nicht als Staatsangehörige betrachten, bleiben sie staatenlos.
Staatenlos in Kolumbien
Ein weiteres Beispiel ist die Situation von Venezolanern in Kolumbien. Infolge der wirtschaftlichen und humanitären Krise waren Millionen von Venezolaner gezwungen, ins Ausland zu fliehen. Venezuela leidet unter einem gravierenden Mangel an Grundbedürfnissen, einschließlich der Materialien, die für die Ausstellung venezolanischer Pässe benötigt werden. Das macht es vielen Venezolanern schwer, das Land legal zu verlassen. Problematisch wird es auch für Kinder venezolanischer Eltern, die auf kolumbianischem Gebiet geboren sind. Denn Kolumbien gewährt die Staatsangehörigkeit nur unter der Bedingung, dass ein Elternteil Kolumbianer ist. Infolgedessen wurden viele Kinder staatenlos. Auch aufgrund der Schwierigkeit, venezolanische Dokumente im Ausland zu erhalten, da Venezuela keine konsularischen Dienste in Kolumbien hat, in denen Migranten ihre Kinder registrieren lassen können. Doch das Land erkannte die humanitäre Ausnahmesituation und handelte: die kolumbianische Regierung beschloss 2015, etwa 25.000 Menschen, die in Kolumbien geboren wurden, die Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Staatenlosigkeit – ein zeitloses Problem
Im Laufe der Geschichte können mehrere Gruppen von Menschen erwähnt werden, die für eine bestimmte Zeit staatenlos waren, wie zum Beispiel die deutschen Juden. 1935 verweigerte ihnen die Nazi-Regierung die Staatsbürgerschaft und sie mussten in einem anderen Land um eine Staatsangehörigkeit bitten. Ein anderes Beispiel waren die Menschen, die im Ausland waren, als ihr Land aufhörte zu existieren und die Landkarte sich änderte. Das geschah mit den Koreanern, die 1953 in Japan waren, als die Halbinsel in Nordkorea und Südkorea geteilt wurde. Oder die Auflösung des ehemaligen Jugoslawiens im Jahr 1991. Millionen Bürger wurden staatenlos, bis die anderen Nationen die Souveränität der neu geschaffenen Länder wie Bosnien und Herzegowina, Montenegro oder Kosovo anerkannten.
Viele werden sich vielleicht an Tom Hanks als Viktor Navorski in „The Terminal“ erinnert haben. Obwohl der Film fiktiv ist, wurde er durch das Leben von Mehran Karimi Nasseri inspiriert. Auch wenn seine Geschichte natürlich noch komplexer ist, als der Film sie darstellt. Iran, sein Geburtsland, vertrieb ihn Mitte der 1970er Jahre aus dem Land, weil er gegen das Regime protestiert hatte, und entzog ihm seine Staatsbürgerschaft. Als Staatenloser reiste er einige Jahre lang durch Europa, bis Belgien ihn als Flüchtling aufnahm. Im Jahr 1988 wollte er nach Großbritannien reisen, verlor aber seine Papiere. Die Einreise wurde ihm verwehrt und man schickte ihn nach Paris zurück, wo er einen Zwischenstopp gemacht hatte. Doch auch in Frankreich durfte er ohne Papiere nicht einreisen und zudem nicht nach Belgien zurückkehren, da er nach seiner Ausreise seinen Flüchtlingsstatus verloren hatte. Schließlich verbrachte er 17 Jahre und 11 Monate seines Lebens am Pariser Flughafen. Nasseris Aufenthalt am Flughafen endete 2006, als er ins Krankenhaus gebracht wurde und seit 2006 lebt er als Flüchtling in einem Altersheim in Paris.
Wie kann es weitergehen?
Zur Ausrottung der Staatenlosigkeit gibt es Organisationen, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das 2014 die #Ibelong Campaign gestartet hat. Sie zielt darauf ab, die Staatenlosigkeit bis 2024 auszurotten und damit bestehende Fälle von Staatenlosigkeit zu lösen, das Auftreten neuer Fälle zu verhindern und undokumentierte Migranten in der Welt zu schützen.
Aufgrund der unterschiedlichen Situationen jeder Gemeinschaft, Person oder Nation ist das Problem der Staatenlosigkeit schwer zu bewältigen. Besorgniserregend sind die prekären Bedingungen, unter denen Staatenlose in der Regel gezwungen sind, zu leben. Identität ist ein Grundrecht und notwendig für ein menschenwürdiges Leben. So wird der Kampf vieler Regierungen und Organisationen weitergeführt, damit immer weniger Menschen auf der Welt staatenlos werden und in einer gerechteren, egalitären und integrativen Gesellschaft leben können.
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